17. Februar 2021, 11:12 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Es gibt eine eigene Währung, Pässe und ein Militär: Transnistrien wirkt wie ein eigenes Land. Doch der De-facto-Staat wird von keinem anderen Land der Welt anerkannt. TRAVELBOOK-Redakteurin Larissa Königs hat das Land, das es eigentlich gar nicht gibt, 2019 bereist. Was sie dort erlebte und was man auf keinen Fall in Fall bei einer Reise nach Transnistrien vergessen sollte.
Zwischen Moldawien und der Ukraine liegt, eingezwängt auf gerade einmal 4000 Quadratkilometern, ein Land, das es eigentlich gar nicht gibt. Ein Land, das sich selbst Anfang der 90er Jahre ausgerufen hat, als sein „großer Bruder“, die Sowjetunion, am Ende war – und das dennoch bis heute von der Welt politisch nicht anerkannt wird. Und das dennoch Pässe ausstellt, eine eigene Währung hat und seine Grenzen schützt. Die Rede ist von der Pridnestrowischen Moldauischen Republik, kurz Transnistrien, in das ich gerade versuche, einzureisen.
Das an sich ist schon absurd, denn eigentlich gehört Transnistrien de jure immer noch zur Republik Moldau, in der ich mich aktuell eigentlich aufhalte. Hier gibt es nicht allzu viele Dinge, die man unbedingt sehen muss, aber Transnistrien gehört definitiv dazu, wie mir im Vorfeld von allen Seiten versichert wird. So werde ich etwa am Flughafen am Mietwagenverleih als erstes gefragt, ob ich vorhabe, das Land zu verlassen. Moldawien verlassen? Nein, natürlich nicht, ich bin ja nur wenige Tage hier. Doch der Mietwagenmann schmunzelt schon und sagt: „Ach, Sie wollen nicht nach Transnistrien?“ Ehm, doch, klar. Nur dass Transnistrien hier als echter Staat zählt, das habe ich nicht bedacht.
Übersicht
Die Geschichte von Transnistrien
Tatsächlich ist die Geschichte von Transnistrien folgende: Im Sommer 1992 spaltete sich die Region nach einem blutigen Konflikt von Moldawien ab. Hintergrund war die Treue der Transnistrier zu Russland. Noch heute sichert die russische Regierung die „Unabhängigkeit“ Transnistriens mit einer etwa 1000 Mann starken „Friedenstruppe“. Die transnistrische Armee selbst zählt laut „Spiegel“ schätzungsweise 15.000 Kämpfer unter Waffen. Einen ersten Einblick darin, wie ernst es der De-facto-Staat meint, bekomme ich an der Grenze.
Alle, die einreisen wollen, müssen aus ihrem Wagen aussteigen und ihren Pass vorzeigen, dann wird auf russisch diskutiert. Zum Glück haben wir eine Guide dabei, denn mit Englisch kommt man hier nicht weit. Als ich mein Handy zücke werde ich von ihm auch schnell und ruppig zurecht gewiesen: „No Phone, no photos!“ Mit dieser Hilfe überstehen wir die Kontrolle ohne Probleme und können die Grenze überqueren. Jetzt sind wir in Transnistrien – und die Nähe zu Russland ist nun nicht mehr übersehbar.
Russisch und „Sheriff“ sind in Transnistrien allgegenwärtig
Das Land wirkt wie der letzte verbliebene Staat der Sowjetunion. Überall gibt es riesige Denkmäler, mal erinnern sie, wie in der Hauptstadt Tiraspol in Form eines Kampfflugzeuges, an den blutigen Konflikt; mal an kommunistische Idole wie Wladimir Iljitsch Lenin. Plakate sind in Kyrillisch, Ladas fahren auf den Straßen, Ostblockarchitektur dominiert das Stadtbild und gesprochen wird fast überall russisch. Natürlich, denn immerhin 160.000 der etwa 500.000 Einwohner des Landes haben einen russischen Pass. Und noch etwas ist allgegenwärtig in dem Land, das gerade einmal 200 km lang und bis zu 20 km breit ist: „Sheriff“.
Die Firma, die diesen Namen trägt, findet man nämlich wirklich an jeder Ecke in Transnistrien. Alle Tankstellen: Sheriff. Die einzige Supermarktkette? Sheriff. Sogar ein Verlag, ein Fernsehsender und ein Fußballverein, der FC Sheriff, gehören zu dem Imperium. Dem Konzern, der von zwei ehemaligen KGB-Agenten gegründet wurde, werden auch windige Machenschaften und Geschäfte bis hin zum Drogen-, Waffen- und sogar Menschenhandel nachgesagt. Die Macht im Land sichere der Konzern dadurch, dass viele der Politiker früher für „Sheriff“ gearbeitet haben oder immer noch arbeiten, so zum Beispiel auch der aktuelle Präsident, der dort einst Sicherheitschef war. Vielleicht ist auch die Korruption ein Grund, warum immer mehr junge Menschen auswandern. Laut Schätzungen hat sich die Bevölkerungsanzahl des Landes seit seinem Bestehen etwa halbiert, was vor allem an der politischen Isolation und mangelnden Perspektiven für junge Menschen liegen dürfte.
Wenig Meinungsfreiheit, viel Wein
Vor Ort bekommt man davon, zumindest als Tourist, nichts mit. Die meisten Menschen, denen ich bei meinem 5-stündigen Aufenthalt im Land begegne, sind offen und freundlich – und extrem unkritisch. So kommt es dazu, dass mir zwar niemand die Frage beantwortet, warum es keinen unabhängigen Journalismus in dem Land gibt, ich aber von einem Mönch auf Russisch eingeladen werde, den im Kloster angebauten Wein zu probieren. Immerhin: Der schmeckt köstlich.
Auch interessant: Wie gründet man seinen eigenen Staat?
Übrigens: Vom Auswärtigen Amt wird Transnistrien zwar erwähnt, aber nur bei den Reise- und Sicherheitshinweisen für die Republik Moldau. Dort heißt es: „Reisende, die sich nach Transnistrien begeben, werden darauf hingewiesen, dass eine konsularische Betreuung durch die deutsche Botschaft Chișinǎu grundsätzlich nicht erfolgen kann.“ Das hört sich erst einmal einschüchternd an, aber nach einem Besuch kann ich sagen, dass man vor Ort definitiv nichts zu befürchten hat, wenn man sich an die Regeln hält. Tatsächlich sind die Menschen vor Ort sehr freundlich und offen gegenüber Touristen.
Folgenden Tipp sollten Sie aber beachten, wenn Sie alleine einreisen: Lernen Sie zumindest ein paar Vokabeln Russisch. Zum Beispiel „Ja ne govoryu po russki“ – „Ich spreche kein russisch“.
Must see in Transnistrien
Der Tourismuskomplex rund um die Burg Bender
Bender ist mit über 93.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Transnistrien. Die Festung wurde bereits im 16 Jahrhundert ausgebaut und diente als Sitz von osmanischen und später persischen Eroberern, noch später, um 1709, als Exil für die schwedischen und polnischen Könige und noch viel später, bis Ende der 90er, als russische Militärbasis. Mehr und mehr verfallen, wurde die Burg erst vor wenigen Jahren restauriert. Nun gibt es zudem noch ein Hotel und Restaurant und einen imposanten Vorplatz. Nicht versäumen sollten Besucher die berühmte Kanonenkugel des Baron Münchhausen, der ebenfalls hier stationiert war, auf die man für ein Foto klettern kann.
Das Kloster Noul Neamț in Chitcani
Das Kloster wurde 1861 gegründet und bestand bis Mai 1962. Damals wurde es von den sowjetischen Behörden geschlossen und wurde bis Ende der 80er Jahre als Krankenhaus genutzt. Die Klosterkirche wurde 1989 wiedereröffnet, 1991 folgte die rumänischsprachige Schule für orthodoxe Priester. Heute können Besucher das männergeführte Kloster besichtigen. Frauen sollten ein Kopftuch aufsetzen. Wer keins bei sich hat, kann sich vor Ort eins ausleihen.
Die Hauptstadt Tiraspol
Tiraspol ist das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum von Transnistrien. Die Universitätsstadt hat knapp 150.000 Einwohner und wurde 1792 von dem russischen Feldherrn Alexander Suworow gegründet, dem ein großes Denkmal am zentralen, nach ihm benannten Suworow-Platz gewidmet ist. Es empfiehlt sich auch, die Prachtstraße des 25. Oktobers entlangzugehen, das Mahnmal der Gefallenen zu besichtigen und sich das Rathaus, das Haus der Sowjets, anzuschauen.
Währung in Transnistrien
Euro werden nur als Scheine akzeptiert
Viele Transnistrier akzeptieren statt der Landeswährung, dem Transnistrischen Rubel, auch Euro – aber nur als Scheine, denn Münzen können bei der Bank nicht eingetauscht werden. Alternativ kann auch überall mit dem Moldawischen Leu gezahlt werden.
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Einreise nach Transnistrien
Mit dem Flugzeug nach Chișinǎu, der Hauptstadt Moldawiens und von dort mit dem Auto oder Bus nach Transnistrien. Es gibt auch Tour-Anbieter, z.B. Transnistria Tours, die dann die komplette An-, Ab- und Einreise organisieren. Wer länger als 24 Stunden in Transnistrien bleiben will, muss sich in einem Migrationsbüro registrieren lassen – ein Tagestrip ist daher empfehlenswerter.
Aktuelle Reisewarnung
Die Republik Moldau gilt weiterhin als Risikogebiet und ist von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen. Regionaler Schwerpunkt war bisher insbesondere die Hauptstadt Chișinǎu. Das Auswärtige Amt warnt vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in die Republik Moldau.