30. Juni 2018, 10:41 Uhr | Lesezeit: 12 Minuten
Von der Fußball-WM 2006 blieb in Deutschland ein Gemeinschaftsgefühl und eine Reihe neuer oder renovierter Stadien, die von den Vereinen intensiv genutzt werden. In wirtschaftsschwächeren Ländern sieht das häufig anders aus. Der erhoffte Aufschwung durch die Großveranstaltung und die millionenschweren Bauten bleibt aus, die Stadien werden zu sogenannten „weißen Elefanten“ und belasten den Steuerzahler mit noch mehr Kosten. Acht Beispiele.
Eine Fußball-Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele im eigenen Land auszutragen, ist zunächst eine Prestige-Sache. In zweiter Linie erhoffen sich die Staaten davon einen großen Touristen-Ansturm und damit verbunden wirtschaftliche Vorteile. Hotels und Gastronomie-Betriebe putzen sich heraus, die Infrastruktur wird ausgebaut und häufig werden in den größten Städten eines Landes Stadien eigens für die großen Sport-Veranstaltungen errichtet. Ob Um- oder Neubau, die Kosten bewegen sich meist in dreistelliger Millionenhöhe.
Die Austragungsorte können sich zwar mit renommierten Architektennamen und auffallenden Bauwerken im Stadtbild schmücken, doch sobald das Finale des Events gelaufen ist und die Sport-Fans abgereist sind, haben viele Länder häufig mit Leere in den Stadien und enormen Kosten zu kämpfen. Nicht selten müssen die von den Steuerzahlern aufgefangen werden – häufig ein Widerspruch zu dem, was den Bewohnern vor einer WM versprochen wird. Ein Aufschwung im Land durch steigende Besucherzahlen und vor allem Touristen werden als ein Ausblick auf die Zukunft dargestellt. Während es durchaus Menschen gibt, deren Interesse an einer Reise nach Brasilien oder Südafrika während einer Fussball-WM geweckt wurde, bringen diese Touristen dennoch bei Weitem nicht genug Geld ins Land, um die Folgekosten einer solchen Veranstaltung abzudecken.
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In Schwellenländern wie Brasilien und Südafrika sieht die Realität nach der WM ernüchternd aus. Der Aufschwung bleibt aus, vielen Städten fehlen Fussball-Mannschaften, die Stadien dieser Größe bespielen könnten, ebenso bleiben die Sport-Fans weg. Schließlich kostet die Unterhaltung und Instandhaltung der Stadien mehr, als sie Einnahmen generieren.
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Arena da Amazônia in Manaus, Brasilien
Das Stadion in der brasilianischen Stadt ist ein auffälliger Hingucker, den nach der WM 2014 wahrscheinlich nur noch die Einwohner vor Ort zu Gesicht bekommen. Denn Manaus liegt im Amazonas, mitten im tropischen Urwald. Der Weg dorthin wurde bereits während des Turniers zu einer Herausforderung. Regenmassen und Überschwemmungen verhinderten das Vorankommen. Mit dem Flugzeug oder Boot kommt man als Reisender meist am besten voran. Die Abgelegenheit des Stadions schreckt auch Künstler ab, die Manaus auf ihren Tourneen außer Acht lassen.
Die Arena da Amazônia kostete laut „New York Times“ rund 200 Millionen Euro, bietet Platz für etwa 44.000 Besucher, hat vier WM-Spiele erlebt – und nun gibt es nicht mal ein Team, das das Stadion nutzen könnte. Die Besucherzahlen waren bereits während der WM geringer als in den restlichen brasilianischen Städten. Inzwischen steht die Arena faktisch leer und verursacht lediglich Kosten. Denn einfach verfallen lassen will man sie natürlich auch nicht.
Cape Town Stadium in Kapstadt, Südafrika
Das Stadion wurde wie die Arena in Manaus vom deutschen Architekturbüro GMP Architekten erbaut, hieß zunächst Greenpoint Stadion und ist erst kurz vor der WM 2010 fertig geworden. Die transluzente Fassade, das einfallsreiche Design und die malerische Lage am Meer kostete Südafrika 340 Millionen Euro. 54.000 Besucher passen ins Stadion – aber so viele kommen selten. Obwohl in der Arena Konzerte von internationalen Künstlern stattfinden und die südafrikanische Nationalmannschaft für Begeisterung sorgt, können laut einem Bericht der „Zeit“ allein dadurch nicht genug Einnahmen generiert werden.
Der Fußballverein Ajax Cape Town ist in dem Stadion zwar zuhause, aber Fußball ist in Südafrika bei Weitem nicht so beliebt wie etwa Rugby. Rugby-Spiele finden aber in einem 12 Kilometer entfernten älteren, bereits abbezahlten Stadion statt. Wie die „Welt“ berichtet, führten die Proteste gegen das Cape Town Stadium zur Verzögerung des Baus vor der WM 2010 und hatten Jahre nach dem Event zur Folge, dass keine Bars, Shops und Restaurants im Stadion, die Geld hätten einbringen können, eröffnen durften. Anwohner forderten sogar den Abriss des Stadions.
Für die Lage des Stadions soll Ex-FIFA-Präsidente Sepp Blatter verantwortlich sein. Denn eigentlich sollte die Arena außerhalb des Stadtzentrums gebaut werden, damit wäre auch die Infrastruktur gewachsen und neue Gebiete wären erschlossen worden. Aber Blatter träumte von einem Stadion direkt am Meer – die Folgen bedachte er aber offenbar nicht.
Die meisten anderen Stadien in Südafrika mit Ausnahme des FNB-Stadions in Johannesburg, in dem der beliebte Fußballverein Kaizer Chiefs spielt, haben finanzielle Schwierigkeiten und brachten nicht den gewünschten Aufschwung mit sich. In einigen Städten wurden die Versprechen von einer ausgebauten Infrastruktur und weiteren Verbesserungen nie erfüllt, die Einwohner sind enttäuscht.
Arena Lviv in Lemberg, Ukraine
Im Jahr 2012 fand die Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine statt. Während die Planung und Umsetzung vor der EM in Polen gut voranging, gab es in der Ukraine immer wieder Probleme. Der Bau der Stadien in den vier Austragungsorten ging nur schleppend voran, es fehlten eine gute Infrastruktur und Hotels. Das 200-Millionen-Stadion in Lemberg in der West-Ukraine mit fast 35.000 Plätzen wurde für drei Vorrunden-Spiele der EM und einige Qualifikationsspiele für die WM 2018 genutzt.
Der Erstligist Karpaty Lwiw bespielte die Arena, aber konnte sich das Stadion auf lange Sicht schlichtweg nicht leisten. 2014 kehrte der Verein doch wieder zurück ins Stadion. Aber die Besucher bleiben aus. Das Interesse an Fussball ist im Zuge des Konflikts mit Russland eher mäßig. Selbst als der Verein Shakhtar Donezk, der aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen im Westen der Ukraine die Heimatstadt verließ und nach Lemberg wechselte, wuchs das Interesse nicht. Zudem wandern immer mehr Investoren der Klubs ab oder verlagern ihr Interesse weg von Sportvereinen. Die Haltungskosten von rund zwei Millionen Euro im Jahr sind weiterhin eine enorme Belastung für die ohnehin wirtschaftsschwache Region.
Olympiastadion in Montreal, Kanada
Das Stadion in Montreal wurde für 264 Millionen kanadische Dollar für die Olympischen Sommerspiele 1976 errichtet, wird bis heute intensiv genutzt und kann gute Besucherzahlen verzeichnen. Doch Baufehler in der Dachkonstruktion verursachten bereits kurz nach der Eröffnung Probleme, über die auch 40 Jahre später noch debattiert wird. Es dauerte laut einem Bericht des Magazins „Urbanized“ außerdem vier Jahrzehnte, bis die Millionen von Dollar und alle Folgekosten beglichen waren. Die Maßnahmen aufgrund der Risse und Schäden im Dach kosteten laut CBC im Jahr 2016 rund 500.000 Dollar. Außerdem darf das Stadion nicht benutzt werden, wenn mehr als drei Zentimeter Schnee auf dem Dach liegen – was die Arena in Kanada zwischen November und März meist unbenutzbar macht.
Auch in Montreal stand der Gedanke im Raum, das Stadion abzureißen, was Kosten von bis zu 500 Millionen Dollar bedeuten würde. Mit der Entscheidung für die WM-Austragung in den USA, Kanada und Mexiko im Jahr 2026 wird es nun doch noch eine Lösung für das Stadion in Montreal geben: Die Dachstruktur wird für 200 bis 300 Millionen Dollar erneuert. So sollen die alten Fehler behoben werden und die Arena wird ein Dach erhalten, das sich öffnen und schließen lässt – eine Grundvoraussetzung der FIFA für WM-Stadien.
Hwaseong Stadium in Hwaseong, Südkorea
Das Hwaseong-Stadion ist nicht etwa zur Fußball-WM 2002 errichtet worden, die Südkorea gemeinsam mit Japan austrug, sondern wurde erst 2011 eröffnet. Darin sollten vorwiegend Fußball-Spiele stattfinden und es wurde auch nicht für Olympischen Spiele 2018 genutzt. Doch welche Vereine die Arena mit 35.000 Plätzen nutzen soll, ist nicht klar. Es liegt in Hyangnam-eup, das nur etwa 70.000 Einwohner hat, und die pendeln häufig in die nahe gelegenen Städte Seoul und Suwon. Ein Bedarf für ein 160-Millionen-Euro-Stadion war in Hwaseong eigentlich nicht gegeben. Außerdem ist die Arena etwas abgelegen und ist schwer erreichbar. Das lokale Fußballteam Hwaseong FC nutzt das Stadion, kann aber weder viele Fans noch hohe Einnahmen vorweisen, die die millionenschwere Location rechtfertigen.
Estádio Nacional de Brasília Mané Garrincha in Brasília, Brasilien
Das Stadion in Brasiliens Hauptstadt wurde bereits 1974 eröffnet und war häufig Schauplatz von Sport- und Musik-Veranstaltungen, so auch während der WM 2014. Dafür musste es 2013 renoviert und mit insgesamt 72.000 Plätzen wiedereröffnet werden, was rund 600 Millionen Euro kostete – das überstieg die geplanten Kosten laut „Business Insider“ um das Dreifache. Sieben WM-Spiele fanden in dem Stadion statt und 2016 kam es für wenige Fußballspiele im Rahmen der Olympischen Spiele zum Einsatz.
Zwischenzeitlich war das Nationalstadion, das an die Handschrift des Architekten Oscar Niemeyer erinnert, zu einem Parkplatz für Busse der regionalen Verkehrsgesellschaft verkommen. Die monatlichen Kosten beliefen sich auf Summen im sechsstelligen Betrag, die weder die lokalen Fusßballmannschaften, noch die Stadt selbst tragen können. Die Teams weichen meist auf kleinere, kostengünstigere Stadien aus.
Arena Pantanal in Cuiabá, Brasilien
Die Entscheidung für Cuiabá als einen der Austragungsorte der Fußball-WM 2014 war zunächst eine Überraschung, wie der „Guardian“ berichtet. Die Stadt liegt weit im Inneren des Landes, fernab der beliebten Atlantik-Küste. Dennoch wurden 250 Millionen Euro in den Bau des Stadions gesteckt. Es wurde nur mit starken Verzögerungen kurz vor der WM fertiggestellt.
Nur ein Jahr nach der WM musste das Stadion aufgrund von Baumängeln schließen. Starker Regen hatte einen Schaden am Dach verursacht, die Klimaanlagen waren ausgefallen und mussten repariert werden. Laut Medienberichten lebten während der monatelangen Schließung des Stadions sogar Obdachlose in den Kabinen.
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Fisht Olympic Stadium in Sotschi, Russland
Das Olympiastadion kostete rund 700 Millionen Euro, wurde für die Olympischen Winterspiele 2014 errichtet und dann für die Fußball-WM 2018 um 8.000 Plätze auf 48.000 erweitert. Der Umbau kostete erneut 50 Millionen Euro. Während Sotschi ein beliebter Ferienort am Schwarzen Meer ist, wird das Stadion weitestgehend von den Besuchern vernachlässigt. Es gibt keinen lokalen Klub, der sich das Spielen in dem Stadion überhaupt leisten könnte. Daher steht es vorwiegend für die Nationalmannschaft zur Verfügung, die aber auch nur selten dort einkehrt.
Das Olympiastadion von Sotschi entspricht modernen Baustandards, was aber nach den insgesamt sechs WM-Spielen, die dort stattfinden, passieren soll, ist nicht ganz klar. Touristen, die die nach Sotschi kommen, können das Stadion besichtigen, und die Hoffnung auf weitere Events wie etwa Konzerte bleibt. Ob die Arena außerhalb internationaler Fußball-Partien allerdings ein Publikum von 40.000 Personen anzieht, ist fragwürdig.
Den Stadien in Russland droht ein ähnliches Schicksal
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 findet in elf Städten und insgesamt 12 Stadien in ganz Russland statt. Trotz Negativbeispielen aus Brasilien und Südafrika baute man ein Stadion in Kaliningrad, eine Stadt in der gleichnamigen Exklave Russlands zwischen Polen und Litauen. Vier WM-Spiele werden in dem Stadion mit insgesamt 35.000 Plätzen stattfinden. Der Bau hat 350 Millionen Euro gekostet. Nach der WM 2018 soll der einzige nennenswerte Fußballverein in der Stadt, FC Baltika Kaliningrad, vor Ort spielen. Der FC Baltika spielt in der 1. Division, was entgegen des Namens die zweithöchste Klasse im russischen Fußballs ist. Doch die Einwohner vermuten, dass das Stadion ein paar Nummern zu groß ist für die lokale Fußballmannschaft. Welche Alternativen es für die Arena in Kaliningrad geben könnte, ist bisher nicht klar.
Das Luzhniki-Stadion in Moskau, das 1956 eröffnet wurde, musste vor der WM umgebaut und renoviert werden. Mit den letztendlich verwendeten 800 Millionen Euro sprengte man in Russland jeglichen Kostenrahmen, denn die Endsumme war zehn Mal höher als zunächst veranschlagt. Wie das ZDF außerdem berichtet, wiesen die Verantwortlichen jegliche Korruptionsvorwürfe zurück und begründeten die enormen Kosten mit fortlaufenden Schäden am Dach des Stadions durch Kormorane, eine Vogelart, die in bestimmten Gebieten auf allen Kontinenten der Welt vorkommt – jedoch nicht in Moskau. Die Anzahl der Sitze in manchen russischen Stadien werden nach dem WM-Ende wieder reduziert, dennoch gilt die diesjährigere Veranstaltung als teuerste WM der Geschichte.
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Die Kontroverse um Katar
Die Fußball-WM 2022 wird in Katar stattfinden, eine Entscheidung, die heftige Kritik nach sich gezogen hat. Albert Speer junior steuerte die Entwürfe für acht WM-Stadien bei. Er und sein Architekturbüro setzen nach eigenen Angaben auf Nachhaltigkeit. Die Stadien sind rückbaubar, können mit Solarenergie heruntergekühlt werden, was bei den hohen Temperaturen in dem Staat notwendig sein wird. In Katar wurde versprochen, nach der WM den Transport der Einrichtungen in ärmere Länder zu finanzieren, wo die Stadien weitergenutzt werden sollen. Gleichzeitig kritisiert Speer Stadien wie im brasilischen Manaus, die nun kaum mehr genutzt werden. Einen Auftrag aus Manaus hätte er aber dennoch nicht abgelehnt, sagte er in einem Interview.
Auch Zaha Hadid Architects haben Aufträge für die WM 2022 erhalten, so zum Beispiel das Al-Wakrah-Stadion. Beim Bau der Stadien sollen Hunderte von Arbeitern gestorben sein. Darauf angesprochen sagte die inzwischen verstorbene Zaha Hadid laut „Guardian“, sie habe nichts mit den Arbeitern zu tun. Sie zeigte sich betroffen von den zahlreichen Toten, doch betonte auch, dass das Problem eine Sache der Regierung in Katar sei. Auch Albert Speer stellt klar, dass die politische Lage und die Planung der Stadien relativ wenig miteinander zu tun haben. Das Verhältnis der Austragungsorte zu Menschenrechten ist zumindest in der Architektur kein großes Thema. Ob die nachhaltige Umsetzung der WM-Stadien in Katar so funktioniert wie geplant und welchen Nutzen die Bewohner des Landes letztendlich von dem Event haben, bleibt abzuwarten.