27. Juni 2019, 12:45 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Eigentlich liegen nur etwas mehr als 2000 Kilometer zwischen Bilbao und Berlin. Aber sogar die direkte Strecke möchten wahrscheinlich nur die wenigsten mit dem Fahrrad bewältigen. Was die Amateur-Radler Andreas Bucher-Weberling und Lars Mühlpfordt vorhaben, ist eine Radtour der außergewöhnlichen Art: 4200 Kilometer, quer durch die Pyrenäen und durch die Alpen, dann erst zurück nach Berlin. Insgesamt haben die 54 geplanten Etappen mehr als 70 Höhen-Kilometer – es geht also mehr 70 Kilometer senkrecht nach oben! Zum Vergleich: Die Tour de France 2019 ist 3460 Kilometer lang, verteilt auf 21 Etappen. TRAVELBOOK traf sich mit den beiden zum Interview und wollte wissen, warum sie sich solchen Strapazen aussetzen?
Ganz oben stehen. Auf dem Gipfel. Die Beine schmerzen, die Lunge brennt. Einzig der Blick entschädigt für alles. Für alle Qualen, für jeden schmerzhaften Tritt in die Pedale, für das stundenlange Kurbeln, um jede Serpentine hinter sich zu lassen, dem Ziel immer näher zu kommen. Jetzt dieser Ausblick. Auf Täler und Schluchten, auf kleine Städte und Dörfer, auf Wolken und Wetter. Und immer im Hinterkopf: Sie haben es ganz alleine geschafft zu haben, hier hochzukommen und jetzt hier zu stehen. Allein dieses Gefühl lässt Adrenalin durch den erschöpften Körper strömen.
Andreas Bucher-Weberling und Lars Mühlpfordt sind keine Profi-Radfahrer, sondern einfach nur dem Radsport verfallen. Die Berliner haben ihn zum Hobby gemacht und sind mittlerweile süchtig geworden nach den Bergen und der Natur, nach dem unnachahmlichen Gefühl, dort oben auf dem Gipfel zu stehen. Also haben sie sich eine ganz besondere Tour ausgedacht – es soll die Tour ihres Lebens werden.
Viele Tour-de-France-Pässe
Startpunkt ist Bilbao im Norden Spaniens. Warum dort? Mühlpfordt: „Bilbao kann man von Berlin direkt anfliegen und ist das Nächste, was an den Pyrenäen liegt.“
Von dort aus geht es einmal quer über die Pyrenäen. Also nicht einfach nur einmal von der spanischen Seite rüber auf die französische, sondern quer rüber über die Bergkette. Quasi vom Atlantik zum Mittelmeer. Immer wieder hoch und runter, rauf die Berge und wieder ins Tal.
„Wir nehmen aber nicht alle Pässe mit“, sagt Mühlpfordt. Als „Pass“ ist in diesem Zusammenhang der Weg von einem Tal bis ins nächste gemeint – also einmal komplett rüber über den dazwischenliegenden Berg. Mühlpfordt weiter: „Wir nehmen viele Pässe, die bei der Tour de France vorkommen, die man also aus dem Fernsehen kennt. In den Pyrenäen fahren wir zum Beispiel den Tourmalet, das ist einer der berühmtesten Berge der Tour.“
Die Tour de France ist für viele Sport-Experten der härteste Sport-Wettwettbewerb der Welt. Die Profis fahren fast drei Wochen lang jeden Tag bis zur Erschöpfung. Genau das aber wollen Bucher-Weberling und Mühlpfordt verhindern. „Was wir machen, ist Radreisen. Das ist kein Rennen. Uns geht es nicht darum, persönliche Rekorde aufzustellen, wir wollen auch nicht jeden Tag 120 Kilometer wegschmirgeln“, sagt Bucher-Weberling.
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Das Dach der Tour
Nach den Pyrenäen geht es an der französischen Küste bis zur Côte d’Azur und nach Nizza, wo es ein paar Tage Ruhepause gibt – nicht ohne Grund: Denn danach stehen die Alpen auf dem Programm. Dort wartet dann auch das sogenannte Dach der Tour, also der höchste Punkt der Reise: der Col de la Bonette in Frankreich. Bucher-Weberling: „Da sind wir dann bei 2862 Höhenmetern.“
Kann es da dann nicht Probleme mit der Luft und dem Sauerstoff geben? Bucher-Weberling: „Ne, wird’s nicht geben. Es ist einfach nur geil da oben! Wenn du da auf dem Gipfel stehst, guckst du ringsum einfach nur auf alles und du weißt, du bist hier selbst hochgefahren. Das ist so ein geiles Gefühl, das muss man erlebt haben, das kann man nicht beschreiben.“
Das Ende der Alpen markiert Bregenz in Österreich. Von da sind es dann ja nur noch knapp 1300 Kilometer bis Berlin. Das Ausrollen quasi.
Bei der Frage zu steilen Bergen, ob sie dann auch mal ihr Fahrrad schieben würden, lachen sie herzhaft. „Nein, geschoben wird nicht. Keinen Meter! Manchmal steigen wir ab, machen eine Pause, klar. Aber wir schieben das Fahrrad samt Gepäck nicht den Berg hoch! Ehrenkodex, versteht sich.“ Es könne sogar ein echtes Problem sein, erklärt Mühlpfordt. Bei einer Steigung von beispielsweise 18 Prozent könne man das Fahrrad gar nicht schieben, denn unter den speziellen Radschuhen seien die Click-Elemente geschraubt, die ein Schieben an so einer steilen Stelle kaum möglich machten. Das Gehen an sich sei mit den Schuhen schon mühsam. Noch schwieriger werde es dann, wenn man wieder losfahren wollen würde – das sei so gut wie unmöglich.
„Man ist der Natur ausgesetzt“
Aber warum quält man sich überhaupt freiwillig auf derartige Weise, möchte TRAVELBOOK wissen? „Es ist einfach geil. Man muss es einmal gemacht haben: Auf einem Gipfel oben zu stehen und ihn mit eigener Kraft bezwungen haben. Sowas muss natürlich ein bisschen in deiner DNA behaftet sein, dass du auf sowas stehst. Dann, so war es bei mir, habe ich mir immer Berge ausgesucht, die noch höher sind und Touren, die immer extremer werden“, sagt Bucher-Weberling.
„Alpe d’Huez zum Beispiel war gar nicht so schwierig, wie wir dachten. Da geht es so gleichmäßig rauf, da sind keine Rampen drin, das ging ganz gut.“ Alpe d’Huez ist einer der mythischen Berge der Tour de France, seine Serpentinen bei Profis wie Amateuren gefürchtet wie geliebt. Jeder Radsport-Fan träumt davon, einmal dort hochzufahren – die beiden haben es 2018 gemacht. Mühlpfordt: „Das, was wir machen, sind aber eben keine Rennen. Wir machen das wegen der Aussichten.“
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Bucher-Weberling ist nicht mehr zu bremsen: „Man ist der Natur so ausgesetzt – im Positiven wie im Negativen. Wir sind mal auf einer unserer ersten gemeinsamen Touren in einen Hagelschauer gekommen, kurz vor einem Gipfel. Zum Glück stand in einer Kehre eine alte, verlassene Hütte. Sonst war da nichts weit und breit. Wir sind da rein, pitschnass, und haben uns erstmal komplett umgezogen. Und gewartet. Mit einem Mal ist der Himmel plötzlich aufgerissen. Er war zwar immer noch pechschwarz, aber wir konnten ins Tal runtergucken. Dazu knallte die Sonne auf den Hang, das war ein Anblick: unbeschreiblich! Man erlebt die Natur einfach anders, als wenn man mit dem Auto verreist.“
„Nur zwei Schlüpfer dabei“
Vorteil einer Autoreise aber wäre doch, dass man ausreichend Gepäck mitnehmen kann. Das ist auf dem Fahrrad ein Problem – was packen die beiden ein? „Nur das Nötigste“, sagt Bucher-Weberling zu TRAVELBOOK. Das heißt: Zelt, Schlafsack, Kochzeug, Radklamotten, zwei T-Shirts, aber keine Jeans. „Ich habe auch nur zwei Schlüpfer dabei”, verrät Mühlpfordt – und bittet TRAVELBOOK im Scherz, das lieber nicht zu schreiben. Warum nur so wenig Unterwäsche? „Na ja, unterwegs trage ich keinen Schlüpfer, sondern eine Radhose, die man ein paar Tage tragen kann, dann passt das schon.“
Lauern unterwegs auch irgendwelche Gefahren? Da seien auf jeden Fall die Autos zu nennen, vor allem in den Serpentinen. „Die überholen dann auch noch dicht und viel zu schnell“, sagt Mühlpfordt. Natürlich seien auch die Abfahrten mit einem gewissen Risiko verbunden. Bucher-Weberling: „Da hat man schon mal 80 oder 90 Sachen drauf. Aber wir bremsen da lieber einmal zu viel als zu wenig. Das reine Radfahren ist immer so gefährlich, wie man es selbst zulässt.“
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Gefährlich, anstrengend, intensiv, qualvoll – die Radtour von Bucher-Weberling und Mühlpfordt hat viele Facetten und wird viele Abenteuer parat haben. Doch am Ende zählt immer nur das Gefühl, auf dem Gipfel zu thronen und zu wissen, dass man ihn mit eigener Kraft bezwungen hat. Das allein ist Motivation genug, damit die beiden zu der Tour ihres Lebens aufbrechen.
Alle Infos zu der Radreise finden Sie HIER auf der Website. Zusätzlich unterstützen die beiden mit ihrer Radtour noch eine Spendenaktion, die Geld für Fahrräder für Afrika sammelt. Infos dazu finden Sie HIER.