26. Mai 2023, 19:37 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Schweden hat einen neuen Superradweg: den 640 Kilometer langen Vänerleden rings um den gleichnamigen See. Er bietet keine Wildnis, aber einen Mix aus allem, was Mitteleuropäer an Skandinavien lieben.
Die bunten Holzhäuser und Segelschiffe von Mariestad liegen erst ein paar Minuten zurück, da kommt die erste Fernradlerin entgegen: eine junge Frau auf ihrem schwer bepackten Tourenrad. Oha, denkt man sich, da radelt der Trend. Doch Johan Odh winkt ab. „Rennradeln und Mountainbiken sind in Schweden beliebt“, sagt der drahtige Mittvierziger, der hier als Guide und Radhändler arbeitet und mit mir an der Südküste des Sees unterwegs ist. Das Reisen per Tourenrad ist weniger gefragt. Also falsch gedacht. Von einem Trend ist keine Rede – noch zumindest. Auf dem Land fahren die meisten Schweden Auto, abgetrennte Radwege gibt es bisher kaum. Doch das soll sich nun offenbar ändern. Jedes Jahr werden neue Fernradwege eröffnet, sieben von ihnen sind mittlerweile als nationale Radtourismuswege zertifiziert. Der mit Abstand längste von ihnen ist der 2022 eingeweihte Vänerleden. 640 Kilometer weit führt der Radweg rings um den Vänern, den größten See des Landes, acht bis zehn Tage dauert die gesamte Runde.
Das Ziel der Planer war es, die Route so nah wie möglich am Seeufer entlangzuführen. Und so wenig Teerstraße wie möglich einzubauen. Warum, erlebt man bald. Kurz hinter Mariestad überholt ein Auto aggressiv eng, ein anderes hupt. Zum Glück biegt Guide Johan kurz darauf in einen Waldpfad.
Vänern-Radweg bietet viel typisch Skandinavisches
In fast jedem Dorf am Wegesrand könnte man eine Schwedenschnulze à la Inga Lindström drehen. Überall rote Holzhäuser mit weißen Sprossenfenstern, eingewachsen mit wildem Wein und Blumen. Nach einer Mittagspause geht es den Kinnekulle hinauf. Der blühende Berg, wie er auch genannt wird, lockt viele botanisch Interessierte. „Dieser Ort ist süßer als jeder andere“, schrieb der berühmte Naturforscher Carl von Linné im 18. Jahrhundert.
Auf den früheren Weiden wachsen viele seltene Arten. Im Mai bedecken Teppiche von Bärlauch und Gelben Windröschen die Hänge, manche Eichen sind viele Jahrhunderte alt. Im Bergwald leben tausende Hirsche. Ihre Vorfahren wurden einst von den Großgrundbesitzern für die Jagd ausgewildert und haben sich fleißig vermehrt. „Sie fressen alles im Garten“, sagt Johan, „ich habe aufgegeben, irgendwas anzupflanzen.“
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Gipfelgefühle auf den Kinnekulle
Steil geht es hinauf. Eine Eule flattert über den Pfad, ein Seeadler segelt hoch über dem Wald. Der Kinnekulle ist Johans Hausberg, mehrmals pro Woche strampelt er seine Hänge hinauf. Es geht vorbei an einem See in einem Steinbruch, auf seinem klaren Türkis gleiten ein paar Stand-up-Paddler dahin. In den vergangenen Jahren wurden hier neue Grillplätze angelegt, Toiletten aufgestellt und der Wanderweg ums Ufer ausgebaut. Der Campingplatz ist voll besetzt. Hinter dem See radelt Johan noch mal energisch bergan.
Der Erdpfad endet auf einer Lichtung: dem Gipfel des Kinnekulle. Damit man hier, in 306 Metern Höhe, auch Gipfelgefühle bekommt, wurde schon 1892 ein 19 Meter hoher Aussichtsturm gebaut.
Von oben überblickt man den stahlblauen Vänern, in der Ferne glänzen Windräder und die weißen Türme von Schloss Läckö auf einer walddunklen Halbinsel. Der See ist weit wie ein Meer, selbst an diesem ruhigen Tag tänzeln weiße Schaumkronen übers Blau. An stürmischen Tagen türmten sich die Wellen zwei Meter hoch, sagt Johan. Im vergangenen Sommer ertranken zwei junge Deutsche, die im Kajak zur Inselgruppe mitten im See paddeln wollten.
Auf geschwungenen Pfaden und schmalen Trails brettert Johan durch Wald und Wiese vom Gipfel hinunter nach Trolmen. Dort endet der Tag in einem Bed and Breakfast, von der Terrasse blickt man über sonnengeflutete Weiden, auf denen kräftige Kühe grasen. Im Sommer kämen viele Norweger und Schweden, um am Vänern zu campen und zu baden, erzählen die jungen Besitzer der Unterkunft. Der See mag nicht so klar sein wie der tiefere Vättern, der nur etwas weiter südöstlich liegt. Dafür sei er deutlich wärmer.
Sommeridylle vor der Stadt
Der nächste Tag bringt reichlich Gelegenheiten, das zu prüfen. Gleißende Morgensonne lässt das wogende Gras leuchten, zwei Störche staksen über ein Feld. Die Stollenreifen rollen über eine autofreie Landstraße, an der ein paar Höfe mit hallengroßen Scheunen liegen. Ansonsten nichts als weites Land. An jeder Kreuzung oder Abzweigung leiten hier die signalroten Schilder des Vänerleden. Trotzdem kommt man schon nach ein paar Kilometern vom Weg ab – allerdings mutwillig und bester Laune. Denn am Blombergs Badplats dürfe man nicht vorbeiradeln, sagten drei Wanderinnen aus Stockholm am Vorabend.
Die seichte Bucht rahmen rundgeschliffene Felsplatten, Schilf, Birken und Kiefern ein. Eine Kette felsiger Inselchen schirmt sie von den Wellen ab. Sediert vom Baden kurvt man später zwischen Sommerhäuschen auf Stelzen hindurch. Jenseits einer weiten Bucht sind die Industrietürme von Lidköping zu sehen. Die Idylle endet an Gleisen. Ihnen folgt der Radweg schnurgerade in die Stadt, vorbei an Baumärkten und Bungalows.
Lidköpings Zentrum aber ist hübsch. Den weitläufigen Neustadtplatz – Nya Stadens torg – dominiert das alte Rathaus: ein vierstöckiger, blutroter Turm. Durch den Hafen, vorbei am Rörstrand Museum für Porzellan und am Vänermuseet radelt man hinaus in die Vorstadt mit ihren tipptopp gepflegten Häusern.
Die Felspalisaden der Tafelberge
Am Stadtrand endet die fürsorgliche Beschilderung. Ohne die Karte der Vänerleden-Webseite und eine GPS-App wäre man nun verloren – was aber nicht so schlimm ist. Denn so kann man seine eigene Route basteln, Umwege abkürzen und dafür Abstecher einbauen. Den restlichen Tag ist der See nur noch aus der Ferne zu sehen – oder gar nicht. Vorbei an Äckern, Feldern und Bauernhöfen schlägt der Väner-Radweg jetzt muntere Haken.
Das Tagesziel ist schon Stunden vorher zu sehen: die langgestreckten Rücken von Halle- und Hunneberg, die aus der Ebene emporragen. Je näher man kommt, desto beeindruckender werden die Felspalisaden der Steilwände. Als der Vänerleden zu ihren Füßen auf einen steilen Waldweg biegt, wird einem klar: Die Route führt nicht durch ein Tal, sondern über diese beiden Tafelberge hinweg.
Angeblich sollen hier selbst für schwedische Verhältnisse viele Elche umherstreifen. Generationen von schwedischen Königen haben auf Halle- und Hunneberg gejagt. Leider bleibt fürs Jagdmuseum – Kungajaktmuseet Älgens Berg – mit seinen ausgestopften Elchbullen keine Zeit mehr, ebenso wie für die Bergseen des Hochplateaus. Das Abendessen ruft.
Also hinunter nach Vänersborg. Klares Wasser strömt um Inselchen, die mit Heide und Büschen bewachsen sind. Im Stadtpark sind Metallleitern und ein Sprungbrett in die Uferfelsen geschraubt. Ein Freibad im schönsten Sinne.
Ach ja, denkt man beim letzten Blick über rund geschliffene Felsinselchen und den weiten See: Schwede müsste man sein.
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Der Vänern-Radweg – wichtige Infos
Anreise
Der Nachtzug der Bahngesellschaft Snälltåget und der SJ EuroNight fahren von Berlin über Hamburg und Kopenhagen nach Malmö. Dort steigt man in den Zug nach Göteborg um, wo es Zug- und Busverbindungen zu den Städten am Vänern gibt. Eine Alternative ist die Fähre von Kiel nach Göteborg. Und aus mehreren deutschen Städten gibt es Direktflüge nach Göteborg.
Logistik
In allen größeren Orten am Vänern lassen sich Fahrräder leihen. Rings um den See fahren viele Regionalzüge, in denen man Räder mitnehmen darf.
Mit Material von dpa