24. März 2021, 6:17 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
In Deutschland gibt es zahllose schöne Wanderwege, aber keiner ist wohl so außergewöhnlich wie der nahe der kleinen Stadt Neckarwestheim – denn er führt mitten über das Gelände des dortigen Atomkraftwerks.
Wer sich zwischen den Orten Neckarwestheim und Gemmrigheim in Baden-Württemberg auf Wanderschaft begibt, den erwartet ein echtes Kuriosum. Direkt auf der Grenze der beiden Landkreise Ludwigsburg und Heilbronn verläuft am Neckar-Fluss ein Wanderweg, der wohl weltweit einzigartig ist: Er führt über das Gelände des aktiven Atomkraftwerks Neckarwestheim.
Der Weg ist laut der „Stuttgarter Nachrichten“ gerade einmal 438 Meter lang, die Strecke ist man in etwa fünf Minuten gewandert. Aber wer jetzt denkt, man könne einfach so auf das Gelände spazieren, wird enttäuscht. Am Tor des Kraftwerks befindet sich ein Schild mit der Aufschrift „Benutzer des Uferwegs bitte läuten“.
Kaum Sicherheitsvorkehrungen
Folgt man dieser Anweisung, erscheinen nach ein paar Minuten Wachmänner mit Hunden, die einen bei der kurzen Wanderung über das Gelände begleiten. Fotos zu machen ist auf dem Gelände nicht gestattet. Die eigentliche Sicherheitszone des Kraftwerks ist noch einmal mit einem Stacheldrahtzaun gesichert, um allzu neugierige Besucher fern zu halten. Der Kraftwerkbetreiber EnBW sagt auf TRAVELBOOK-Anfrage dazu: „Der Weg befindet sich am äußeren Rand des Geländes und liegt außerhalb weiterer Sicherungszonen des Kraftwerks.”
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Zudem werden maximal fünf Wanderer gleichzeitig über das Gelände geleitet, um den Überblick zu bewahren – größere Gruppen werden unterteilt. Laut Auskunft des Kraftwerkbetreiber EnBW nutzen den Weg aber auch gerade mal ein paar hundert Menschen im Jahr. „Aktuell – während der Coronavirus-Pandemie – achten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort selbstverständlich auch auf die Einhaltung der jeweils aktuell geltenden Kontaktbeschränkungen. Es gilt Masken- und Abstandspflicht bei der Passage, dementsprechend wurden auch schon Wanderer ohne Masken abgewiesen.”
Uraltes Wegerecht
Dass es diesen Weg überhaupt noch gibt, ist laut der Lokalzeitung „Die Stimme“ Helmut Klass zu verdanken, der von 1954-86 Bürgermeister in Gemmrigheim war. Als der Bau des Kraftwerks Neckarwestheim feststand, bestand Klass darauf, den alten Treidelpfad zu erhalten. Jahrhundertelang hatten hier Menschen und Pferde Kähne aus eigener Kraft über den Neckar gezogen. Klass beharrte also auf dem Wegerecht, die Kraftwerkbetreiber stimmten zu. „Das alte Wegerecht besteht nach wie vor und wird von der EnBW respektiert bzw. umgesetzt. Die Passage ist möglich, solange keine betrieblichen Gründe dagegensprechen. Wenn z. B. Arbeiten im Bereich des Weges durchgeführt werden, ist die Passage nicht möglich.”
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EnBW macht aber auch klar, dass man ohne die Verpflichtung dazu wohl kaum Besucher über das Gelände spazieren lassen würde: „Wir haben nun mal dieses alte Wegerecht. Und wir betreiben dafür einen großen Aufwand.“ Tatsächlich kann der Weg aber in Einzelfällen gesperrt und der Zugang verweigert werden – so war es etwa nach den Anschlägen auf das World Trade Center 2001.
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Der Weg wird weiter bestehen
Dennoch besteht der Wanderweg bis heute, auch wenn EnBW bereits versucht hat, mit Anwohnern über eine Umgehung zu verhandeln, die um das Kraftwerk herumführen würde. Jedoch ohne Erfolg, denn das würde einen Umweg von mehreren Kilometern bedeuten. Um den Wanderweg zu sperren, müssten die beiden Gemeinden verzichten.
Könnte es 2022 dennoch vorbei sein mit dem jahrhundertealten Weg? Dann soll planmäßig das Atomkraftwerk Neckarwestheim vom Netz gehen. Trotzdem wird der Wanderweg nicht gesperrt werden, versichert EnBW. „Für den Rückbau einer Anlage erwarten wir eine Dauer von etwa 10 bis 15 Jahren. Die EnBW wird dementsprechend noch längere Zeit am Standort Neckarwestheim tätig sein, und am Wegerecht ändert sich durch die Abschaltung und den Rückbau der Anlagen auch nichts.”