25. Juni 2023, 13:12 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
In den letzten Jahren hört man immer wieder Schreckensmeldungen wie „Der Harz stirbt!“ Was dabei meistens allerdings nicht erwähnt wird, ist, dass sich diese vor allem auf den Nationalpark Harz beziehen. Und dieser macht nur einen Bruchteil der Fläche der wunderbaren und größtenteils völlig gesunden Region aus. TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann wandert hier jährlich mehrere hundert Kilometer und verrät, welche Strecken sich noch lohnen.
„Der Harz stirbt vor unseren Augen.“ „Hier stirbt die Natur!“ „Waldsterben im Harz.“ Solche mehr oder weniger dramatischen Meldungen geistern seit Jahren durch die deutschen Medien, wenn von einem der vielseitigsten und schönsten Wanderreviere in Deutschland die Rede ist. Und tatsächlich, wer die Bilder von kahlen Flächen und toten Bäumen sieht, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt mit der Natur. Was viele Medien aber bedauerlicherweise verschweigen: Ja, der Harz stirbt – aber nur ein ganz kleiner Teil von ihm. Und auch dieser hat längst wieder begonnen, sich selbst zu heilen.
An dieser Stelle will ich es als großer Harzfreund deshalb noch einmal deutlich sagen: Die Katastrophenmeldungen, die uns aus der Region erreichen, beziehen sich vorrangig auf den Nationalpark Harz. Und der macht gerade mal etwa ein Zehntel der Fläche des gesamten Gebietes aus. Ja, ich will es nicht verleugnen: Rund um den Brocken sind, wohin das Auge auch reicht, Bäume abgestorben. Ganze Wälder, die der Borkenkäfer und die Dürre befallen haben, wurden vorsorglich gerodet. Wer hier wandert, den erwartet nichts als Trostlosigkeit. Vor allem, wenn man die Region aus früheren Jahren kennt, als sie noch größtenteils gesund und dicht bewaldet war. Doch das ist eben nur ein kleiner Teil der Geschichte.
Schwindende Touristenzahlen
Ich gehe jedes Jahr mehrere hundert Kilometer im Harz wandern und kann Ihnen eines aus vollem Herzen versichern. Der Harz als Region ist nicht tot, sondern im Gegenteil sehr lebendig und immer noch wunderbar vielseitig. Nehmen wir zum Beispiel einmal das Bodetal, dem ich an anderer Stelle in diesem Magazin bereits ob seiner Schönheit einen ganzen Artikel gewidmet habe. Ostdeutschlands größte und spektakulärste Schlucht ist immer noch großflächig bewaldet, in den Niederungen um die Wanderwege findet man unzählige Blumen und Pflanzenarten wie die Teufelskralle, den Waldmeister, wilden Bärlauch und verschiedene Hahnenfußgewächse, die die etwa 12 Kilometer lange Strecke in eine blühende Pracht verwandeln.
Die Bäume stehen hier dicht an dicht, genauso wie in kleinen Orten wie Treseburg und Altenbrak, die direkt aus einem Märchenbuch gefallen zu sein scheinen. Hier kämpfen die Gastwirte jetzt schon tapfer gegen den Touristenschwund, den solche eingangs erwähnten Meldungen leider im gesamten Harz deutlich spürbar verursachen. Die neuen Betreiber der Pension Sternschnuppe beispielsweise haben für jüngeres Publikum ein Zelt- und Hängemattenhotel direkt an der rauschenden Bode geschaffen und veranstalten auch Musikabende mit Gitarre unter dem klaren Sternhimmel, den hier kaum ein Licht trübt. Altenbrak hat schon der Dichter Theodor Fontane ob seiner Schönheit besungen. Ein nach ihm benanntes Café bietet tolle Ausblicke über den hier völlig gesunden Mischwald.
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Wandern im Harz – alte Grenzwege
Vor allem ab Thale, wo auch der Bodetalweg startet, gibt es im Harz zahllose schöne Strecken durch gesunde Natur zum Wandern. Hier dominiert ein wunderbar tiefer und von Vogelgezwitscher erfüllter Mischwald aus Buchen, Eichen und anderen Arten, der den Wanderer auch auf Distanzen begleitet, die sich über mehrere Tage erstrecken. Wer in Richtung Bad Suderode wandert, das bereits im 17. Jahrhundert als Heilbad erwähnt wurde, trifft mitten im Wald auf die Ruine der Lauenburg, von deren Turm aus man einen spektakulären Blick ins Land hat. Höhepunkt hier für Naturliebhaber ist aber eine alte Linde, die wie auf den berühmten Bildern vom Tempel Angkor Wat direkt aus dem alten Gemäuer wächst, und deren mächtige Wurzeln sich wie Stützpfeiler in alle Richtungen erstrecken.
Auch die alte Grenze zwischen Preußen und dem ehemaligen Fürstentum Anhalt-Bernburg kann man hier erwandern. Wer genau hinsieht, erkennt am Wegesrand noch die verwitterten Grenzsteine. Markiert sind sie mit einem Bären (Anhalt) oder einem Adler (Preußen). Der Weg führt über eine anspruchsvolle Strecke, teilweise hunderte Meter auf und ab. Viele der Hügel eröffnen eine einmalige Sicht auf das weite Land unter ihnen. Eine erfrischende Rast bietet sich dann hinter Gernrode am Osterteich an, der eigentlich ein kleiner See mit herrlich klarem und kaltem Wasser ist. Hier, mitten im Wald, befindet sich auch eine Haltestelle der teilweise noch dampfbetriebenen Selketalbahn, die müde Wanderer bei Bedarf auch schnell wieder zum nächsten Ort bringt. Das gesamte Streckennetz im Harz finden Sie hier.
Täler ohne Handyempfang
Ganz in der Nähe befindet sich dann mit dem Steinbruch Harzer Grauwacke eine weitere skurrile Sehenswürdigkeit, eingerahmt wiederum von dichtem und gesundem Wald. In dem Tagebau wird das gleichnamige Gestein abgebaut, das weltweit im Straßenbau gefragt ist. Ab hier kann man sich dann auch auf dem Selketalweg weiter bewegen. Einem der vielleicht schönsten Wege zum Wandern im gesamten Harz. Nicht nur führt er durch nahezu unberührte Natur, in der man zudem kaum Menschen trifft. Es gibt auch etliche Sehenswürdigkeiten aus der Vergangenheit des Harz zu bestaunen. So etwa das prunkvolle Schloss Ballenstedt im gleichnamigen Ort, das man für fünf Euro auch besichtigen kann. Highlight ist hier unzweifelhaft die alte Kirche mit der Grablege von Albrecht dem Bären, einem mächtigen Herrscher aus dem Askanier-Geschlecht.
Das schönste Stück des Selketalweges beginnt aber hinter Meisdorf, nur ein paar Kilometer weiter. Hier verläuft der Wanderweg größtenteils im Flachland direkt neben dem ihm namensgebenden Fluss. Gemächlich gluckernd windet er sich durch das gesamte Tal. Bachforelle und Neunauge sind in dem klaren Quell genauso zu Hause wie Gebirgsstelze und Wasseramsel. Entlang der Strecke, gesäumt mitunter von jungen Kastanien, findet sich außerdem ein Trimm-Dich-Parkour mit verschiedenen Hindernissen. Hier stehen auch besonders auf kleine Wanderer zugeschnittene Erklärtafeln. Sie bringen schon den Jüngsten die Natur des Harz nahe. Nur Handyempfang sucht man zwischen den satt bewaldeten Hügeln, die das Tal einkesseln, meist vergeblich. Was für mich allerdings ein eindeutiges Plus ist.
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Burgen, Campingplätze und ein Funken Hoffnung
Wer ein wenig Anstrengung auf der Strecke sucht, kann die jeweils recht steilen Wanderwege zur Burg Falkenstein und/oder der Burgruine Anhalt erklimmen. Von hier aus staunt man wiederum über die tollen Ausblicke auf den scheinbar endlosen Wald. Hier mischt sich zwar schon mal die ein oder andere kränklich aussehende Fichte mit unter. Aber Sorgen machen wie um das Gebiet rund um den Nationalpark Harz muss man sich um die Vegetation hier keinesfalls. Der Weg führt dann weiter in die Hügel um den kleinen Ort Mägdesprung, um dessen Namen sich eine der zahlreichen wunderschönen Harzer Märchen rankt. Der Imbiss-Grill an der Bahnstation sorgt zudem für herrliche Stärkung und Erfrischung.
Nicht mehr weit ist es von hier aus bis zum Bremer Teich, einem der wohl schönsten Campingplätze, die ich je gesehen habe. Mitten im Wald liegt der kleine See und lädt zum Schwimmen ein, eingerahmt von den unzähligen Trailern der Dauercamper. Über die beeindruckenden Gesteinsformationen Kleine und Große Teufelsmühle geht es schließlich nach Friedrichsbrunn. Dort kann man sich nach einem langen Tag wiederum stärken. Von hier aus bringt ein Bus müde Füße dann auch wieder nach Thale oder gar nach Treseburg. Den Fahrplan der Linie 256 finden Sie hier.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Nationalpark Harz, die hoffentlich etwas Mut macht. Wer genau hinsieht, erkennt auch hier überall entlang des Weges, dass neues Leben längst entsteht. Junge Schößlinge von Birke, Eiche und Buche strecken ihre Köpfe in den freien Himmel. Augenblicklich sind sie zwar kaum höher als Büsche, doch in ein paar Jahrzehnten wird hier wieder ein neuer, kräftiger und gesunder Wald stehen. Es hat mir bei meiner mehrtägigen Wanderung durch das Gebiet sehr viel Freude gemacht, mir das vorzustellen. Und vielleicht erlebe ich es ja auch noch mit eigenen Augen. Bis dahin ist es mein Wunsch, dass sich künftig in den Medien mehr Artikel wie dieser über den Harz finden. Denn die Region ist immer noch eine der vielseitigsten und schönsten, die Deutschland zu bieten hat.