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Meinung

Wie Social Media das Wandern gefährlich macht

Ein Mann sitzt auf einem Felsen und Blick tief herab
Ist Fotos von Ereignissen zu machen mittlerweile wichtiger als das Ereignis als solches? Foto: Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

10. September 2019, 7:23 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten

Für das perfekte Urlaubsfoto von der neusten Wanderung nehmen viele Menschen mitunter erhebliche Risiken in Kauf – und gefährden dabei teilweise sogar ihr Leben. Doch was steckt hinter dem Trend, sich für ein Bild in Gefahr zu begeben? Ein Kommentar von unserem Redakteur, der manchmal von sich selbst erschrocken ist.

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Die Folgen können gravierend sein, denn im schlimmsten Fall verlieren Leute sogar ihr Leben, weil sie eben nicht nur wandern, sondern genau das möglichst spektakulär auf Bildern im Internet darstellen möchten. Die Likes scheinen mittlerweile wichtiger zu sein als das Erlebnis an sich. Wenn man aber eine Aktivität nur ausübt, um zu zeigen, was für ein tolles Leben man hat, oder dass man gerade an einem ganz besonderen Ort ist, während alle anderen im Büro hocken, wird dadurch meiner Meinung nach das ganze Abenteuer ad absurdum geführt.

Selbstdarstellung bis zum Tod

Ein erschreckendes Beispiel war für mich eine Wanderung zur Trolltunga in Norwegen, einem unfassbaren Panorama-Aussichtspunkt mehrere hundert Meter über einem Fjord. Oben angekommen nach einer etwa vierstündigen Tour, warteten die Menschen in einer Schlange darauf, bis sie ihr ach so originelles Foto schießen konnten. Statt die Aussicht zu genießen, starrten sie auf den Rücken des Vordermanns oder auf ihre Handybildschirme, um sich irgendwie die Zeit zu vertreiben, bis sie denn dran wären – im Schnitt betrug die Wartezeit etwa eine halbe Stunde, was ich weiß, weil ich mich selbst angestellt habe.

2015 kam es hier zu einem besonders tragischen Todesfall, als eine Urlauberin abstürzte, als sie einer fotografierenden Gruppe anderer Touristen ausweichen wollte. Wer auf Instagram Bilder des Felsens sieht, der sich wie eine Zunge in den Fjord streckt, wundert sich vermutlich, dass man in den Nachrufen nicht regelmäßiger von der Trolltunga hört. Da machen Wahnsinnige Handstand am Abgrund, lassen ihre Beine ins Nichts baumeln, oder hängen gleich mit ihrem ganzen Körper von der Felszinne hinab.

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„Erhöhte Risikobereitschaft“

Weit über 150.000 Fotos gibt es allein auf Instagram von der Trolltunga, die meisten haben wenige Likes, nicht wenige Menschen aber tatsächlich für ein solches Bild ihr Leben aufs Spiel gesetzt – das ist eben die Netzkultur von Social Media. „Höher, schneller, weiter“ ist gerade noch aufregend genug, wenn überhaupt. Und doch sind soziale Plattformen aus dem Leben der meisten nicht mehr wegzudenken, wie ich auch in meiner Tätigkeit als Wanderleiter bereits feststellen musste. Auf einer mehrtägigen Tour ins Elbsandsteingebirge ging es bei den (vorwiegend älteren) Teilnehmern nur darum, wo es denn WLAN gäbe, denn schließlich musste man ja das Erlebte so schnell wie möglich über Whatsapp oder seinen Account verschicken. Bizarr ist es auch, wie manche touristischen Orte diesem Trend Vorschub leisten – so gibt es zum Beispiel in Kroatien bei den Krka-Wasserfällen eine solarbetriebene Handy-Ladestation, damit auch ja niemandem der Akku leer geht.

In einer Statistik des Kuratoriums für alpine Sicherheit heißt es, alleine diesen Sommer seien in den österreichischen Alpen 122 Menschen ums Leben gekommen, 61 davon Wanderer und Bergsteiger. „Es lässt sich nicht sagen, ob darunter Opfer waren, die wegen Fotos umgekommen sind“, sagt Prof. Dr. Karl Gabl, Präsident des Kuratoriums zu TRAVELBOOK. Auch er stellt aber eine erhöhte Risikobereitschaft bei vielen Wanderern heutzutage fest, wie auch eine oft mangelnde Vorbereitung.

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Experte warnt zu mehr Vorsicht

Mit Bezug auf die jüngsten Todesopfer im polnischen Tatra-Gebirge sagt er: „Man kann doch nicht wirklich sagen, dass man von einem Gewitter ‘überrascht‘ wurde, so etwas wird ja vorher angekündigt, gerade in den Bergen. Generell sollte man seine Touren dem eigenen Können anpassen, und im Zweifelsfall immer einen Wander- oder Bergführer als Begleitung engagieren.“ Gabl rät besonders bei spektakulären Punkten, die wie geschaffen für ein Foto scheinen, zur Vorsicht: „Viele Menschen überschätzen ihre Fähigkeiten, und stolpern dann oder stürzen ab.“

Und mal ehrlich: Es ist eine Sache, ob jemand verantwortungslos gegen sich selbst handelt, aber wer würde denn schon gerne dabei zusehen müssen, wie jemand anders in den Tod stürzt? Social-Media-Fanatiker nehmen für ihren eigenen Status im Netz gleich noch andere mit in „Sippenhaft“ – alleine diesen Sommer wurde ich zweimal davon Zeuge, wie zwei Personen, in einem Fall ein etwa 10-jähriges Kind, barfuß an der Kante eines Wasserfalls über moosbewachsene Steine balancierten. Wer so etwas mal gesehen hat, weiß, was für Achterbahnfahrten der Magen da durchmacht, alleine schon beim Zuschauen.

„Inakzeptabel und unehrenhaft“

Und der Hype macht nicht einmal Halt vor ohnehin schon potentiell tödlichen Gefahren wie der Ersteigung des Mount Everest, mit 8848 Metern der höchste Berg der Erde. Fotos von Hunderte Meter langen Warteschlangen vor dem Gipfel machen einfach nur fassungslos, und so kritisieren auch erfahrene Bergsteiger, immer mehr ungeübte Kletterer wollten aufgrund des Social-Media-Gewitters um den Berg jetzt eben auch einmal draufsteigen. So sagte etwa der britische Profi Adrian Hayes, der unter anderem bereits den Everest und den K2 bezwungen hat, der „South China Morning Post“: „Der Everest ist der sprichwörtliche Gipfel auf der Jagd nach Anerkennung. Der innere Trieb (zum Bergsteigen) wurde abgelöst durch ‚Schaut mich an – schaut was ich geschafft habe‘. Das ist inakzeptabel und unehrenhaft.“

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Auch der sprichwörtliche „Fall“ des US-amerikanischen Wanderers Graham Parrington hat mich fassungslos gemacht: Wie „CNN“ berichtet, stürzte er beim Wandern in eine Gletscherspalte – und hatte nichts Besseres zu tun, als erstmal ein Selfie zu schießen, als er den Sturz wie durch ein Wunder unverletzt überlebte.

Doch jeder, der einen Account in den sozialen Medien hat – und die meisten Menschen haben heute mehrere – weiß wohl selbst, wie schön es ist, nicht nur etwas Besonderes zu tun, sondern es anderen Menschen auch zu zeigen. Freunden und Familie normalerweise, aber Influencer breiten längst ihr gesamtes Leben vor einer immer größer werdenden Masse von „Fans“ aus, die nach immer mehr von allem lechzen. Abenteuer, Landschaften, Sonnenuntergänge, Hauptsache, es ist nicht so wie im „wirklichen“ Leben.

Social Media kann krank machen

Auch das ist ein besorgniserregender Trend, denn natürlich weiß jeder, dass Bilder in den sozialen Medien vor Veröffentlichung meist durch unzählige Filter gejagt wurden, mithin gar nicht mehr das tatsächlich Gesehene bzw. Geschehene darstellen, sondern eine Wunschvorstellung, ein auf Likes abgestimmtes Zerrbild sind. Trotzdem wird genau das dann mit Klickzahlen honoriert, was die derart „Belohnten“ wiederum anspornt, beim nächsten Mal auf etwas noch Extremeres zu setzen. Wie die „Ärztezeitung“ unter Berufung auf eine Studie der DAK berichtet, kann exzessive Nutzung von Social Media aber zu Krankheiten bis hin zur Depression führen, da es um ein ständiges Sich-Vergleichen geht. Demnach sind etwa 100.000 Jugendlich hierzulande bereits internetsüchtig.

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Ich habe mich lange der Nutzung vieler sozialer Medien verweigert, nutze zum Beispiel Instagram überhaupt nicht, Whatsapp immer noch sehr unregelmäßig – aber wenn, dann eben, um möglichst tolle Bilder von meinen zahlreichen Reisen nach Hause an meine Familie und Freunde zu schicken. Dabei fiel mir irgendwann auf, dass ich zwar keine Risiken für spektakuläre Fotos einging, aber unzufrieden wurde, wenn ein Bild nicht so sensationell aussah, wie von mir selbst wahrgenommen. Die für mich erschreckende Selbsterkenntnis: Auch ich wollte die Bewunderung, ja den Neid von anderen für meine Bilder.

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Von Ureinwohnern ermordet

Natürlich liegt es auch irgendwie in der menschlichen Psyche, das Lob und die Bestätigung von anderen zu brauchen. Man muss anscheinend jedoch immer wieder betonen, dass man dafür nicht zu weit gehen darf. Und dieses „zu weit“ fängt da an, wo man sich und/oder andere gefährdet. So zum Beispiel jüngst ein spanisches Paar, von dem der „Spiegel“ berichtet: Die beiden waren in den Dolomiten in Italien unterwegs und verursachten insgesamt vier Rettungsaktionen, weil sie ihre Fähigkeiten bei Weitem überschätzten und sogar Hilfe zurückwiesen – mit dem Ergebnis, dass sie nun für die Einsatzkosten 7500 Euro zahlen müssen.

Zumindest ist diesen beiden nichts passiert. Seit 1994 gibt es den Darwin Award, einen Negativpreis für Menschen, die auf besonders dumme Art und Weise zu Tode kommen. Darunter ist auch ein junger Instagrammer, der 2018 ermordet wurde, als er versuchte, Fuß auf die nordindische Insel North Sentinel Island zu setzen – deren Ureinwohner sind weithin für ihre Aggression gegenüber jedwedem Fremden bekannt, auch TRAVELBOOK berichtete schon über das Urvolk. Über die Motive des jungen Mannes kann im Nachhinein nur spekuliert werden, jedoch wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis weitere Opfer ihres eigenen Social-Media-Hypes sich in diese unrühmliche Liste einreihen – wetten?

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