17. Januar 2021, 7:22 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Die Grande Traversata Elbana ist Elbas ultimativer Wanderweg: In drei oder vier Tagen führt sie über die höchsten Bergkämme der Insel. Grandiose Meerblicke sind garantiert.
Heike Schnerring pflegt ein ausgefallenes Wanderritual. In ihrem Rucksack, sagt sie, stecke immer eine Gartenschere. Auf Elba? „Du wirst bald sehen, warum.“
Schnerring, 59, kennt Elba besser als die meisten Alteingesessenen. Seit 30 Jahren lebt die Heilbronnerin hier, im Frühling und Herbst führt sie jeden Tag Wanderer über die Insel. Vor dieser Tour aber hat sie Respekt: Drei Tage lang wird es quer über das gesamte Eiland gehen, über die höchsten Bergrücken und Gipfel. Die große Überschreitung Elbas, abgekürzt GTE, ist noch einer dieser oft beschworenen Geheimtipps. Dabei gibt es sie schon seit 40 Jahren.
Schilder geben die Länge der Südroute von Cavo nach Pomonte mit knapp 51 Kilometern an, die Nordroute nach Patresi ist knapp 59 Kilometer lang. Auf beiden Varianten sind es mehr als 2000 Höhenmeter auf und ab. Doch der Start ist gemächlich.
Die verfallene Pracht der Bergbau-Barone
Im Badeort Cavo schlendert man den Strand entlang, dann geht es zwischen verschlafenen Villen hinauf. In den Vorgärten wachsen Kakteen und Yucca-Palmen. Es geht über verschlungene Wege, zwischen Steineichen und fedriger Baumheide, Lorbeerbäumen und duftenden Mastix-Sträuchern hindurch.
Inmitten des mediterranen Waldes haben sich die örtlichen Bergbau-Barone ihr Denkmal gesetzt. Den Turm bemerken viele Urlauber schon auf der Fährfahrt. Anfang des 20. Jahrhunderts ließen sich die Toniettis, schwer reich durch ihre Lizenz zum Erzabbau, ein Mausoleum bauen. „Aber letztlich bekam die Familie nie die Genehmigung, ihre Toten hier zu bestatten“, sagt Schnerring. Der Prestigebau verfällt.
Elba war lange das Ruhrgebiet des Mittelmeers, schon vor mehr als 2000 Jahren hackten die Etrusker Eisenerz aus der Erde.
Der GTE führt durch Macchia, den typischen Mittelmeer-Buschwald aus Wacholder und Rosmarin, Myrten und Zistrosen. Bald weicht die Macchia dichtem Wald. Die Trockenmauern, die einst Weinberge terrassierten, zerbröseln im Unterholz. „Das war alles Handarbeit“, sagt Schnerring. „So was macht man nur, wenn man keine Alternative hat.“ Mit dem Einzug des Tourismus‘ gaben viele Weinbauern die Schinderei auf.
Aussicht auf traumschöne Buchten
Wirklich spektakulär wird die Aussicht erstmals auf dem Kammweg hinauf zum Monte Strega, dem Hexenberg. „Er macht seinem Namen alle Ehre“, sagt Schnerring. Wenn möglich, umgehe sie mit ihren Kunden den steilen Aufstieg, oben pfeife oft der Wind. An diesem Tag ist der luftige Pfad aber ein Traum. Über grüne Hügel blickt man rechts auf die türkisen Buchten und die Ferienhaus-Siedlungen von Nisporto und Nisportino, links auf den Bergwerksort Rio nell’Elba.
Im stetigen Auf und Ab wandert man über Monte Campanello und Cima del Monte, beide gekrönt von wenig malerischen Funkmasten. Aber der Blick fliegt ohnehin über die grüne Insel, die sich ringsum ausbreitet. Als wären die Bucht von Portoferraio und die Granitberge dahinter nicht schön genug, sitzt vor ihnen noch die Ruine der Burg Volterraio auf einem Felskopf, der von Flechten ockergefärbt ist.
Käseschmaus und der Luxus der Stille
Reichlich Höhenmeter birgt der tägliche Abstieg in eines der Dörfer. Denn an der GTE gibt es keine Berghütten oder Almen. Die einzige Option am Wegesrand ist der Ziegenhof Terra e Cuore. 80 Ziegen hält Eugenio Survillo auf einer der früheren Müllkippen hoch über Porto Azzurro. Aus ihrer Milch machen der 34-Jährige und seine Frau Eiscreme und Käse. „Diese Stille, diese Aussicht, das ist Luxus für mich“, sagt Survillo, der zuvor in Rom lebte.
Wer in dem rustikalen Safarizelt übernachtet, versteht ihn. Von der Anhöhe sieht man die Sonne im Meer versinken, später die Lichter der Fähren auf dem schwarzen Meer. Portoferraio funkelt in der Nacht.
Nicht jeder Teil des Wegs ist so hübsch. Von Terra e Cuore latscht man am nächsten Morgen über eine Asphaltpiste, durch Pinienplantagen und über eine alte Militärstraße. Ab und an röhrt ein Motorrad vorbei. Für Mitteleuropäer aber ist allein die Natur am Wegesrand exotisch und reizvoll genug. Man passiert Olivenhaine und Korkeichen.
Früher verlief man sich leicht auf der zweiten Etappe der GTE, im Gewirr der verzweigten Waldwege. Am Monte Orello endete der Pfad einmal an der Klippe eines Steinbruchs. Die neue Route umgeht den Berg. Und ins Valle del Literno folgt man nun einer ausgewaschenen Felsrinne – statt im weiten Halbkreis Serpentinen zu gehen. Der Direktweg ist zwar steiler, aber wesentlich spannender.
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Wegzeichen mit Haltbarkeitsdatum
Meist findet man sich auf der GTE leicht zurecht – dank Michele Cervellino. Der 44-Jährige ist Mountainbike-Guide und Vizepräsident der elbanischen Sektion des italienischen Alpenvereins CAI. Zusammen mit zehn Freunden malte er in den vergangenen Jahren entlang der gesamten GTE neue Markierungen auf Felsen und Baumstämme. „Der Granit im Westteil der Insel bröckelt immer wieder ab, manche Markierungen müssen wir nach drei Jahren schon wieder erneuern“, sagt er.
Zumindest halten die Arbeiter des Nationalparks die früher oft überwucherten Jägerpfade instand. Unterhalb des Monte Perone aber haben sie die Macchia länger nicht mehr gestutzt. Brombeerbüsche verhaken sich in Ärmeln und Hosenbeinen. Nun kommt die Gartenschere zum Einsatz – Schnerring knipst den Weg frei.
Der Aufstieg über den mit Piniennadeln gepolsterten Pfad ist steil, schon morgens strömt der Schweiß. Erst im Santuario delle Farfalle gleich hinter der höchsten Passstraße streicht eine kühlende Brise durch die Kiefern und Farne. Besonders im Frühling flattern hier viele Schmetterlinge umher, die auf Schautafeln erklärt werden.
Il gran finale
Hinter dem lichten Wäldchen beginnt das lange, glorreiche Finale der GTE. Ein sandiger Pfad schlängelt sich durch rund gewaschene, gespaltene Felsbrocken. Über Baumheide blickt man auf die Felsgipfel von Monte Capanne und Le Calanche. Eidechsen huschen über den Granit, Bienen summen. Über wacklige Steinplatten und über Serpentinen im schattigen Wald geht es ein letztes Mal hinauf zur Gabelung, wo sich die beiden Routen trennen. Spätestens hier entscheiden sich viele Wankelmütige für den südlichen Arm nach Pomonte.
Knapp dreieinhalb Stunden gibt der Wegweiser für sie an, auf der Nordroute nach Patresi wäre man weitere acht Stunden unterwegs.
Lang genug ist auch die Kurzvariante. Vom Sattel unterhalb des Monte Capanne, wo Familien den mit Stahlseilen gesicherten Steig herab kraxeln, wandert man einen Kammweg mit zauberhaftem Panorama hinab. Der Blick fliegt über die waldgrüne Rinne des Tals von Pomonte und über das glitzernde Meer hinaus zur Insel Pianosa.
Nach endlosen Serpentinen belohnt ein Hefeweizen in einer Straßenbar von Pomonte. Und ein abendliches Bad im Tyrrhenischen Meer.
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Weitere Informationen
- Anreise: Mit dem Zug über Mailand nach Piombino Marittima. Dort setzen täglich Schnellboote in 20 Minuten nach Cavo über.
- Reisezeit: Die Wandersaison dauert von März bis Mitte Juni und von September bis Oktober. Im April blühen Macchia und Blumen. Im Sommer ist es meist zu heiß zum Wandern.
Hinweis zur derzeitign Corona-Lage: Italien ist von der Pandemie stark betroffen und Corona-Risikogebiet. Vor Urlaubsreisen warnt das Auswärtige Amt.