26. Juli 2018, 11:35 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
In acht Wochen lernte Journalist Stefan Netzebandt vieles an Kalifornien schätzen. Doch die Liebe zu den USA kam beim Angeln. Hier arrangieren sich Ethnien aus aller Welt. Und so lernte er nicht nur viel über das Angeln am Pazifik, sondern auch über die Amerikaner und wie sie miteinander leben.
von Stefan Netzebandt aus San Diego (Kalifornien)
„Warum bewegst Du deine Angelrute nicht?“, fragt Angel mich mit ernsthaftem Blick. Ich fische seit mehr als 30 Jahren, nie professionell, aber mit Eifer. Und jetzt verändert ein 13-jähriger Junge mit mexikanischen Wurzeln alles. Wir sind viele an diesem frühen Morgen auf dem Pier von Imperial Beach unweit der Grenze zwischen Kalifornien und Mexiko. Als ich ankomme, sind in vielen Plastikeimern schon reichlich Makrelen. Aber bei mir läuft es nicht. Bis mich ein Junge anspricht. „Du musst die Rute zucken lassen und diese Haken mit grünen Federn nehmen“. Angel (13) reicht mir einen Angelköder aus seiner kleinen Kiste. Und als der an meiner Sehne hängt, zeigt er mir das richtige Zucken. Nach ein paar Minuten sind an fünf von sechs Haken zappelnde Makrelen. Angels indonesischer Pier-Nachbar nickt anerkennend.
Ich bin für BILD beruflich acht Wochen in Kalifornien. Ich habe die Freundlichkeit schätzen gelernt, die Gelassenheit. Die exzellenten Burger und die schicken Kinos in Hollywood. Aber lieben gelernt habe ich das Land auf den Piers. Die Vereinigten Staaten der Angler. Der Pier spricht Englisch, Spanisch, Armenisch, Vietnamesisch, Russisch, Tagalog oder Paschtu. Hier habe ich den ersten Rochen meines Lebens gefangen, Brandungsbarsche, Ährenfische, Sardinen, Kelpfische. Vor allem aber habe ich Amerikaner erlebt und wie sie miteinander leben. Denn hier ist God’s own fishing ground, Gottes Angelrevier.
Familiengeschichten zwischen Shrimps und Makrelen
Anders als in Deutschland ist das Angeln auf den Piers in den USA im Prinzip überall erlaubt. Für Leute wie mich gibt es sogar eigens Wasserhähne, Becken und Bretter, um die Fische auszunehmen. Sinngemäß gilt hier Folgendes: „Hey, die Natur und die Fische sind für alle. Nimm dir welche, nerve keine Surfer, hau niemandem deinen Haken ins Auge. Dann ist es okay“. Die Menschen kamen aus der ganzen Welt hierher, um sich das Land zu teilen. Sie tun es bis heute.
Als mir in Santa Monica meine Haken abreißen, bietet mir eine vietnamesische Familie ihre an. Dafür schenke ich ihnen den Barsch, den ich damit fange. Auf demselben Pier erzählt mir der 67-jährige Porkev von seiner armenischen Familie, die vor dem türkischen Völkermord nach Kalifornien floh. Er ist stolzer Amerikaner. Sein Sohn ist gerade Arzt geworden. Porkev empfiehlt Shrimps, um Makrelen anzulocken – und gibt mir welche. Auf der Seebrücke von Venice Beach muss ich stets das Bongo-Getrommel von Will und seinen Kumpels ertragen. Sie sind alle arbeitslos und kiffen den ganzen Tag. Und angeln.
Manchmal schäme ich mich dafür, dass ich viele meiner Fänge googeln muss. Dann lerne ich den Perser Saeed kennen. Er hält seine Makrelen für kleine Thunfische. Und die Vietnamesen fragen ausgerechnet mich, ob ich den Sargo – eine pazifische Barschart -bestimmen kann.
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Niemand verändert mein Lieblingshobby so wie Angel, der füllige Angel-Engel. Wenn er in seinem Viertel in San Diego nicht Fußball spielt, fischt er hier auf dem Pier von Imperial Beach. Seine Eltern kamen aus dem mexikanischen Chihuahua nach Kalifornien. Er ist Fan des Footballteams Los Angeles Chargers. Spricht besser Englisch als seine Eltern. Angel freut sich über jeden Fisch, den ich mit seinen Tricks heraushole. Entknotet das Haken-Vorfach, wenn es sich vertüddelt hat – und hütet seine und meine Makrelen wie einen Silberschatz. Unseren geteilten Fang verkauft er am Ende für 15 Dollar an einen Angler von den Philippinen, der Fischsuppe für seine Familie kochen will.