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Tötete er bis zu 100 Frauen?

Auf der Spur des unheimlichen „Times Square-Killers“ Richard Cottingham

Richard Cottingham
Der Times Square Ende der 1960er Jahre. Rechts oben: Das offizielle Polizei-Foto von Richard Cottingham nach seiner Festnahme. Foto: Getty Images / Bergen County Prosecutor's Office, New Jersey /Collage TRAVELBOOK
Angelika Pickardt
Redaktionsleiterin

26. Mai 2022, 9:00 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Was hierzulande nur wenige wissen: Noch bis Ende der 1970er Jahre waren der Times Square und seine Umgebung alles andere als ein Ort, an den es Urlauber zog. Damals zählte dieser Teil von Manhattan noch zu den gefährlichsten Gegenden in New York, es gab Drogendealer, billige Sex-Shops, Puffs und schummrige Motels. In dieser Zeit hat sich in einem dieser Etablissements ein Mordfall abgespielt, der grausamer nicht sein könnte. Und bei diesem einen Mord ist es nicht geblieben. TRAVELBOOK erzählt die Geschichte des „Times Square-Killers“ oder auch „Torso Killers“, der bis zu 100 Frauen auf dem Gewissen haben könnte.

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Ein Hinweis vorweg: In diesem Artikel werden teilweise sehr grausame Details zu den Morden des US-Serienkillers Richard Cottingham genannt. Wenn Sie in dieser Hinsicht vorbelastet oder empfindlich sind, sollten Sie besser nicht weiterlesen.

Sie wollen diese Geschichte lieber hören, statt sie nur zu lesen? Dann hören Sie doch mal in unsere Podcast-Folge zum „Times Square-Killer“.

Am 2. Dezember 1979 ereignete sich im New Yorker Stadtteil „Hells Kitchen“, nur ein paar Häuserblocks vom Times Square entfernt, ein Mordfall, der grausamer nicht hätte sein können. Schauplatz des Verbrechens war das Travel Inn Motel, das damals eine heruntergekommene Absteige für Glückssuchende sowie Prostituierte und ihre Freier war. An diesem Tag sah ein Zimmermädchen im obersten Stockwerk des Travel Inn Motel unter der Tür von Zimmer Nummer 417 Rauch hervorquellen. Weil die Tür verschlossen war und auf das Klopfen der Motel-Mitarbeiter niemand reagierte, riefen diese die Feuerwehr. Als diese die Tür aufbrach, machten sie im dichten Rauch eine furchtbare Entdeckung. Auf dem Bett lagen zwei Frauenleichen, beide nackt. Und beiden fehlten sowohl Kopf als auch Hände.

Der Täter war noch vor Eintreffen der Feuerwehr unbehelligt mit den Gliedmaßen aus dem Motel entkommen. Diese hatte er vermutlich mitgenommen, weil er so eine Identifizierung unmöglich machen wollte. Eines der Opfer konnten die Ermittler aber dennoch identifizieren: Es handelte sich um die 22-jährige Deedeh Goodarzi, die aus Kuwait stammte und damals in New York als Prostituierte arbeitete. Bei dem anderen Opfer weiß man bis heute nicht, um wen es sich handelte.

Ein weiterer Mord – wieder in einem Hotel

Fünf Monate später fand man erneut eine Frauenleiche. Schauplatz dieses Mal: das Hasbrouck Heights Quality Inn Hotel in New Jersey. Die tote Frau identifizierten die Ermittler als die 19 Jahre alte Valerie Ann Street. Sie war offensichtlich gequält worden, hatte Bissspuren am Körper. Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengebunden. Als Todesursache wurde Ersticken festgestellt. Auch in diesem Fall war der Täter entkommen.

Nur rund zwei Wochen später passierte im selben Hotel in New Jersey erneut ein Verbrechen. Die Mitarbeiter des Hotels hörten aus einem der Zimmer unterdrückte Schreie einer Frau, die immer lauter wurden. Und vermutlich weil sie noch wegen des erst kurz zuvor passierten Mordes traumatisiert und verängstigt waren, riefen sie die Polizei. Die kam recht schnell, und noch im Flur des Hotels wurde der Mann, der das Zimmer angemietet hatte, verhaftet. Sein Name: Richard Cottingham, 34 Jahre alt, dreifacher Familienvater aus New Jersey und Informatiker.

Richard Cottingham
Richard Cottingham nach seiner Festnahme auf dem Mugshot der Polizei in New Jersey Foto: Bergen County Prosecutor's Office, New Jersey

Die Frau, deren Schreie die Hotelmitarbeiter gehört hatten, überlebte den Angriff durch Cottingham nur knapp. Es handelte sich um die 18-jährige Leslie Ann O’Dell, die Cottingham laut ihrer Aussage in Manhattan aufgegriffen und in seinem Auto mitgenommen hatte. Sie hatte sich bereit erklärt, für 100 Dollar Sex mit ihm zu haben. Als sie im Hotel waren, bot er ihr eine Massage an. Während sie auf dem Bauch lag und er auf ihrem Rücken saß, bedrohte er sie plötzlich mit einem Messer und legte ihr Handschellen an. Dann begann er, das Mädchen auf übelste Weise zu quälen und zu foltern. Unter anderem biss er ihr eine Brustwarze fast komplett ab.

Ein Serienkiller ist endlich gefasst

Es stellte sich heraus, dass Richard Cottingham auch den Mord an der 19-jährigen Valerie Ann Street im selben Hotel nur zwei Wochen zuvor begangen hatte. Im Laufe der Ermittlungen konnten ihm zudem vier weitere Morde zugeordnet werden: Bereits im Jahr 1977, also einige Jahre zuvor, hatte er ebenfalls im Hasbrouck Heights Quality Inn Hotel in New Jersey die 26-Jährige Radiologin Maryann Carr umgebracht. Sie hatte man grausam zusammengeschlagen auf einem Parkplatz des Hotels aufgefunden. Ebenfalls auf sein Konto geht der Mord an der 25 Jahre alten Jean Mary Ann Reyner im Seville Hotel in New York am 15. Mai 1980. In diesem Fall hatte er der Frau beide Brüste abgeschnitten und wie Trophäen auf das Bett gelegt. Und klar war schließlich auch, dass Cottingham die Prostituierte Deedeh Goodarzi und die bis heute nicht identifizierte zweite Frau im Travel Inn Motel in New York ermordet, enthauptet und angezündet hatte. Deshalb gab man ihm im Nachhinein dann den Spitznamen „Torso-Killer“ oder „Times Square-Killer“.

Zwischen 1981 und 1984 fanden mehrere Gerichtsprozesse gegen Richard Cottingham statt und er wurde für die verschiedenen Verbrechen jeweils zu mehreren 100 Jahren Gefängnis verurteilt. Dort, im South Woods State Prison in New Jersey, sitzt er auch bis heute noch. Damit könnte man meinen, dass die Geschichte auserzählt ist. Aber das ist sie nicht.

Tochter eines Mordopfers von Cottingham nimmt Kontakt mit ihm auf

Im Jahr 2017, er war zu diesem Zeitpunkt bereits über 70 Jahre alt, bekam Richard Cottingham im Gefängnis von New Jersey plötzlich Post von einer jungen Frau. Bei der Frau handelt es sich um Jennifer Weiss – sie ist die leibliche Tochter von Deedeh Goodarzi. Wir erinnern uns: Das war eine der Frauen, die damals im Travel Motel Inn in New York von Cottingham getötet, enthauptet und angezündet worden war. Jennifer Weiss war im Alter von vier Jahren von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben worden und hat davon erst erfahren, als sie zwölf Jahre alt war. Nach langen Recherchen hat sie mit 22 Jahren schließlich herausgefunden, dass Deedeh Goodarzi ihre leibliche Mutter war – und auf welch bestialische Weise sie sterben musste. Sie hat schließlich allen Mut zusammengenommen und dem Mörder ihrer Mutter geschrieben, um die Antwort auf eine einzige Frage zu bekommen: Wo hat er damals den Kopf ihrer Mutter hingebracht und möglicherweise vergraben?

Tatsächlich antwortete Richard Cottingham ihr – zwar nicht das, was sie wissen wollte, aber er entschuldigte sich im Nachhinein für den Mord an ihrer Mutter. Doch sie ließ nicht locker, schrieb ihm weiter und besuchte ihn schließlich im Gefängnis. Es gelang ihr, ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen, es gibt Fotos, auf denen sie sich umarmen, fast wie auf einem Familienfoto.

Jennifer Weiss im Jahr 2021 mit dem Mörder ihrer Mutter:

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Doch trotz vieler Besuche und zahlreicher Gespräche – Cottingham ließ Jennifer Weiss‘ drängendste Frage unbeantwortet. Mittlerweile ging es ihr laut einem Bericht des „Rolling Stone“ längst nicht mehr nur darum zu erfahren, was er mit dem Kopf ihrer Mutter getan hatte. Jennifer Weiss hoffte, dass er weitere Morde gestehen würde. Schließlich bittet sie einen Mann um Hilfe, der sich mit Serienkillern auskennt: Peter Vronsky. Der Kanadier ist Historiker, Journalist und Buchautor, hat bereits über mehrere Serienkiller geschrieben und diese interviewt.

„Hier kommt der böse Weihnachtsmann“

Vronsky lässt sich darauf ein, Cottingham im Gefängnis zu besuchen. Über seine erste Begegnung mit ihm hat er mit TRAVELBOOK gesprochen: „Er wirkte wie ein alter Mann, der auch den Weihnachtsmann spielen könnte – das ist tatsächlich auch sein Spitzname. Im Besucherraum im Gefängnis, wenn die Kinder von anderen Insassen ihn sehen, dann sagen sie ‘Oh, hier kommt der böse Weihnachtsmann‘. Als ich ihn das erste Mal traf, fiel mir auf, dass er schüchtern ist, er hat einen New-Jersey-Akzent, den kannte ich schon aus einer Dokumentation über ihn, aber selbst wenn er darüber redet, wie er Frauen die Zehen oder Köpfe abtrennt, dann hat er nicht diesen ‚creepy vibe‘, wie zum Beispiel der Serienmörder Ted Bundy.“

Dazu passt, dass Richard Cottingham, bevor er festgenommen wurde, ein perfektes Doppelleben geführt hat. Er hatte eine Frau und drei Kinder, bei denen er immer morgens pünktlich am Frühstückstisch saß, nachdem er nachts gemordet hatte. Er hatte einen guten Job als Informatiker, war bei seinen Kollegen beliebt. Niemand ahnte damals, dass er in seinem zweiten Leben einer der schlimmsten Serienmörder der USA war.

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Hat Richard Cottingham bis zu 100 Frauen ermordet?

Dank des Einsatzes von Jennifer Weiss und Peter Vrosnky hat Richard Cottingham inzwischen fünf weitere Morde gestanden, womit sich die offizielle Zahl der Opfer auf 11 erhöht hat. Und womöglich hat er noch viel mehr Frauen ermordet, als bekannt ist. Cottingham selbst sagte gegenüber Peter Vronsky, dass es zwischen 85 und 100 gewesen seien.

Und der Historiker hält das durchaus für plausibel, wie er TRAVELBOOK sagte: „Es ist realistisch, denn ich habe es berechnet. Wir wissen sicher, dass sein erster Mord aus dem Jahr 1967 ist. Der letzte Mord ist von 1980. Also sagen wir, dass es zwischen diesen Jahren 100 Opfer gab, das wäre ein Mord alle sechs Wochen. Das ist absolut machbar. Von allem, was ich weiß, was er mir gegenüber gesagt hat, hat er mehrfach in der Woche Frauen entführt und vergewaltigt. Viele dieser Taten wurden nie angezeigt, die meisten Frauen gehen nach Hause und melden die Fälle nicht, aus verschiedenen Gründen. Also er sagt, er hat zwei- bis dreimal pro Woche Frauen entführt und vergewaltigt, und er hat etwa eine von 20 umgebracht. Demnach ist ein Mord alle 6 Wochen absolut machbar.“

Eine Kopfverletzung in der Kindheit

Vronsky geht davon aus, dass eine Kopfverletzung in Cottinghams früher Kindheit ihn zu dem hat werden lassen, was er ist. Damals war sein vorderer Hirnlappen verletzt worden. „Es ist bekannt, dass Verletzungen am Frontallappen etwas hervorrufen können, was man ‘induzierte Psychopathie‘ nennt“, sagt Vronsky. „Man ist quasi kein ‚geborener Psychopath‘, aber man hat einige Charakterzüge, die auch Psychopathen haben.“ Und weiter: „Er handelt aus primitiven Impulsen heraus, er ist wie ein Tier. Er ist wie eine Hauskatze – man schaut sie einmal falsch an, und obwohl die Katze einen liebt, kratzt sie.“

In den USA und auch in der Gegend, in der Cottingham sich aufgehalten hat, sind noch zahlreiche Frauenmorde ungeklärt. Vronsky und Weiss haben gemeinsam eine Karte erstellt, auf der sie die ungeklärten Fälle aus New York und New Jersey der Jahre 1963 bis 1980 aufgelistet haben. Es sind Dutzende. Und Vronsky ist überzeugt, dass zumindest einige davon auf das Konto von Richard Cottingham gehen. Doch dieser schweigt.

Richard Cottingham
Diese Aufnahme vom 27. April 2021 zeigt eine virtuelle Anhörung vor einem Gericht in New Jersey. An diesem Tag bekannte sich Richard Cottingham (Mitte) für einen Doppelmord aus dem Jahr 1974 schuldig Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
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Warum gesteht Richard Cottingham nicht einfach?

Aber warum gesteht Cottingham nicht, wo er doch nichts mehr zu verlieren hat? „Das ist seine Art der Kontrolle“, sagt Vronsky dazu. „Solange er diese Geheimnisse hat, so lange spielt er auch außerhalb des Gefängnisses eine Rolle, er kann das Leben von Menschen außerhalb verändern. Das verleiht im Macht. Er hat Macht über mich, weil ich mit ihm rede, er hat Macht über Jennifer, denn sie sucht immer noch nach dem Kopf ihrer Mutter, er hat ihn abgeschnitten und irgendwo vergraben. Wir haben eine Idee, wo er ist, er hat uns einen Ort gesagt und wir haben dort auch gesucht, aber wir haben ihn bislang nicht gefunden. Es kann auch immer noch sein, dass er mir Mist erzählt – die Chancen dafür stehen 50/50.“

Und so läuft Jennifer Weiss, Peter Vronsky, den Ermittlern und den Familien möglicher weiterer Opfer die Zeit davon. Denn Richard Cottingham ist inzwischen sehr krank, liegt seit Monaten im Krankenhaus. Seine letzten Geheimnisse wird er wohl mit ins Grab nehmen – damit ihm auch nach seinem Ableben niemand die Kontrolle darüber nehmen kann.

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