16. Dezember 2019, 16:54 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel ist einen Monat durch Kambodscha gereist. Viele Strecken hat sie im Bus zurückgelegt. Authentisch findet sie das. Manchmal auch abenteuerlich. Und günstiger als die meisten anderen Varianten ist es auch. Für uns hat sie ihre Erlebnisse auf der Fahrt von Sihanoukville nach Phnom Penh aufgeschrieben.
Überall ist Essen. In offenen Mündern. In der Luft. Im Sack unter meinem Fuß, der im Gang liegt. Im Sack, der mir gegen den Kopf fliegt, als durch das Fenster der letzten Reihe Gepäck geworfen wird. Die Flugübungen der Gepäckstücke dauern an. Gefühlte Hundertschaften Säcke, Kisten, Rucksäcke, Kinderfahrräder und längliche Eisenstäbe werden in Sihanoukville in den Innenraum des Busses geworfen. Immer breiter und höher getürmt. Der Bus fährt los. Stoppt. Der erste Backpack landet in meinem Nacken. Grinsend schaue ich zu meiner Reisebegleitung rüber. Sie lächelt gequält zurück. Ihr Sitz bleibt nach vorne geneigt. Egal, wie stark wir an dem erstaunlich ruckelbaren Ding rumruckeln. Zu viele Koffer, Kisten und Säcke drücken von hinten dagegen. Halten ihn in seiner Schräglage. Bequem ist anders. Wir haben eine sechsstündige Fahrt vor uns. Entspannt und glücklich von der Insel Koh Rong Sanloem kommend, heißt unser heutiges Ziel Phnom Penh – Hauptstadt und einer meiner zukünftigen Lieblingsorte in Kambodscha.
Busbekanntschaft: eine alte Kambodschanerin
Neben mir sitzt eine vielleicht 80 Jahre alte Frau mit tiefen Lachfalten um die Augen und den Mund. Ihre kurzen Haare stehen in alle Richtungen um das sonnengebräunte Gesicht. Ihr dunkler Sari verdeckt gerade so ihren Körper. An seinem Ende lugen nackte Beine hervor mit Füßen ohne Schuhe und ohne Zehnnägel. Auch die stehen auf einem Sack im Gang. Immer wieder schaut die Frau uns an. Aus dunklen Augen, die offensichtlich schon viel gesehen und ihre Wärme trotzdem nicht verloren haben. Immer wieder lacht sie und gewährt dabei tiefe Einblicke in ihren Rachen. Zähne hat sie nicht mehr.
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Die Frau gibt Töne von sich. Eine Sprache, die ich nicht verstehe. Khmer? Vermutlich. Fröhlich redet sie drauf los, versucht mir Dinge zu erzählen. Ich lächle entschuldigend, sage auf Englisch, dass ich sie leider nicht verstehe. Natürlich versteht sie mich auch nicht, aber was Besseres fällt mir nicht ein. Ich ziehe die Schultern hoch und grinse zurück. Wir gucken uns weiter an. Lächeln. Lachen. Bis uns was anderes einfällt. Das, was wir als nächstes tun, braucht keine Worte.
Mein Magen knurrt, ich hole die mitgebrachten Sommerrollen, Reissuppen und schwer definierbaren, aber irgendwie spannend aussehenden und in Blätter eingepackten Dinge aus meiner Tasche. Die Frau kramt unter ihrem langen Sari herum und befördert irgendwas klebreisiges hervor. Einen Reisball schiebt sie sich zwischen die Lippen und ich wundere mich, wie so viel Essen in diesen kleinen Mund passt. Vor allem, weil da keine Zähne sind, die es irgendwie zerkleinern könnten. Das Problem existiert nur in meinem Kopf. Selbst mit vollem Reismund kann die Frau noch herzlich lachen, als ich mich an meinem mitgebrachten Irgendwas so sehr verschlucke, dass ich anfange zu heulen. Scharf. Sehr scharf. Ich kippe meinen halben Reispudding hinterher. Die Frau lacht so sehr, dass ihr ganzer Körper beginnt zu beben. Reis fällt aus ihrem Mund und auf den Busboden. Grinsend wendet sie sich schließlich ab, sagt was zu ihrer Nachbarin. Beide lachen und grinsen mich an.
Ekeltoilette mit Eimer
Der Bus stoppt. Stunden später? Auf jeden Fall endlich. Während ich mich wunderte, wie die alte Frau es schafft, bei dieser Hitze keinen Schluck Wasser zu trinken, habe ich es übertrieben. Meine Flasche ist leer. Als der Bus hält, quetschen meine Freundin und ich uns durch den mit Sachen vollen Gang nach vorne. Über Säcke und in gefühlter Akrobatik über ein Motorrad, das vorn neben dem Fahrer steht.
Raus aus dem Bus muss meine Reisebegleiterin schlucken. Mit großen Augen schaut sie mich an. Ungläubig. Es ist das erste Mal, dass sie das typische Asienplumpsklo sieht. Kein Klopapier. Keine Toilettenspülung. Keine „wirkliche“ Toilette, wenn man nicht zufällig Plumpsklos gewöhnt ist. Dafür ein abgegriffener Mini-Wassereimer in einem bis obenhin mit dreckigem Wasser gefüllten Becken aus Stein, neben einem Loch, auf dessen früher mal weißer Umrandung die Füße Platz finden. Schön ist anders. Aber irgendwie gehört es halt dazu. Ich glaube meine Freundin war trotzdem noch nie so glücklich über das Desinfektions-Handgel, das sie mit sich rumträgt.
Keine Durian im Bus!
Noch bei den Toiletten stehend nehme ich einen anderen Geruch wahr, ganz leicht, ganz eklig, leider vertraut. Ich drehe mich um und weiß insgeheim schon, was da so zart in meine Nase müffelt. Ein Mann trägt ein Brett vorbei. Jede Menge Durian-Stücke liegen darauf. Ich muss an den Kreisverkehr in Kampot denken, der kleinen südkambodschanischen Stadt, in der wir vor einer Woche noch waren. Die huldigt neben Hipster-Cafés auch die Kotzfrucht: Das Wahrzeichen Kampots ist eine übergroße Durian-Statue. Schon der bloße Anblick hat vor ein paar Tagen das gleiche Schütteln in mir ausgelöst, wie der Geruch jetzt gerade. Obwohl es drei Jahre her ist, dass ich die Frucht probiert habe.
Wer die Tropenfrucht, um deren Findung sich diverse asiatische Länder streiten, nicht kennt: Sie schmeckt wie eine Mischung aus Erbrochenem und stinkenden Füßen. Für mich jedenfalls. Viele andere sehen das ganz anders. Durian ist in Asien extrem beliebt. Und viele Menschen assoziieren damit viele Dinge: faule Eier, Terpentin, Vanillepudding, Schoko-Butter – es scheint keine Beschreibung zu geben, die alle treffend finden. Bei all der Liebe, die so viele Menschen für die riesige Frucht mit ihrer stacheligen Hülle und ihrem süßlich-muffigen Geruch empfinden – ich bin heilfroh, dass sie an vielen Orten, wie etwa Bussen, verboten ist.
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Ausgesetzt im gefühlten Nirgendwo
Wieder im Bus gebe ich auch den letzten Versuch, hier zu arbeiten, auf. Nachdem mein Laptop bei jeder Vollbremsung gegen den Vordersitz geknallt ist, während eine Kiste hinter mir rote Flecken in meinen Nacken geklatscht hat, habe ich es mir mittlerweile auf dem Gepäckberg gemütlich gemacht. Ich throne förmlich auf den inzwischen weniger gewordenen Gepäckstücken anderer Menschen in der erhöhten letzten Reihe – und rutsche jedes Mal mit ihnen nach unten und vorne, wenn der Bus unerwartet und schnell stoppt. Das passiert oft. Viele Menschen auf Rollern, glitzernde SUVs, klapprige Rikschas und Kühe teilen sich die Straße mit dem Bus. Statt zu arbeiten schaue ich aus dem Fensterloch. Staub kommt rein, legt sich auf mich. Das war schon mal schlimmer. Hier gibt es immerhin Straßen. An anderen Stellen im Land gibt es nur Staub.
Draußen dämmert es. Hier drinnen auch. Hühner und Hähne laufen neben Bus umher. Hier und da steht ein Stand mit riesigen, runterbaumelnden Fleischstücken, die schon bessere Tage gesehen haben. Jetzt von jeder Menge Fliegen umsummt und angeflogen werden. Häuser ziehen vorbei. Bunte neugestaltete, fast protzig anmutende Häuser, Bruchbuden ohne Fenster, Häuser mit Geschäften, die nach vorne offen sind.
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Draußen und drinnen ist es dunkel. Mir fallen die Augen zu. Der Bus schaukelt ungleichmäßig weiter. Plötzlich stoppt er. Ich mache die Augen wieder auf, um mich herum wird es wuselig. Leute strömen durch die Fahrertür in Freie. Ich schaue nach draußen. Hier ist nichts. Dunkel, kaum Lichter sind zu sehen. Aussteigen will ich hier eigentlich nicht. Vielleicht wäre es klug gewesen vorher rauszufinden, wo der Bus hält. Vielleicht hätte es auch nichts geändert. Hilft nichts. Wir sollen hier aussteigen. Alle anderen machen das auch. Stange für Stange, Kiste für Kiste, Sack für Sack werden aus dem Bus geladen. Unsere Backpacks achtlos durch das offene Busfenster auf die Straße geworfen. Da stehen wir. Neben unserem Gepäck, neben dem menschenleeren Bus. Nicht ganz schlüssig, was wir nun tun.
Eine Rikscha hält neben uns an. Der Fahrer fragt, wo wir hinwollen. Wir sagen ihm das Ziel, ein Hostel irgendwo in der Nähe des Stadtzentrums. Nach kurzer Fahrtpreis-Verhandlung steigen wir ein. Erleichtert. Müde. Hungrig. Vorfreudig. Wir sind in Phnom Penh. Schlaraffenland für alle Fleischesser und Marktfreunde, Spielplatz für alle Geschichtsliebhaber, die keine Angst vor grausigen Realitäten wie den Killing Fields haben.