15. April 2020, 17:37 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Unsere Autorin Anna Wengel saß wegen der Corona-Pandemie in Australien fest. Drei Wochen später als geplant haben sie und ihr Partner es inzwischen zurück nach Berlin geschafft. So einfach wie gedacht, war das jedoch nicht. Die nicht-deutsche Staatsangehörigkeit ihres Partners wurde unterwegs zum Problem. Im dritten Teil der Serie hat sie aufgeschrieben, warum die Rückreise so turbulent war und wie es ihr jetzt geht.
Nach sechs Urlaubs- und drei coronabedingten Verlängerungs-Wochen stehen mein Freund und ich am 8. April abends in der Eincheck-Schlange im Flughafen von Melbourne. Nervös. Weil wir zwar theoretisch wissen, dass mein italienisch-australischer Freund nach Deutschland einreisen darf, wir aber trotzdem beide irgendwie ein komisches Gefühl haben. Zu Recht. Allerdings nicht wegen der deutschen Grenze.
Australien verkompliziert die Ausreise
„Wo ist denn die Bestätigung, dass Sie Australien verlassen dürfen?”, wird mein Freund am Schalter von Qatar Airways gefragt, nachdem wir die diversen Dokumente präsentiert haben, die beweisen, dass wir beide in Berlin wohnen. Die was? Wir schauen die Schalterdame groß an. Sie erklärt: Australier haben (Aus-)Reiseverbot. Das Land verlassen darf nur, wer einen triftigen Grund und vor allem die Bestätigung von der Regierung hat. Die haben wir nicht. Schnell online erfragen geht nicht. Wir sollen warten. Irgendwann kämen heute die Menschen von der Grenzkontrolle, erklärt die Dame. Wann genau wisse sie nicht. Aber wir würden die dann schon erkennen.
Unvollbrachter Dinge ziehen wir von dannen, setzen uns auf eine Bank in der Nähe. Sechs andere Paare und Familien sitzen hier schon. Alle haben das gleiche Problem. Ein panisch dreinschauender Australier aus England verliert langsam die Geduld. Immer wieder läuft er auf und ab. Redet auf das Flughafen- und Airlinepersonal ein. Er hat sich vorher informiert. Kann seitenweise beweisen, dass die Regelung für diesen Flug nicht gilt. Helfen kann ihm erst einmal niemand.
Was machen, wenn er nicht raus und ich nicht bleiben darf?
Auch ich werde ein bisschen unruhig. Was machen wir, wenn Australien meinen Freund wirklich nicht rauslässt? Ich kann nicht bleiben. Das Auswärtige Amt hat in einer E-Mail vor ein paar Tagen sehr klargemacht, dass es jetzt mal Zeit wird, das Land zu verlassen. In dem Landsleutebrief hieß es unter anderem, dass „die australische Regierung insbesondere die verbleibenden Touristen [bittet], Australien zu verlassen”. Klingt nicht, als könne ich mein Visum, das in wenigen Wochen abläuft, unbedingt verlängern. Diese E-Mail kam, nachdem klar war, dass wir für die Rückholflüge nicht infrage kommen, da erst einmal nur hilfsbedürftige Menschen wie Personen mit Einschränkungen, Minderjährige und Familien mit kleinen Kindern von der Regierung abgeholt werden sollten. Alle anderen sollten sich selbst um Flüge mit Qatar kümmern, die ihrerseits Teil des Rückholprogramms für Deutsche in Australien sind. Also haben wir das gemacht und nach kurzem Schock über überdimensional hohe Flugpreise noch einen gefunden, der so einigermaßen okay war, dass wir ihn zähneknirschend gebucht haben. Den würde ich jetzt auch gern nehmen.
Teil 1: Meine Angst, auf dieser Seite der Welt festzusitzen
Was tun, wenn mein Freund nicht raus und ich nicht bleiben darf? Meine Fantasie verfängt sich für einen Moment in Szenarien von Romeo-und-Julia-ähnlichen Tränenmomenten und dramatischen „Ich geh‘ nicht ohne dich“-Erklärungen bis hin zur Entscheidung, ein Leben wie Tom Hanks in „Terminal” im Flughafen zu fristen. Mein Freund unterbricht mein Gedanken-Drama – die Grenzkontrollfrau ist da.
Teil 2: „Australien macht dicht und ich komme nicht nach Hause“
Hinter dem nervösen Wahlengländer und seiner noch nervöseren englischen Freundin stehen wir in der Schlange. Halten uns an den Händen und versuchen uns gegenseitig mit Blicken zu beruhigen. Das klappt ganz gut. Dann sind wir dran. Zeigen Dokument über Dokument, erklären, wieso er zurück nach Berlin möchte und versuchen, seine Berliner Meldebescheinigung (die er intuitiv vor unserer Abreise noch schnell abfotografiert hat) verständlich ins Englische zu übersetzen. Dass auf meinem Ausweis dieselbe Adresse steht, hilft schließlich. Eindringlich schaut die Grenzfrau ihn an und erklärt, dass er sich bitte bewusst sein solle, dass er mindestens für sechs Monaten nicht wieder einreisen dürfe. Okay. Kein Problem. Die Frau ruft irgendjemanden an. Geht kurz weg, kommt dann wieder und drückt uns einen Zettel von der Australian Border Force in die Hand, der ihn über die neuen Regeln aufklärt. Dann dürfen wir einchecken. Und liegen uns erst einmal erleichtert in den Armen. Jetzt nur noch mit seinem italienischen Pass durch die deutsche Grenze kommen.
Angespannte Stimmung am Flughafen
Der Gate-Bereich ist wie ausgestorben. Nur vereinzelt sitzen hier Reisende mit einigen Metern Abstand voneinander. Bis auf einen Essensstand sind alle Geschäfte geschlossen. Es ist ein komisches Gefühl. Das finden offenbar auch andere. Ein Mann steht vor mir an der kleinen Auswahl an Sandwiches, Chips und Wasserflaschen. „Haben Sie auch Alkohol?”, fragt er. „Nein, tut mir leid”, bekommt er zur Antwort. „Kein Alkohol? Wie? Wieso? So ein Schwachsinn. Wo bekomme ich denn Alkohol?” Als die freundlich bleibende Verkäuferin erklärt, dass es aktuell im Flughafen keinen zu kaufen gebe, schüttelt der Mann den Kopf, fragt weiter und stapft schließlich wütend davon. Die Nerven sind in diesen Tagen angespannt. Die wenigsten Flughafengäste sehen entspannt aus.
Im Flugzeug wird mir erst klar, wie viele Menschen am Flughafen gewesen sein müssen – und offenbar nach Hause wollen. Das Flugzeug ist bis fast auf den letzten Platz besetzt. Social Distancing von zwei Metern? Keine Chance. Die Frau vor mir hustet. Und ich schaue mir dabei zu, wie die Corona-Panik hochkriecht. Nachdem sie das aber nur am Anfang tut und dann 14 Stunden nicht mehr, bin ich beruhigt. Helfen tut auch, dass ich mir einerseits ins Gedächtnis rufe, dass die Zahlen in Victoria mit irgendwo um 1.000 zu dem Zeitpunkt wirklich nicht hoch waren. Und dann Zeit darauf verwende, die Situation einfach zu akzeptieren und mir dieses Gefühl von Panik anzugucken, dass da hochkommt. Wovor genau habe ich Angst? Kann ich diese Angst akzeptieren? Was brauche ich jetzt?
Doha versteht kein Deutsch
Nach Meditation, Schlaf, Filmen und Essen kommen wir schließlich in Doha an, der Hauptstadt von Katar. Und erleben Zombie-Apokalypsen-Gefühl Nummer zwei. Es ist noch mitten in der Nacht in Doha. Bis auf die Menschen aus unserem Flugzeug ist niemand da. Wir wandern durch einen fast leeren Flughafen zum Food Court – das einzig Aufregende in dem faszinierend langweiligen Flughafen. Irgendwie hatte ich gedacht, dass hier mehr los ist, weil Doha das Drehkreuz vieler Rückkehrer ist. Fünf Stunden verbringen wir hier. Mehr und mehr Menschen kommen an, sitzen im braven Sicherheitsabstand voneinander, streiten sich, schlafen auf- und nebeneinander, zerren von der Panik unbedarft spielende Kinder herum. Auch hier ist die Stimmung merklich angespannt.
Als wir dann zum zweiten Mal gestoppt werden, auch bei uns. Kurz vor Boarding taucht die Frage auf, wieso mein italienischer Freund denn bitte nach Deutschland wolle, der müsse doch nach Italien. Wir erklären, zeigen Dokumente, erklären weiter. Dem Qatar-Menschen gefällt das nicht. Also ruft er jemanden an. Die Antwort gefällt ihm auch nicht, also ruft er einen weiteren Mensch dazu. Dieses Mal lasse ich die aufkommenden Ich-will-nicht-in-Doha-stranden-Gedanken passieren. Atme und höre in mich hinein. Glaube ich wirklich, dass wir heute nicht nach Berlin und in unsere Wohnung kommen? Nein. Und plötzlich ist alles einfach. „Okay. Enjoy your flight”, höre ich – und freue mich über wieder einen kleinen Beweis, dass Intuition, Fokus und Einstellung so viel mit der Wahrnehmung von Realität zu tun haben.
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Hallo Berlin!
Im nächsten Flugzeug haben wir Platz. Viel Platz. Genauso wie anscheinend die meisten hier. Allzu viele Menschen wollen heute nicht nach Berlin. Da kommen wir nach weiteren sechs Stunden an und stehen erst einmal Schlange. Wie im Flughafen-Bus kurz zuvor ist das mit der sozialen Distanz hier eher relativ.
Dann kommt der Moment der Wahrheit. Wir stehen am Passkontrollhäuschen. Legen alle Dokumente vor, die wir haben. Sekunden vergehen. Mein Freund ist nervös. Machen ihm die deutschen Behörden Probleme, weil er kein Deutscher ist? Lassen sie einen Italiener einreisen? Reicht die Kopie der Meldebescheinigung aus? Sie reicht. In Berlin ist plötzlich alles ganz einfach. Der Beamte schaut sich kurz die Dokumente an, tippt irgendwas in seinen Computer. Dann drückt er mir einen Zettel in die Hand und fragt, ob wir wüssten, dass wir jetzt zwei Wochen in Quarantäne müssten. Wissen wir, also dürfen wir gehen. Das war einfach.
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Immer noch erleichtert schließen wir wenig später die Tür zu unserer Wohnung auf, in die gerade wunderschönstes Frühlingssonnenlicht fällt. Und mir wird klar: Es war der absolut perfekte Zeitpunkt nach Hause zu kommen. Ich bin dankbar für die drei Extrawochen in Melbourne. Und jetzt zwei Wochen einfach zu Hause zu sein, klingt eigentlich ziemlich gut. Und ist es auch.