14. April 2015, 14:05 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Mutti hat davor immer gewarnt, doch nun erlebt das Trampen eine Art Revival. Offenbar strecken immer mehr Abenteuerlustige den Daumen aus. Schließlich passt das Trampen zu den anderen Trends der Gesellschaft: Es ist „social“, umweltfreundlich und flexibel.
Der ausgestreckte Daumen gehörte zu den Hippies wie Schlaghose und bunt bemalter VW-Bus. In der DDR und den Ländern des Ostblocks versprach Trampen neben dem kostenfreien Abenteuer zudem eine Flucht aus der Enge des Alltags: Tramper wurden nicht selten als oppositionell eingestuft, verhielten sie sich doch alles andere als systemkonform und legten ein bisschen zu viel Freiheitsliebe an den Tag.
Doch seit den Siebzigern schrumpfte die Zahl derer, die sich an Autobahnrast- und Tankstellen die Beine in den Bauch standen und dabei den Daumen gen Himmel streckten. Warum? Immer mehr Heranwachsende bekamen eigene Autos, zudem ermöglichten Wochenendtickets, Mitfahrzentralen und Billigairlines das kostengünstige Reisen. Es hatte sich offenbar ausgetrampt auf Europas Straßen.
Ein neuer Boom?
Doch nun erlebt der gemeine Anhalter eine Renaissance. „Wir haben den Eindruck, dass die Anzahl in den letzten Jahren wieder steigt, genaue Zahlen gibt es leider nicht“, sagt Jona Redslob, Vorsitzender des deutschen Trampvereins Abgefahren in Magdeburg, der das Fahren als Anhalter mitmilfe des Internets vom „Hippie-Mief“ befreien und das Trampen wieder populärer machen will.
Gerade in Zeiten steigender Fortbewegungskosten könne Trampen als ökonomisch und ökologisch günstiges Transportmittel punkten. Denn gezahlt wird anders. „Die Währung, die du mitbringst, sind unterhaltende Geschichten und ein offenes Ohr“, sagt Craig Antweiler, Tramper aus Leidenschaft und Student in Leipzig. Er ist bereits in 40 Ländern getrampt, darunter zum Beispiel auch der Iran.
Dabei geht es ihm vor allem um das klassische Freiheitsgefühl. „Beim Trampen lernst du Sachen, über die du noch nie nachgedacht hast. Es ist ein demokratisches Sozialerlebnis“, sagt Antweiler. „Man erhält einen ungefilterten Querschnitt durch die Gesellschaft, denn man hat ja keinen Einfluss darauf, wer einen mitnimmt“, sagt Robert Friedrich, der oft mit Antweiler unterwegs ist und wie dieser in Leipzig studiert.
Weltweit, so sind sich beide einig, existierten keine erkennbaren Unterschiede zwischen den anhaltenden Fahrern. „Es gibt da keinen bestimmten Typ Mensch. Ich habe sogar Statistiken geführt, aber es kam einfach nie ein Bild zustande“, sagt Friedrich.
Die zwei Mitfahr-Experten wünschen sich einen Imagewandel des ihrer Meinung nach vor allem in westlichen Ländern immer noch verpönten Trampens. „Es ist ein grünes Fortbewegungsmittel, das neue Freundschaften schaffen kann“, sagt Craig, der wie Redslob Mitglied beim Verein Abgefahren ist.
Trampen als Sport
Seit 2008 veranstaltet der Verein die Deutsche Meisterschaft im Trampen, die jährlich an Pfingsten stattfindet. Dieses Jahr startet das Rennen in Cottbus. In Zweier-Teams wird von A nach B um die Wette getrampt. Der Zielort wird erst beim Start bekanntgegeben. Die Wettrennen sollen Trampen wieder populärer machen. „Sozialer Austausch und Spaß stehen bei uns im Mittelpunkt, es gibt kaum Regeln“, erklärt Craig.
Disziplinierter und mit eigenem Regelwerk geht es bei den Wettrennen der Deutschen Trampsport Gemeinschaft zu. 2012 nach russischem Vorbild gegründet, will der Club Trampen als Sportart etablieren. Am Osterwochenende hatte ein weiterer Verein, der Club of Roam – Autostop!, ein Wettrennen im nordrhein-westfälischen Minden veranstaltet. Unter dem Motto „Rumeiern in Minden“ mussten die Teilnehmer trampend die im Gebiet versteckten Ostereier finden. „Seit 2011 veranstalten wir jedes Jahr eine Oster-Competition“, sagt Marco Weber, Vorstandsmitglied des Vereins.
Das Austesten von Grenzen ist auch im Alleingang beliebt. Wie weit kann die Reise gehen? Friedrichs längste Strecke betrug um die 12 000 Kilometer und führte quer durch Kanada und Teile der USA. „Es herrscht ein anderes Verhältnis zu Distanzen als in Europa.“ Für eine Wette unter Freunden trampte Antweiler 2011 von Istanbul nach Shah Alam in Malaysia. „Ich wollte dort Freunde besuchen, hatte einen ganzen Monat Zeit und in Gesprächen mit Freunden entwickelte sich die Idee.“ Nach vier Wochen schaffte er es damals ans Ziel. Den 8000 Kilometer langen Trip hielt er in einem Blog mit dem Namen Thumbing Asia from West to East fest.
Wie sicher ist Trampen?
Als Tramper und mitnehmender Fahrer ist bei all den Abenteuern stets Vorsicht geboten. Die Polizei warnt vor Straftaten. Statistiken zu Delikten beim Trampen sind allerdings nicht bekannt, auch haben nur wenige Studien dieses Thema untersucht. Und diese geben eher grünes Licht für Tramper: So konnte eine Studie California Highway Patrol aus dem Jahre 1974 kein höheres Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, für Anhalter feststellen.
Im Jahr 1989 ergab eine Studie des Bundeskriminalamts Wiesbaden, dass das tatsächliche Risiko beim Trampen niedriger ist als allgemein vermutet wird. Zwar käme es in manchen Fällen gegenüber Frauen zu anzüglichen Äußerungen und „dummen Sprüchen“, diesen seien die befragten Frauen jedoch auch im Alltag ausgesetzt gewesen. Gewalttaten seien sehr selten.
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„Das klassische Trampen mit Daumeneinsatz funktioniert meiner Erfahrung nach in Europa weniger gut. Erfolgreicher ist es, die Fahrer direkt anzusprechen“, sagt Antweiler. Zudem erleichterten digitale Kommunikationsmöglichkeiten und die gute Online-Vernetzung der Trampergemeinde das Fahren per Anhalter. So gibt es zum Beispiel Projekte wie das Informationsportal hitchwiki.org.
Die beste Ausrede von Fahrern hat Antweiler übrigens in Seattle gehört: „Ein Mann zeigte auf die Rückbank seines Wagens und sagte, seine Frau liege in den Wehen“. Ob es wirklich stimmte, wisse er nicht. Es sei auch egal, denn irgendwie komme man immer weiter.