26. August 2014, 10:26 Uhr | Lesezeit: 13 Minuten
In den schmalen Gassen der Altstadt von Marrakesch? Nichts. Nachts in den Straßen von Rio? Alles bestens. Im Alltags-Stress von Kairo? Kein Problem. Doch dann kam Bangkok. TRAVELBOOK-Autor Torsten Johannknecht berichtet, wie er in die Fänge der Touri-Mafia geriet.
Als Tourist sollte man ja auf einiges gefasst sein. Überall wird versucht, die Urlauber um ein paar Scheine zu erleichtern. Wahnsinn war, was meiner Frau und mir aber in Bangkok passiert ist. Für uns eine neue Dimension der Abzocke. Nahezu perfekt gemacht. Mit Liebe zum Detail. Und zum Geld. Was für eine Inszenierung! Ein Stück in drei Akten.
AKT 1: der Prolog – Anpirschen, Vertrauen gewinnen
Was für ein prächtiger Palast in Bangkok. Kennt man ja sonst gar nicht, diese ganzen Buddha-Statuen, Gold-Verzierungen und so ’nen Zeug. Toll. Ganz toll! Wir sind gerade fertig mit der Besichtigung des Großen Palastes in Bangkok. Ein Muss für jeden Touri. Das aber weiß auch die Touri-Mafia.
Szene 1: Mitten auf einer Kreuzung vor den Toren des Großen Palastes – uuuuund action!
Wir stehen mit einem Stadtplan in der Hand an der Kreuzung direkt vor dem Haupteingang des Großen Palastes. Unser nächstes Ziel: der berühmte Liegende Buddha. Plötzlich werden wir von einem Fremden angequatscht. Erste Reaktion: Misstrauen! Wie sich rausstellen sollte: zurecht.
Wir haben mal gelesen, dass die Mentalität der Asiaten eher zurückhaltend sein soll. Sie sind schüchtern und sehr hilfsbereit. Also solle man immer misstrauisch sein, wenn auf einmal Thailänder aktiv auf jemanden zugehen und ihn ansprechen. Dann könnten sie unter Umständen etwas anderes im Sinn haben: etwa Geld! Uns ist genau das widerfahren. An der besagten Kreuzung in Bangkok beginnt unsere härteste Lehrstunde.
Anscheinend (im Nachhinein: offensichtlich) macht der Kollege, der uns anspricht, das nicht zum ersten Mal. Er fragt höflich auf Englisch, wo wir denn hinwollten. „Schon gut, wir kommen schon klar“, ist unsere Reaktion. Vorbildlich. Wir sind stolz auf uns, ihn abgewimmelt zu haben.
Von wegen! Er wolle nur helfen, sagt er. Er sei Lehrer und helfe ehrenamtlich den Touristen. Lehrer und ehrenamtlich? Dem MUSS man ja vertrauen! Der ist ja gar kein Abzocker. Toll! Also fragen wir ihn, wie wir zum Buddha kommen. Diesem liegenden. „No problem.“ Der sei fast um die Ecke. 20 Minuten zu Fuß. Oder wir nehmen einfach das Tuk-Tuk. Da ringen sofort die Alarmglocken.
Tuk-Tuk sind in Bangkok die motorisierten Gefährte, die durch die ganze Stadt düsen. Eine Art Taxi auf drei Rädern. Tuk-Tuks stehen eigentlich für: Abzocke! Denn die meisten ziehen ihren Kunden einfach nur das Geld aus den Taschen.
Aber unser neuer Freund belabert einen Tuk-Tuk-Fahrer, spricht laut und energisch. Auf Thailändisch. Er versichert uns, der Fahrer bringe uns zum großen, stehenden Buddha UND anschließend zum Liegenden Buddha. Für umgerechnet 20 Cent. Watt?
Wir haben davon gehört, dass es solche Tuk-Tuks geben soll, die lizenziert und nicht überteuert sind. Sollten wir etwa so viel Glück haben – dank unseres neuen Freundes? Nein! Das merken wir aber erst später. Noch ist alles eitel Sonnenschein.
Wir steigen ein. Ins Tuk-Tuk und somit in die fiesen Machenschaften der Touri-Mafia. Die Falle schnappt zu. Können wir uns befreien?
Szene 2: Vor dem stehenden Buddha (wo wir ja eigentlich nie hinwollten…)
Angekommen bei Buddha Nr. 1 schießen wir ein paar Fotos, kehren zurück zu unserem Tuk-Tuk-Fahrer. Der lächelt immer freundlich, spricht kaum Englisch. Fährt mit uns fünf Meter in eine Seitenstraße, hält an und sagt nur: „Toilet.“ Jau, alles klar. Wir warten hier.
Direkt neben uns sitzt ein Thailänder, liest Zeitung. Ha! „Das ist doch kein Zufall“, denke ich mir. Auf den gehen wir nicht ein, der kann uns nichts! Aber: Der Typ spricht nicht mit uns. Kein Wort! Bestimmt ein, zwei Minuten schweigt er, liest einfach Zeitung. Okay, ich bin wohl zu voreingenommen. Der sitzt wohl wirklich zufällig da. Denkste!
Plötzlich, nach einer halben Ewigkeit, fragt er auf Englisch: „Wo kommt ihr her?“ Aus Deutschland. Ach, sagt er, er habe einen Cousin in Deutschland, in der Nähe von Frankfurt. Echt? Witzig. So klein ist die Welt. Von wegen! Später erfahren wir, dass das (natürlich) zur Masche gehört. Es entsteht ein kleiner, unverbindlicher Small-Talk. Ohne dass wir es so richtig mitbekommen, gewinnt er mehr und mehr unser Vertrauen.
Wie ein Luchs achte ich darauf, dass er uns nicht einlullt. Klappt auch. Zu Beginn. Dann fragt er, wohin wir denn als nächstes Reisen. Och, sag ich, in den Süden von Thailand. Wohin denn genau? „Wissen wir noch nicht“, ist unsere (leider viel zu) ehrliche Antwort.
Die Mafia-Spinne webt ihr Netz immer enger um uns – und wir merken es noch nicht einmal. Im Nachhinein betrachtet war alles sooo offensichtlich. Oh man, wie dumm kann man sein? Wie dämlich waren wir?
Denn auf einmal fängt er an zu erzählen. Aufgrund der Bombe, die vor Tagen hier in Bangkok explodiert sei, würden alle in den Süden wollen. Alles sei voll, auch auf den Inseln sei schon alles ausgebucht. Oha. Wir werden stutzig. Ja, da war was mit einer Bombe. Vor längerer Zeit.
Wir sollten uns beeilen, etwas zu buchen, so sein Tipp. Wohin wir denn jetzt gerade auf dem Weg seien? Zum Liegenden Buddha? Oh, das sei schlecht, denn die Mönche beten gerade, der hat geschlossen. UNFASSBAR. Was für einen Schwachsinn wir auf einmal glauben.
Aber unser neuer Freund kennt ein Insider-Reisebüro. Da gehen nur Thais hin, wegen der niedrigen Preise. Und ja, die Leute da sprechen sogar Englisch. Eigentlich ist die Masche offensichtlich. Nicht jedoch für uns, die wir im Tuk-Tuk sitzen. Warum auch immer scheinen wir im Kopf komplett zugenagelt.
Das Gespräch dauert recht lange. Der Typ quatscht uns gut zu. Am Ende bietet er uns an, dem Tuk-Tuk-Fahrer (wo ist der eigentlich abgeblieben?) zu sagen, er solle uns erst zum Reisebüro fahren und dann zum Liegenden Buddha. Und dann das: Wir stimmen zu. Krass. Im Nachhinein nicht nachvollziehbar. Aber in der Situation logisch.
Und auf einmal taucht – wie in einem Drehbuch – der Tuk-Tuk-Typ wieder auf. Seine Blase und der Redeschwall des Zeitung lesenden Typen scheinen überraschend synchronisiert zu sein.
Weiter geht unsere Fahrt. Plötzlich lautes Gefluche an einer Kreuzung. Mehrere Tuk-Tuk-Fahrer gucken nach links, wo sie anscheinend alle hinfahren wollen. Aber die Armee hat die Straße gesperrt. Mit einem Panzer. Die Tuk-Tuk-Typen unterhalten sich, scheinen extrem ungehalten zu sein, weil sie nicht links abbiegen können. Erst später erfahren wir, warum.
Also fahren wir rechts weiter, kommen an dem Reisebüro an.
AKT 2: die aktive Abzocke. Der Hauptteil. Der absolute Höhepunkt.
Kaum sind wir durch die Tür gegangen, werden wir in Empfang genommen und von einer jungen Dame an ihren Schreibtisch gebeten. Herzlich willkommen und blablabla. Ich gucke mich um: Anscheinend nur Touristen. Passt zu den Dutzenden vor der Tür parkenden Tuk-Tuks. Erscheint irgendetwas verdächtig? Uns nicht. Natürlich nicht.
Szene 3: Am Schreibtisch im Reisebüro, vor einer deutschen Landkarte von Thailand sitzend
Wohin wir denn wollen? In den Süden? Super. Dann also ab nach Phuket und/oder Koh Samui. Soll traumhaft sein, und da ist auch zufällig noch was frei. HALT! Stopp!
Wir haben zwar noch nichts gebucht, aber wir haben eine Vorstellung von dem, wo wir hinwollen. Nämlich auf keinen Fall nach Phuket oder Koh Samui. Viel zu überlaufen. Wir wollen bitte nach Koh Phangan und Koh Tao. Die Reisebüro-Tussi widerspricht uns plötzlich. Wir sollten doch besser ihre Tour nehmen, die sei schöner und billiger. Wie bitte?
Nein. Wollen wir aber nicht. Verhandlungen beginnen. Wir überzeugen die Dame von unserer Tour, und sie sucht uns Busticket und Unterkunft raus. Und nennt uns einen Preis, in thailändischen Baht. Der erscheint uns wahnsinnig hoch. Ich unterhalte mich mit meiner Frau auf Deutsch. Dass das doch zu teuer ist.
Zum ersten Mal ein Hauch von Misstrauen. Na endlich! Wurde auch Zeit. Aber wir sitzen schon im Epi-Zentrum der Touri-Mafia.
Wir erzählen der Reisebüro-Tussi, dass wir gerade versuchen, den Preis in Euro umzurechnen. Kein Problem, sagt sie, das könne sie auch. Wir kommen auf einen Betrag um etwa 370 Euro für den kompletten Trip. Sie hackt minutenlang (!) auf ihren Taschenrechner ein und am Ende steht dort die Zahl: 87. Hä? Die ganze Reise soll 87 Euro kosten? Dabei liegt der tatsächliche Umrechnungs-Betrag bei knapp unter 400 Euro.
Spätestens jetzt wird uns einiges klar. Meine Frau sagt zu mir: „Wir sitzen in einem Reisebüro, in das wir nie reinwollten. Und wir sollen hier den Rest unseres Urlaubs bezahlen? Nein!“ Sie hat recht.
Und jetzt passiert etwas, das leider etwas zu spät kommt und bei – wie wir später feststellen werden – vielen anderen Touristen gar nicht passiert: Wir widersprechen und wehren uns, wollen nur noch hier raus. Wir brechen alles ab. Wir sagen, wir wollen da noch mal drüber nachdenken und am nächsten Tag wiederkommen.
Aber – auch darauf ist die Mafia vorbereitet: Das ginge nicht. Denn schließlich sei schon alles gebucht. Wir müssten jetzt bezahlen. Jetzt wird’s mir aber zu bunt!
Zum Glück haben wir tatsächlich keine Kreditkarte dabei. „Kein Problem“, sagt die Reise-Tussi. Das Büro könne einen Mann mitschicken, der uns zum Hotel begleitet, und wir können ihm dann am Geldautomaten das Geld geben. Damit er mitkommt, müssten wir auch nur 10 Euro extra bezahlen.
Ein unfassbarer Vorschlag. Zum Glück sind wir wieder bei Verstand! Innerlich raste ich komplett aus. Wir sagen zu allem Nein! Die Reisebüro-Tussi verschwindet kurz. Als sie wiederkommt, sagt sie, wir sollen mal bitte in ein Büro kommen. Aha. Machen wir. Mehr als skeptisch. Mit Wut geladen betreten wir das Büro der Chefin. „Wot is se probläm?“ Die will uns die ganze Reise noch mal von vorne verkaufen, erneut beginnen Verhandlungen. Außerdem sei ja schon alles gebucht, wir sollten bezahlen. Unser Standpunkt bleibt klar: Wir kommen morgen wieder! Okay, sagt sie. Wenn wir eine Anzahlung machen.
Meine Frau und ich gucken uns an. Wir wissen beide, dass das Geld dann weg ist. Aber: Hauptsache raus hier! Wir zahlen am Ende umgerechnet etwa 50 Euro an und „verabreden“ uns für den Folgetag. Beide Parteien wissen zu dem Zeitpunkt, dass wir uns nie wieder sehen werden.
Um 50 Euro erleichtert dürfen wir das Reisebüro verlassen. Unser Tuk-Tuk-Fahrer ist immer noch da. Und will uns weiterfahren. Zum Liegenden Buddha.
Bock haben wir eigentlich keinen mehr. Weil wir aber gar nicht wissen, wo genau wir uns in Bangkok befinden, akzeptieren wir sein Angebot. Erzürnt über das, was uns zuvor passiert war, quatschen wir während der Tuk-Tuk-Fahrt nur darüber.
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AKT 3 – wir sind noch nicht aus dem Schneider, im Gegenteil! Der Abspann
Auf dem Weg dahin – kein Scherz! – hält er noch mal am Straßenrand an, sagt: „Toilet.“ Ist uns völlig egal. Mach, was du willst, denken wir uns. Wir wurden gerade abgezockt. Langsam wird uns alles klar. Der Mann am Großen Palast. Der Mann mit der Zeitung. Womöglich auch der arme Tuk-Tuk-Fahrer? Alles eine Mafia. Alles abgesprochen.
Und plötzlich das. Während der Tuk-Tuk-Typ auf dem Klo ist, taucht der Mann mit der Zeitung wieder auf. Der vom 1. Buddha. Er fragt, wie es war. Ob wir gebucht hätten. „Ja“, sagen wir. Was es gekostet hat. „Fast 400 Euro für die Tour.“ Das ist günstig sagt er, gratuliert uns zu unserem Deal, dreht sich um und telefoniert. Jetzt will er seinen Anteil vom Reisebüro haben. Viel Spaß dabei.
Der Tuk-Tuk-Fahrer kommt wieder, fährt uns zu einem Schneider. Kein Buddha, ein Schneider. Hat er sie noch alle? Er gibt uns zu verstehen, wenn wir da reingehen, bekommt er einen Tank-Gutschein. Wir weigern uns. Er bittet uns, mit leichter Verzweiflung.
Szene 4: Beim persönlichen Schneider des Vertrauens
Okay, wir gehen rein. Weil er die wahrscheinlich ärmste Sau in der Abzock-Maschinerie der Mafia ist, tun wir Tuk-Tuk-Pilot den Gefallen. Wir schlendern durch den Schneider-Laden, lassen uns ausnahmsweise keinen Anzug, kein Kleid – was alles bis zum nächsten Morgen fertig wäre – aufschwatzen. Nach anderthalb Minuten sind wir wieder raus aus dem Laden.
Szene 5: Der Liegende Buddha, eigentlich eines DER Höhepunkte Bangkoks
Und jetzt passiert, was eigentlich vor vier Stunden hätte passieren müssen: Der Tuk-Tuk-Typ fährt uns zum Liegenden Buddha. Dafür will er umgerechnet 20 Cent haben. Wir geben ihm 40. Er strahlt. Wir nicht.
Auf den Fotos vom Liegenden Buddha haben wir wütende, enttäuschte Gesichter. Eigentlich haben wir auch keinen Bock mehr auf Sightseeing, wollen nur noch zurück ins Hotel.
Szene 6: Die Auflösung im eigenen Hotelzimmer
Dort recherchieren wir. Wir googlen das Reisebüro. Sofort wird uns klar: Wir sind sehr, sehr glimpflich davongekommen. Genau unsere Geschichte ist vielen Menschen passiert. Wir lesen etwas vom Cousin aus Deutschland, von dem Besuch beim Schneider und beim Juwelier. Juwelier? Da waren wir nicht. Stimmt! Weil auf dem Weg zum Juwelier ein Panzer stand und kein Tuk-Tuk uns dort abliefern konnte.
Aber die Horror-Märchen, die wir im Internet lesen, sind schrecklich. Ganze Urlaube wurden versaut, weil Busse nicht kamen, Unterkünfte grausam waren oder Geld plötzlich verschwand. Darum Warnung an alle Bangkok-Touristen: Meidet Suphanaphumi Travel Co. – das sind mehr als miese Abzocker.
Die Geschichte, dass der Süden wegen einer Bombe in Bangkok überbucht sei, stimmte natürlich auch nicht. Zufällig aber sind wir auf Koh Phangan an einer von dem Reisebüro vorgeschlagenen Unterkunft vorbeigekommen. Ein heruntergekommener Schuppen, ekelhaft.
Zum Glück haben wir Thailand auf eigene Faust entdeckt. Und ein faszinierendes Land kennengelernt. Nur mit Bangkok haben wir noch eine Rechnung offen. Vorhang zu.
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