19. November 2021, 6:36 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Kreuzfahrtschiffe gelten für viele als „Heile Welt“-Ort, ähnlich der ZDF-Reihe „Das Traumschiff“. Doch während in der TV-Idylle immer alles gut wird und die Crew Probleme quasi im Vorbeigehen löst, sieht es in der Realität auf einem Schiff oft ganz anders aus. In unserer neuen TRAVELBOOK-Serie „Hinter den Kulissen der Traumschiffe“ haken wir bei Insidern nach. Dieses Mal gewährt eine Kreuzfahrt-Rezeptionistin Einblicke, die Urlaubern sonst verwehrt bleiben.
Nina (Name von der Redaktion geändert) ist gebürtige Sächsin und hat ihre Ausbildung als Hotelfachfrau in einem Thüringer Haus absolviert. Ein Hotel, das während ihrer Ausbildung auf Bio umgestellt hat – mit Produkten aus der Region und auch aus eigener Produktion. „Das war natürlich ein starker Kontrast zur Kreuzfahrt-Welt, zumindest noch zu meiner Zeit“, erinnert sich Nina. Nach einem Zwischenstopp in einem Hotel im englischen Guildford nahe London und in einem Potsdamer Haus ging es an Bord, als Rezeptionistin. Für Nina ein logischer Schritt: „Wenn man eine Reisende im Herzen ist, kommt man im Hotelgewerbe nicht daran vorbei, darüber nachzudenken, auf einem Schiff zu arbeiten.“
Auch wenn sie nur anderthalb Jahre an Bord „ausgehalten“ und dabei den „Glauben an die Menschheit verloren hat“, schließt sie nicht aus, in Zukunft noch einmal auf dem Meer zu arbeiten. Im Interview mit TRAVELBOOK hat sie die Gründe verraten.
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TRAVELBOOK: In Deutschland herrscht oft das Traumschiff-Bild von Kreuzfahrten. Wie viel hat das mit der Realität zu tun?
Nina: „Gar nichts! Also zumindest nicht auf den Kreuzfahrten, für die ich als Rezeptionistin an Bord war. Außer du gibst als Gast richtig Geld aus und buchst eine Suite. Das ist ein anderes Niveau – mit privatem Frühstück etc.. Sonst ist es ‚All-inclusive auf dem Meer‘: In einer halben Stunde wird sich der Wein hinter die Binde gekippt, weil er zum Essen umsonst ist – unterste Schublade.“
Wann haben Sie als Kreuzfahrt-Rezeptionistin gearbeitet und wo genau waren Sie unterwegs?
„Das ist schon länger her, knapp zehn Jahre – eventuell hat sich seitdem auch einiges geändert. Zunächst bin ich damals für ein halbes Jahr an Bord. Danach habe ich noch einen Folgevertrag für acht Monate angenommen. Nach den anderthalb Jahren war der Verschleiß schon da, muss ich zugeben.
Zuerst sind wir durch das Mittelmeer gekreuzt. Mit Stationen wie etwa Istanbul, Santorin und Mykonos. Dann ging es durch den Suezkanal Richtung Dubai, Abu Dhabi, Oman und Bahrain. Das war damals richtig spannend und aufregend, im Suezkanal waren zu dem Zeitpunkt gerade die Piraten – heißt: Alle Luken zu und die Wasserstrahler bereit.“
Was hat alles zu Ihrem Aufgabenbereich gezählt?
„Als Rezeptionistin war ich Dreh- und Angelpunkt für alle Belange der Gäste während ihrer Kreuzfahrt. Natürlich in erster Linie für Check-in und Check-out. Das darf man sich jetzt aber nicht so vorstellen wie in einem Hotel. Bei den großen Schiffen gab es beim Check-in 14 bis 16 Schalter im Hafen-Terminal. Da mussten natürlich Crew-Mitglieder aus anderen Bereichen unterstützen, damit wir die Tausenden schnell einchecken konnten. Ich habe die Gäste nur kurz begrüßt und mich gleich entschuldigt, dass ich sie nicht direkt ansprechen oder anschauen kann, da ich alles parallel machen musste. Während ich die Bordkarte erstellt habe, erklärte ich den Passagieren, wie alles abläuft und wo sie hinmüssen. Den Check-in fand ich immer wahnsinnig beeindruckend: Erst habe ich nur Köpfe gesehen, dann hintereinander weg sechs Stunden eingecheckt und irgendwann war dieser Terminal wirklich leer.“
Wie haben Sie Ihren Job als Rezeptionistin für eine Kreuzfahrt-Reederei empfunden?
„Ich war die Informationsstelle für alles. Wo sind wir am nächsten Tag? Was kann man da machen? Wann legen wir an? Wann immer die Leute eine Frage hatten, kamen sie zu uns an die Rezeption. Das Problem dabei: Auf einer Kreuzfahrt gibt es die Gäste, die selbstständig sind und die, die ihr Hirn ausgeschaltet haben. Blöd nur, dass wir fast nur mit Letzteren zu tun hatten. Da verliert man den Glauben an die Menschheit.
Nehmen wir mal so einen Wechseltag – die einen gehen von Bord, die anderen checken ein. Bei so einem Passagierwechsel war es, als würde man einmal zurückspulen und wieder Play drücken: die gleichen Menschen, die gleichen, oft eigentlich ersichtlichen Fragen. Die Dummheit mancher ist wirklich unergründlich.
Noch dazu ist der Job als Rezeptionistin an Bord einer Kreuzfahrt alles andere als das vergleichbare Pendant an Land. Monatelang durcharbeiten – ohne einen einzigen freien Tag. Natürlich war das grenzwertig. Allerdings ist es auch eine Einstellungssache: Wenn man es als Comedy betrachtet, ist es der Hammer.“
Zeitdruck, Tausende Passagiere und ihre Probleme – wie sind Sie mit den Herausforderungen umgegangen und wie haben Sie sich motiviert?
„Wie gesagt, man muss das als Live-Comedy-Show sehen, an der man teilnehmen darf. Morgens haben wir immer gelost, wer die Arschkarte kriegt. Die hat man dann zum Schichtbeginn bekommen und musste den ganzen Tag die dümmsten aller Fragen beantworten – damit das aufgeteilt war und man nicht jeden Tag mit denen zu tun hatte, die ihr Gehirn an der Gangway abgegeben haben.
Da ich eher ein positiver Mensch bin, hat mir aber auch meine innere Einstellung geholfen. Und natürlich steht und fällt die eigene Motivation mit deinen Vorgesetzten. Bei uns hat es gut zusammengepasst – klar, es gab auch einige Ausreißer. Doch grundsätzlich haben wir schon geschaut, dass jeder in jedem Hafen mal rauskommt und haben dafür gegenseitig Stunden übernommen. Ohne den Zusammenhalt im Team wäre der Job nicht möglich gewesen. Ich habe heute noch Freundschaften, die an Bord entstanden sind.“
Welche skurrile Situation werden Sie nie vergessen?
„Wir hatten ein Tagebuch an der Rezeption – über die absurdesten Geschichten. Geschichten, von denen man denkt, dass sie nicht wahr sein können und die einem niemand glaubt. Von einem Gast etwa, der sich mit Absicht in die Hose gemacht hat, weil seine Kabine noch nicht fertig war. Der Entertainer an Bord hat sich aus diesem Buch bedient, die Geschichten also auf der Bühne vorgetragen. Die Passagiere haben sich weggeschmissen und gar nicht gemerkt, dass sie über sich selbst gelacht haben.
Aber auch innerhalb der Crew gab es absurde Geschichten. Manche hatten zwei Leben, also ihre Bord-Beziehung und ihre Familie an Land. Klar, bei sechs Monaten oder mehr an Bord hält man es nicht aus ohne Liebe oder Zuneigung. Männer wie Frauen: Sie haben ihre Familien betrogen. Am schlimmsten war es, wenn dann der Partner mal auf einer Reise dabei war – alle wussten von dem Doppelleben.
Manche haben aber auch an Bord ein Leben gelebt, das sie in ihrem Land nicht leben durften oder zu Hause nicht konnten. An Bord war ein Mitarbeiter zum Beispiel ganz offen schwul. Zu Hause hatte er sich hingegen noch nicht geoutet.
Waren Sie mit den Arbeitsbedingungen zufrieden?
„Ich hatte das Privileg, eine Einzelkabine mit einem kleinen Bullauge zu haben – sonst wäre ich wohl gestorben. Zwar mit geteiltem Badezimmer, aber damit konnte ich leben. Meinen Lohn fand ich ok, so 1500 Euro netto bei freier Logis und überwiegend auch freier Kost. Ich habe es aber trotzdem geschafft, viel auszugeben, weil man das viele Arbeiten ja mit viel Gönnen kompensiert. Friseur, Massage, Feiern in der Bar, Unternehmungen an Land: Das hat sich summiert. Eigentlich haben das aber hauptsächlich die Europäer gemacht. Viele Asiaten etwa haben jeden Penny nach Hause geschickt.“
Kreuzfahrtschiffe stehen auch immer wieder wegen ihrer Emission in der Kritik. Was meinen Sie dazu?
„An Bord sind ja Umweltoffiziere. Die schauen schon, dass alles umgesetzt und die Regeln eingehalten werden. Ich kann das aber nicht beurteilen, weil ich da nicht ausgebildet bin. Und damals hatte ich auch noch ein anderes oder weniger Bewusstsein zum Thema Nachhaltigkeit und Umwelt.“
Was müsste sich ändern, damit sich an Bord etwas verbessert?
„Man kann die Leute in zwei Wochen nicht erziehen. Dafür sind Kreuzfahrten auch nicht da.“
Was meinen Sie? Darf man eine Kreuzfahrt machen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?
„Wenn man sich respektvoll verhält, der Crew und den Menschen in den Ländern gegenüber, wenn man sich beim Essen nur das nimmt, was man auch wirklich isst, wenn man sein Tun und Handeln überdenkt: Dann darf man sich das gönnen, finde ich.“
Möchten Sie trotzdem noch einmal an Bord gehen?
„Ja, auf jeden Fall. Und auch wieder als Rezeptionistin für eine Kreuzfahrt-Reederei. Um die Welt zu sehen und mir noch einmal die volle Dosis Comedy zu geben.“
Zum Schluss: Vervollständigen Sie folgenden Satz aus dem Bauch heraus: Kreuzfahrten sind …
„… Abenteuer und Comedy – muss man mal erlebt haben.“