26. Juni 2022, 9:43 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Entschleunigt die Welt entdecken, aber keine Lust auf die riesigen Kreuzfahrtschiffe? Dann könnte ein Aufenthalt an Bord eines Cargofrachters eine Alternative sein. Die Touren wollen vor allem in Sachen Klimaschutz punkten. Doch können sie ihr Versprechen halten?
Der Sommerurlaub steht vor der Tür. Die meisten haben ihre Reise bereits gebucht. Nach zwei Jahren, in denen Urlaub nur mit großen Einschränkungen und unter Auflagen möglich war, sehnen sich viele nach einer neuen Art, die Welt zu entdecken. Nachhaltig sollte das Ganze auch noch sein. Eine Reise mit einem Frachtschiff in Europa soll diese Erwartungen erfüllen.
Slow-Travelling nennt sich der Trend, den die Tourismusbranche bereits seit einigen Jahren für sich entdeckt hat. Wieso vor allem das gerade so beliebt ist, weiß Professorin Dr. Ina zur Oven-Krockhaus. Sie leitet den Studiengang Tourismusmanagement an der privaten internationalen Hochschule IU und beobachtet vor allem zwei Entwicklungen: „Zum einen der Wunsch nach Individualisierung. Aber auch das Thema Nachhaltigkeit und ökonomische Verantwortung werden vielen immer wichtiger, wenn sie eine Reise buchen.“
Der Trend zu Frachtschiffsreisen kommt nicht von ungefähr
Das führe dazu, dass viele Anbieter ihr Angebot auch in diesem Bezug ändern. Neben dem Ausbau von Nachtzugverbindungen und Wander- oder Fahrradtouren werden Schiffsfahrten immer beliebter. Kreuzfahrten hingegen stehen immer öfter in der Kritik, weil sie nicht gut für die Umwelt sind, unglaublich hohe Energiekosten haben und viel Müll produzieren. Das scheint die Stunde von Frachtschiffsreisen zu sein.
Das Prinzip ist simpel: Auf einem gewöhnlichen Frachtschiff, das zum Beispiel auf dem Rhein unterwegs ist und Waren transportiert, kann ein Passagier mit an Bord gehen. Genaue Statistiken zu den jährlichen Fahrgastzahlen auf Frachtschiffen gibt es nicht und nur sehr wenig Fachliteratur. Schätzungen gehen für Deutschland von etwa 5.000 Reisenden pro Jahr aus, Tendenz steigend.
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Die Reisen werden entweder durch spezialisierte Touristikunternehmen oder direkt über die Redereien angeboten. Das Start-up CargoRiders aus Österreich etwa plant, eine Art Airbnb für die europäische Binnenschifffahrt zu sein, wie Frank Michelberger von der Fachhochschule St. Pölten erklärt. Er ist Institutsleiter des Carl Ritter von Ghega Instituts für integrierte Mobilitätsforschung. Das Institut unterstützt das Start-up zum Start im Laufe dieses Jahres beim Aufbau. „Wir haben kein eigenes Frachtschiff und sind auch keine Kapitäne“, sagt Frank Michelberger und lacht. „Manche denken das tatsächlich und fragen bei uns direkt eine Wunschroute an. Aber das geht natürlich nicht.“
Wie viel kosten Frachtschiffsreisen in Europa?
Wie viel eine Frachtschiffsreise in Europa kostet, ist abhängig vom Redner, der Route und der Dauer. Einige kleine Frachter, wie etwa die MS Michaela, bieten eine Woche in der Einzelkabine ab 540 Euro pro Woche für eine Person an. Ähnlich kalkuliert auch CargoRiders: „Eine Wochenreise, auf der man fünf Tage unterwegs ist, kann schon zwischen 400 und 500 Euro kosten. Wir rechnen mit einem Tagespreis von 100 bis 130 Euro pro Tag. Da ist aber meistens schon die Verpflegung mit drin.“
Das Angebot ist also nicht wirklich günstig. Aber noch aus einem ganz anderen Grund würde das entschleunigte Reisen einige Personen besonders ansprechen, glaubt Tourismusexpertin zur Oven-Krockhaus: „Solche Slow-Travelling-Angebote erzählen auch immer eine Geschichte: Sie liefern ganz andere Bilder als eine massentaugliche Pauschalreise.“
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Doch wie steht es nun mit der Nachhaltigkeit bei einer Reise mit dem Frachtschiff?
In der Diskussion um die Nachhaltigkeit von Frachtschiffsreisen sei das Argument häufig, dass die Schiffe eh fahren würden, erklärt zur Oven-Krockhaus. Das stimme insofern, als etwa im Vergleich zu einer herkömmlichen Kreuzfahrt oder einer individuellen Eigenanreise keine zusätzlichen CO₂-Emissionen in die Atmosphäre gelangen. Fakt ist jedoch auch, so Frank Michelberger von CargoRiders: „Frachtschiffe haben einen hohen Emissionsausstoß. Das kann niemand wegdiskutieren.“ Allerdings sei die Passagierzahl sehr begrenzt.
Ein Frachtschiff könne maximal zwölf Leute mitnehmen, je nach Größe. Es gibt rechtliche Vorgaben. „Über Angebote wie Atmosfair kann man den CO₂-Ausstoß natürlich auch ausgleichen. Aber das müsste dann der Reisende aber selbst machen oder als Zusatzoption zu buchen“, so der Mitgründer. „Uns ist es schon wichtig, das Ganze zukunftsorientiert und auch weitestgehend nachhaltig zu gestalten. Beispielsweise wollen wir die Anreise zum Hafen oder die Weiterreise nach einem bestimmten Streckenabschnitt mit der Bahn fördern“, sagt er.
Tourismusexpertin zur Oven-Krockhaus sieht außerdem positive Entwicklungen in der gesamten Schifffahrt in Sachen Nachhaltigkeit: „Anbieter wie Aida wollen vermehrt auf Flüssiggas-Schiffe setzen.“ Es werde zwar nach Alternativen und Lösungen geforscht, die Branche sei aber noch nicht so weit in Sachen Elektromobilität. „Wer wirklich nachhaltig reisen will, sollte auch bei darauf spezialisierten Anbietern buchen. Am Ende ist eine Wanderung zu Fuß wohl ökologisch wesentlich nachhaltiger als eine Frachtschiffsreise“, so zur Oven-Krockhaus.
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Viel Komfort können Reisende auf so einem Schiff jedoch nicht erwarten
„Es gibt eine Brücke, Kabinen für Mannschaft und Kapitän sowie ein, zwei Gäste. Wenn man Glück hat, befindet sich auf einem Deck noch etwas Pool-Ähnliches zum Abschalten, aber das ist längst nicht auf allen Schiffen“, sagt zur Oven-Krockhaus, die selbst schon einmal auf einem Frachter unterwegs war. „Man sollte auch seefest sein. Nur selten sind Ärzte mit an Bord. Je nach Route muss man zwei Wochen auf engsten Raum mit der Crew leben, teilweise ohne Internet. Das hat natürlich auch einen gewissen Meditationsfaktor“, gibt sie zu.
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Auch die Verpflegung sei meist eher arbeitsgerecht mit Kantinenflair. Wer Sonderwünsche habe, wie etwa vegetarisches Essen, sollte das möglichst vorher absprechen und sich im Zweifel bei der Vielfalt einschränken oder selbst Verpflegung mitbringen.
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Wer mit dem Frachtschiff reist, muss viel Zeit und Geduld mitbringen. Denn mit gerade einmal 20 Kilometer pro Stunde tuckern die Frachter gemütlich über den Fluss – deutlich langsamer also als herkömmliche Kreuzfahrtschiffe. Außerdem sind Reisende auf Frachtschiffen abhängig vom Zeitplan des Kapitäns. Denn im Gegensatz zu Kreuzfahrten gilt es hier ja, nicht ausschließlich den Reisenden eine tolle Zeit zu bescheren, sondern auch einen Job zu erfüllen. „Vieles verschiebt und ändert sich, weil am Hafen oder auf dem Fluss irgendwelche Probleme sind. Das ist aber auch Teil des Abenteuers“, so Michelberger. Ein weiterer Nachteil der Frachtschiffsreisen sei, dass die Häfen meistens nicht sehr zentral gelegen seien.
Aber: Eine Frachtschiffsreise bietet auch ein ganz neues Urlaubserlebnis. „Den Alltag auf so einem Frachtschiff kennt man ja als Normaler nie: Man ist Teil des Schiffes. Der Brücke, dem Maschinenraum, alles. So viel Freiheiten hat man auf anderen Schiffen wohl nicht“, so Michelberger.
Alles in allem braucht eine Reise auf dem Frachtschiff im Vergleich zu klassischen Kreuzfahrten sicherlich viel mehr Vorbereitung. Vor- und Nachteil zugleich ist auch, dass es hier kaum Unterhaltungsmöglichkeiten gibt. Während man sich auf großen Kreuzfahrtschiffen oft kaum vor Freizeitangeboten, von Kino über Sport bis sogar Achterbahnen, kaum retten kann, ist man auf dem Frachtschiff „auf sich selbst gestellt“, so der CargoRiders-Mitarbeiter. Wer sich also darüber im Klaren ist, kann auf dem Frachtschiff einen spannenden Urlaub verbringen. Die nachhaltigste Art, die Welt zu entdecken, ist sie aber nicht.