21. Oktober 2015, 10:30 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Kreuzfahrten boomen – und die Reedereien gewinnen durch immer ausgefallenere Routen, Themenfahrten und hochmoderne Schiffe ständig neue Zielgruppen. Dass die Mega-Schiffe, die jährlich Tausende Passagiere zu den Traumzielen dieser Welt bringen, auch negative Einflüsse haben, wird indes gern ausgeblendet. Ein Lagebericht.
Für die Passagiere ist es das Highlight ihrer Südeuropa-Kreuzfahrt: Mitten durch die historische Altstadt Venedigs fährt ihr Schiff, schiebt sich nur wenige Meter an Markusdom und Dogenpalast vorbei durch den Giudecca-Kanal, passiert Bauwerke, die zum Teil vor mehr als 1000 Jahren erbaut wurden. Eine bessere Aussicht auf das historische Zentrum hat man von keinem anderen Punkt der Stadt aus.
Etwas bizarr, ja beinahe schon verstörend dagegen ist der Anblick, den das vorbeiziehende Schiff vom Ufer aus betrachtet bietet: Der Koloss wirkt mit seinen mehr als zehn Etagen wie ein zu breit geratenes Hochhaus, lässt die Menschen und selbst die Türme und Paläste der Lagunenstadt geradezu winzig erscheinen. Etwa 1700 Mal pro Jahr mussten die Venezianer diesen Anblick zuletzt ertragen. Ein Schandfleck für Venedig seien die Ozeanriesen, monierten viele und gingen auf die Straßen. Doch das war nicht der einzige Grund, warum sich in den vergangenen Jahren immer mehr Protest gegen die Kreuzfahrtschiffe in der Stadt richtete.
Schwimmende Dreckschleudern
Experten zufolge verschmutzen die Schiffe mit ihrem Öl das Meerwasser und verschlimmern die Erosion an den empfindlichen Fundamenten, auf denen die Stadt gebaut ist. Zudem warnten die Experten, dass der Boden der Stadt auch aufgrund des starken Wellenschlags der Schiffe und der von ihnen ausgelösten Vibrationen immer mehr absinke. Im August 2014 dann setzte das italienische Verkehrsministerium ein Verbot durch, das seit November offiziell galt: Kein großes Kreuzfahrtschiff sollte die Route nahe dem Markus-Platz mehr nutzen dürfen, und auch eine Durchfahrt des Guidecca-Kanals war für Ozeanriesen mit einem Gewicht von mehr als 40.000 Tonnen tabu.
Im Januar dieses Jahres dann der Rückschlag für die Kreuzfahrt-Kritiker: Ein Verwaltungsgericht kippte beide Verbote wieder. Zuerst müssten Alternativrouten für große Kreuzfahrtschiffe gefunden werden, hieß es in der Begründung. Zur Zeit ist der Weg am Markusplatz vorbei und durch den Giudecca-Kanal für große Schiffe der einzige Wasserweg, um zum Schiffsterminal im Westen des historischen Zentrums zu gelangen.
Während manche Reedereien ihre Routen dem Verbot bereits angepasst hatten und auch jetzt dabei bleiben, andere Häfen anzusteuern, werben andere inzwischen wieder mit der spektakulären Fahrt durch Venedigs historisches Zentrum. „Die atemberaubende Hafenein- und -ausfahrt vorbei am Markusplatz dürfen Sie auf keinen Fall verpassen!“, heißt es etwa auf der Website von Royal Caribbean, dem Weltmarktführer in der Branche.
Tausende Passagiere täglich
Venedig ist nicht das einzige Touristenziel, das unter den immer häufiger einlaufenden Kreuzfahrtschiffen zunehmend leidet. Santorin in Griechenland etwa, das regelmäßig zur schönsten Insel Europas gewählt wird, steht auf der Hitliste der beliebtesten Kreuzfahrtdestinationen ebenfalls ganz weit oben. Und so ist die berühmte Caldera, die das Santorin-Archipel bildet, im Sommer regelmäßig voll mit großen Schiffen. Die vergleichsweise kleine und ohnehin schon stark besuchte Insel muss dann mitunter Tausende zusätzliche Touristen verkraften, die von den Schiffen aus an Land gehen.
Wie unangenehm es zudem sein kann, wenn plötzlich Tausende Passagiere auf einer kleinen Insel an Land gelassen werden, hat auch Daniel Dorfer erfahren, der den Reiseblog Fernwehblog.net betreibt und schon selbst sehr viele Kreuzfahrten unternommen hat. „Man stelle sich nur vor, ein Schiff wie ‘Oasis of the Seas‘, derzeit eines der größten Passagierschiffe der Welt, fällt auf einen Schlag mit mehr als 8000 Menschen an Bord über eine kleine Karibikinsel wie Sint Marteen her. Und sie ist an diesem Tag nicht das einzige Schiff, womit locker 20.000 Passagiere und Crewmitglieder an Land gehen. Da hilft manchmal nur die Flucht in einen Ausflug an Land oder zu Wasser. Ich habe das selbst schon erlebt und bin nicht noch einmal scharf drauf.“
Ebenso kämpft Dubrovnik mit den Massen, die täglich mit Kreuzfahrtschiffen ankommen und in die Altstadt einfallen. Die Zahl der Kreuzfahrtpassagiere, die jährlich in die kroatische Hafenstadt kommen, ist von rund 940.000 im Jahr 2009 auf etwa 1,2 Millionen im Jahr 2013 gestiegen, wie der Kreuzfahrtratgeber „Cruisetricks“ berichtet. Bis zu 12.000 Passagiere strömten an den Spitzentagen im Juli und August in die Altstadt – viel zu viele, wie eine vom Tourismusministerium in Auftrag gegebene Nachhaltigkeitsstudie schließlich feststellte.
Demnach seien die Schäden, die die Kreuzfahrtschiffe anrichten, um das achtfache höher als ihr Nutzen. Maximal 8000 Passagiere könne Dubrovnik pro Tag verkraften. Seit 2012 gilt laut „Cruisetricks“ nun eine neue Richtlinie, wonach maximal zwei große Kreuzfahrtschiffe pro Tag vor Dubrovnik ankern dürfen.
Hohe Umweltbelastung
Natürlich bringen die Kreuzer den Häfen und damit letztlich den Staatskassen auch Geld ein, keine Frage. Und jeder Tourist, der in den angesteuerten Zielen an Land geht, lässt zumindest ein paar Münzen oder Scheine in Restaurants, Shops oder Museen. Aber die Belastung der Schiffe für Umwelt und Mensch sei definitiv nicht wegzudenken, warnt auch Dieter Oeliger vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) im Gespräch mit TRAVELBOOK. „Ein einziges mittelgroßes Kreuzfahrtschiff stößt im Schnitt am Tag so viele Luftschadstoffe aus wie fünf Millionen Pkw.“ Das liege vor allem am besonders schwefelhaltigen Schweröl, das Schiffe tanken, sowie an fehlender Abgastechnik.
„Wenn Städte wie Hamburg, Venedig oder Dubrovnik besonders oft von den Kreuzfahrtschiffen angelaufen werden, ist die Belastung entsprechend hoch. Vor allem auch deshalb, da die Schiffsmotoren permanent im Hafen weiterlaufen, um den Bordbetrieb aufrecht zu erhalten,“ erklärt der NABU-Leiter für Verkehrspolitik weiter. Das belaste nicht nur die Küsten und den Meeresgrund, sondern auch die Gesundheit der Anwohner. „Laut EU-Kommission sterben alleine in Europa jährlich 50.000 Menschen vorzeitig an Schiffsabgasen. Tendenz steigend!“, warnt Oeliger.
Auch an Korallenriffen, etwa in der Karibik, können Kreuzfahrtschiffe Schäden anrichten. Die Regierung der für ihre reiche Unterwasserwelt bekannten Cayman Islands hat im Jahr 2007 großen Kreuzfahrtschiffen das Ankern vor den Inseln komplett verboten. Der Grund: Laut dem dortigen Umweltamt richteten die schweren Ankerketten der Ozeanriesen große Schäden an den Korallen an. Und der Ocean Conservancy Report kam 2002 zu dem Schluss, dass Fische, Meeresvögel, Korallenriffe und andere Meeresbewohner empfindlich auf die Abfälle, Abwässer und Mineralöle von Kreuzfahrtschiffen reagierten.
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Neue Technologien müssen her
„Die Kreuzfahrtanbieter werben in ihren Broschüren mit intakter Natur, blauem Himmel und klarem Wasser. Sie haben daher auch eine besondere Verantwortung“, sagt NABU-Sprecher Dieter Oeliger. Die Forderung des Naturschutzbundes: „Ein möglichst schnelles Ende des giftigen Schweröls als Schiffstreibstoff (spätestens 2020) sowie die Einführung von Abgastechnik an Bord. Die Technik ist vorhanden, sie ist wirksam und bezahlbar. Sie muss nur noch eingebaut werden.“ Das Problem sei jedoch, dass es dafür bislang keine gesetzliche Grundlage gebe.
Royal Caribbean Cruises, das zweitgrößte Kreuzfahrtunternehmen der Welt, erklärte auf Nachfrage von TRAVELBOOK, bereits bestimmte Umweltstandards eingeführt zu haben. „Royal Caribbean hat beim Bau seiner Schiffe immer den Umweltaspekt im Hinterkopf. Die neusten Schiffe stoßen beispielsweise ca. 20 Prozent weniger Kohlendioxid pro Person pro Tag aus als Schiffe, die vor wenigen Jahren gebaut wurden“, sagt Dr. Jörg Rudolph, Geschäftsführer von Royal Caribbean Cruises Ltd. in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Seit Beginn 2015 rüste das Kreuzfahrtunternehmen zudem 19 seiner Schiffe mit so genannten Advanced Emissions Purification-Systemen aus. Diese speziellen Abgasreinigungssysteme, auch Scrubber genannt, sollen mehr als 97 Prozent der Schwefeldioxid-Ausstöße, die von den Dieselmotoren eines Schiffes erzeugt werden, entfernen.
Bleibt zu hoffen, dass andere Reedereien mit- oder nachziehen, und dass die eingeführten Technologien auch den gewünschten Effekt bringen. Um dem Problem der zunehmend überfüllten Touristenziele entgegenzuwirken, sind die Hafenstädte bzw. deren Regierungen gefragt. Die Zulassung einer maximalen Zahl an Kreuzfahrtschiffen pro Tag wie etwa in Dubrovnik könnte hier eine Lösung sein. Die kroatische Stadt soll allerdings seit Einführung der Richtlinie die erlaubte Zahl von 8000 Passagieren pro Tag schon mehrmals überschritten haben. Die Anfragen von Kreuzfahrtunternehmen abzulehnen, fällt angesichts des winkenden Geldes eben doch schwer.