26. Januar 2022, 6:11 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
„Hinter den Kulissen der Traumschiffe“: Mit unserer TRAVELBOOK-Serie geben wir Kreuzfahrt-Insidern ein Gesicht und Einblicke in die Welt der Crew. Im vierten Teil unserer Serie gehen wir an Bord eines echten „Traumschiffes“, der „MS Berlin“. Sie war von 1986 bis 1999 das schwimmende Zuhause der beliebten ZDF-Fernsehserie „Das Traumschiff“. Der Wiener Wolfgang Ribitsch arbeitete zu dieser Zeit als Hoteldirektor auf dem Kreuzfahrtschiff – für TRAVELBOOK erinnert er sich zurück.
Wolfgang Ribitsch wurde in Wien geboren und hat nach seiner Ausbildung zum Koch und Kellner in Bad Reichenhall in den 1960er Jahren zunächst als Steward auf der „Bremen“ der Reederei Norddeutscher Llyod angeheuert, die 1970 zusammen mit der Hamburg-Amerikanischen-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) zur Hapag-Lloyd fusionierte. Nach einem Jahr auf hoher See hat Wolfgang Ribitsch für fast 20 Jahre im elterlichen Hotelbetrieb in Wien-Nußdorf gearbeitet, bevor es in den 1980er Jahren für ihn wieder auf hohe See ging. Mehr als 30 Jahre ist Wolfgang Ribitsch an Bord um die Welt gereist und arbeitete sich vom Steward bis zum Hotelmanager hoch. Seine Zeit auf der MS Berlin, dem damaligen „Traumschiff“, und auf vielen anderen (Fluss-)Kreuzern möchte er nicht missen. Warum, verrät er im exklusiven TRAVELBOOK-Interview.
TRAVELBOOK: Herr Ribitsch, was hat Sie nach Ihrer Ausbildung an der Arbeit auf hoher See gereizt?
Wolfgang Ribitsch: „Ich bin gelernter Koch und Kellner und bin zur Hotelfachschule in Bad Reichenhall gegangen. Kurz vor der Abschlussprüfung kam ein Vertreter der Norddeutschen Lloyd in die Hotelfachschule und hat mich gefragt, ob ich schon einmal in New York war. Natürlich nicht – wer war schon Mitte der 1960er Jahre in New York? Drei Wochen später bin ich als Steward an Bord gegangen und jede Woche einmal quer über den Atlantik gefahren: Bremerhaven, Southhampton, Cherbourg und dann New York. Und am nächsten Tag wieder zurück. Die ‚Bremen‘ war noch ein Turbinenschiff und in den Häfen haben wir damals noch Post mitgenommen. In der zweiten Klasse sind viele Auswanderer an Bord gewesen. Die erste Klasse war ein anderer Planet – wir haben jeden Abend zum Mitternachtsbuffet eine Kilo-Dose Kaviar geöffnet.“
Bremerhaven – New York – und zurück: Wohin ging danach Ihre Reise?
„Ich habe ein Jahr auf der ‚Bremen‘ gearbeitet und danach zunächst den Betrieb meiner Eltern übernommen. Nach ihrem Tod habe ich Mitte der 1980er Jahre alles verkauft und erst einmal gemacht, was ich am besten konnte: nämlich nichts. Das Geld vom Verkauf hatte ich angelegt, dann kam der Aktien-Crash und ich bin als Hoteldirektor auf der ‚MS Berlin‘ eingestiegen – das damalige Traumschiff.“
Wie war das für Sie, einerseits ihren klassischen Job auf der MS Berlin auszuüben und andererseits bei den „Traumschiff“-Dreharbeiten dabei zu sein?
„Es war eine wundervolle Zeit. Die Dreharbeiten waren immer im Winter für vier bis sechs Wochen angesetzt. Natürlich ist auch Wolfgang Rademann auf der ‚MS Berlin‘ mitgefahren, der Fernsehproduzent und Macher der Serien ‚Das Traumschiff‘ und ‚Schwarzwaldklinik‘. Das war ein richtiger Berliner Jung, eine echte Berliner Schnauze. Rademann hat immer darauf bestanden, dass der Kapitän Harry Biehl und ich als Hoteldirektor an Bord sind. Wir waren gute Freunde und haben auch rauschende Feste gefeiert – die waren natürlich finanziell sehr anspruchsvoll.
Die Dreharbeiten waren spannend, aber natürlich auch nicht so einfach. Für den Ton musste es leise sein. Das ist schwierig bei den ganzen Maschinen und der Klimaanlage an Bord. Wir haben immer balanciert zwischen den Ansprüchen der Filmcrew und den Wünschen der Gäste. Letzteren war es natürlich zu heiß, wenn wir bei den Aufnahmen die Klimaanlage ausgestellt haben. Dabei haben alle gewusst, dass es Dreharbeiten an Bord gab und die meisten haben extra deswegen die Kreuzfahrt gebucht. Sie wollten zwar als Statisten vorkommen, aber eben auch nicht fünfmal für das perfekte Bild die Gangway rauf- und runtergehen.“
Welcher Traumschiff-Moment hat sich besonders in ihr Gedächtnis eingebrannt?
„Wolfgang Rademann und ich haben immer zusammen gefrühstückt. Dabei haben wir natürlich auch über die Dreharbeiten und die Serie gesprochen. Eines Tages hat er beschlossen, die Serie auslaufen zu lassen. Er war ziemlich sauer – die jungen Schauspieler waren zu arrogant, die ‚alten‘ zu teuer. Rademann wollte noch einen letzten Teil machen, als skurrile Komödie, in der ein Ruderboot das Traumschiff aus dem Bild zieht. Doch am nächsten Morgen sagte er: ‚Wolfgang, ich habe gestern mit dem ZDF telefoniert. Die haben mir so viel Geld geboten, dass ich nicht aufhören kann.‘ Das war 1989 und die Sendung läuft immer noch.“
Apropos: Traumschiff. Bei aller Kritik an Kreuzfahrten herrscht oft auch das Traumschiff-Bild von Kreuzfahrten. Wie viel hat das mit der Realität zu tun?
„Schon einiges. Also der Hintergrund der Traumschiff-Serie ist ja eitel Sonnenschein. Fremde Länder, alle sind nett und alles ist herrlich. Grundsätzlich ist das richtig. Für den Passagier ist eine Kreuzfahrt eine sehr bequeme Art zu reisen: Der Koffer wird einmal auf der Kabine ausgepackt und dann geht es los mit dem schwimmenden Hotel. Die Gäste haben immer ihr Bett dabei, werden zu den Häfen gefahren und dort ist Sightseeing angesagt. Man ist jeden Tag woanders, es gibt Shows auf dem Schiff und die Buffets sind angerichtet: Rund um die Uhr ist für die Passagiere gesorgt. Natürlich hat man bei einem vierstündigen Landgang nicht die Möglichkeit, alles von der Stadt zu sehen, aber man bekommt einen ersten Eindruck. Und nicht überall will man auch wieder hin.“
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Damit die Passagiere sich um fast nichts kümmern müssen, wird der Crew einiges abverlangt. Wie haben Sie die Arbeit empfunden?
„Natürlich wurde viel von uns verlangt. Die Crew hatte sieben Tage die Woche Dienst und meistens einen anstrengenden 18-Stunden-Tag. Aber das weiß man vorher. Es herrschten ja auch keine Knebelverträge: Eine Saison geht circa sechs Monate, wer dann nicht mehr wollte oder konnte, musste nicht.
Es gab immer wieder Crew-Mitglieder, die unter falschen Voraussetzungen an Bord gekommen sind. Die dachten, auch die Arbeit auf einem Schiff ist wie die Fernsehserie „Friede, Freude, Eierkuchen“. Die haben schnell gemerkt, dass das Crew-Leben nicht wenig arbeiten und viel von der Welt sehen bedeutet. Das ist eben nicht das wahre (Kreuzfahrt-)Leben: Natürlich konnten wir die Welt sehen, aber oft hatten wir eben Dienst.
Trotzdem wollte ich mit niemandem tauschen – das Geld hat ja auch gestimmt und zum Ausgleich hatten wir viel länger frei als bei einem normalen Job.“
Sie waren Steward auf der „TS Bremen“ und Hoteldirektor auf der „MS Berlin“. Wie ging es danach beruflich für Sie weiter?
„Nach zehn Jahren auf der ‚MS Berlin‘ habe ich ein gutes Angebot von ‚Seacloud Cruises‘ bekommen. Mitte der 1990er bin ich dann als Hoteldirektor auf der ‚River Cloud‘ eingestiegen, das war damals das weltweit beste Flussschiff. Auf der Donau ging es bis nach Budapest. Eine Flusskreuzfahrt ist noch einmal etwas anderes als eine Kreuzfahrt auf hoher See. Es wackelt nicht und links und rechts am Ufer gibt es immer etwas zu entdecken.
Nach zwei Jahren auf der ‚River Cloud‘ habe ich wieder ein Angebot bekommen und war bis 2010 Hoteldirektor auf der ‚MS Astor‘. 2010 ging mein Arbeitgeber ‚Transocean Tours‘ leider in Insolvenz und die ‚MS Astor‘ fuhr dann für einen neuen Anbieter. Ich wäre übernommen worden, aber das neue Konzept, das unter anderen keinen Gästekontakt für mich vorgesehen hat, gefiel mir nicht. Mit Anfang 60 habe ich dann aufgehört.
Heute bin ich dankbar für die Insolvenz von ‚Transocean‘. Ich würde sonst immer noch fahren und wäre auf dem Schiff gestorben.“
Crew-Mitglieder anderer Reedereien haben uns von Exzessen innerhalb der Crew und von Doppelleben der Mitarbeiter berichtet. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
„Das ist sicherlich richtig. Der eine oder andere, der länger zur See gefahren ist, hatte eine Liebschaft an Bord. Und bei vielen jungen Mitarbeitern – die meisten waren ja so zwischen 20 und 30 Jahre alt – und einer eigenen Crew-Bar, wurde schon auch mal was getrunken. Allerdings hatten wir auf der ‚MS Astor‘ auch tägliche Alkoholkontrollen per Zufallsprinzip.“
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Was kritisieren Sie an Kreuzfahrten?
„Die Schiffe werden immer größer und passen teilweise gar nicht mehr in die Häfen. Da werden dann neue Piers gebaut und man legt außerhalb der Stadt an. Barcelona kann man dann eben nur mit dem Fernglas sehen oder man muss 40 Euro für das Taxi in die Stadt zahlen. Außerdem wollen viele Mitteleuropäer den Job nicht mehr machen. Nun setzen vermehrt Reedereien auf Angestellte aus dem asiatischen Raum, die dann nur um die 600 Dollar in einem Monat verdienen – oder in einer Saison 3600 Dollar. Die Crew-Mitglieder haben aber auch keine Ausgaben und man darf nicht vergessen, dass knapp 4000 Dollar auf den Philippinen eine ganz andere Hausnummer sind.
Das Publikum hat sich aber auch geändert – einen Teil interessiert es gar nicht, wo man gerade ist. Die verlassen den Hafen gar nicht. Das ist schade.“
Sie waren fast 30 Jahre an Bord, seit 1985 immer in leitender Funktion. Es scheint Ihnen also überwiegend gefallen zu haben?
„Ich schaue gerne zurück. Es war eine wunderbare Episode und ich würde es noch einmal machen. Es gab schon auch mal das ein oder andere Negative, aber das Positive hat für mich überwogen. Wo Licht ist, ist auch Schatten, aber man sollte sich immer auf das Positive konzentrieren.“
Zum Schluss bitte ich Sie, folgenden Satz aus dem Bauch heraus zu vervollständigen:
Eine Kreuzfahrt für mich ist …
„… einfach SUPER!!!“