16. Juli 2019, 11:51 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Wer schon einmal an einem Hafen war, in dem ein Kreuzfahrtschiff lag, der wird diesen Anblick kaum mehr vergessen. Die Schiffe sind oft gigantisch, mehr als zehn Stockwerke sind keine Seltenheit, und sie gleichen in ihrer Ausstattung Kleinstädten. Auch die Anzahl der Passagiere entspricht durchaus der einer kleinen Stadt. Das kann in einigen Orten auf der Welt zu wirklich absurden Szenen führen.
Es wirkt, als würde ein Bienenschwarm über die Stadt herfallen. Von oben sieht man, wie sich Tausende Menschen vom Hafen aus durch die Straßen und Gassen in die Altstadt drängen. Wo vorher noch gemütliche Ruhe herrschte, ist es nun trubelig und eng. Diese Szene ist nicht auf eine einzige Stadt bezogen, sie ist symptomatisch für ein Problem: Denn viele kleine Orte leiden unter dem massiven Ansturm von Kreuzfahrttouristen, die nur für eine kurze Zeit in den oft winzigen Städten sprichwörtlich einfallen.
TRAVELBOOK zeigt, in welchen Orten der Unterschied zwischen Einwohnern und Kreuzfahrt-Touristen besonders groß ist – und welche Auswirkungen das haben kann.
Stavanger
Die Stadt Stavanger hat 134.000 Einwohner, liegt im Südwesten Norwegens und ist unter anderem wegen der dortigen, besonders gut erhaltenen Holzhaussiedlung ein beliebtes Touristenziel. Reedereien schätzen den nahe der Innenstadt gelegenen Hafen. Urlauber können direkt vom Deck in Stadt gehen – ein Grund, warum Stavanger immer beliebter wird. 2019 werden 40 Prozent mehr Touristen erwartet. Allein in diesem Jahr rechnet man mit 250 Schiffen. Schon jetzt liegen zu Höchstzeiten bis zu vier Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig im Hafen. Der Einwohner Henning Iversflaten sagte gegenüber der norwegischen Zeitung „Dagbladet“: „Als ich vor 20 Jahren hierherzog, kamen 34 Schiffe in einem Jahr.“
Denn was für die Kreuzfahrer hervorragend ist, ist für die Anwohner nervig. „In der Altstadt leben Menschen, die erleben, wie Touristen in ihre Gärten spazieren, weil sie denken, das sei eine Art Museumsdorf“, erklärte Lokalpolitiker Mímir Kristjánsson gegenüber „Dagbladet“. Außerdem beschweren sich die Anwohner darüber, dass der Ruß der Kreuzfahrtschiffe die Häuser verdrecke. Nun fordern sie von der Stadtverwaltung und vom Tourismusverband eine Lösung für das Problem, erste Vorschläge wurden allerdings bisher zurückgewiesen.
Dubrovnik, Kroatien
Die Beliebtheit der kroatischen Stadt bei Kreuzfahrtschiffen hatte in den letzten Jahren so große Ausmaße angenommen, dass sogar die Altstadt bedroht war. 2017 kamen monatlich im Durchschnitt mehr als 61.000 Kreuzfahrttouristen in den Ort, der selbst gerade einmal etwas mehr als 43.000 Einwohner hat. Die Urlaubermassen, die sich bei den Landgängen durch die schmalen Gassen der historischen Altstadt schoben, gefährdeten sogar deren Status als Unesco-Welterbe.
Nun zieht die Stadt deswegen die Notbremse. Nach einer neuen Regelung sollen künftig täglich nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe mit jeweils maximal 5000 Passagieren in Dubrovnik anlegen dürfen, schreibt die britische Zeitung Mirror. Laut Dubrovniks Bürgermeister Mato Frankovic gelten die mit den Reedereien abgeschlossenen Verträge ab 2019.
Honningsvåg, Norwegen
Eigentlich muss man Honningsvag nicht kennen. Es handelt sich um eine kleine Fischereisiedlung in Norwegen mit nur 2484 Einwohnern, die der Verwaltungssitz der Gemeinde Nordkapp ist. Moment, Nordkapp? Da klingelt doch was! Richtig, sehr viel weiter nördlich als hier kommt man auf dem europäischen Festland nicht. Eben deswegen ist die Region touristisch sehr beliebt. Die Stadt Honningsvag ist besonders überlaufen, weil sie für viele Kreuzfahrt-Touren der letzte Stopp ist, zum Beispiel für Kreuzfahrten von Hurtigruten. Pro Jahr kommen zwischen 250.000 und 300.000 Touristen – also über hundert Mal mehr Menschen, als es Einwohner in dem Ort gibt.
Das führt mitunter zu so absurden Szenen wie kürzlich, als Kreuzfahrtpassagiere eine Beerdigung störten. Wie die norwegische Zeitung „The Local“ berichtete, kamen zwischen 11.30 Uhr und 14.45 Uhr mittags circa 6000 Touristen von einem Kreuzfahrtschiff in den Ort. In dieser Zeit besichtigten sie unter anderem die historische Kirche. Dort fand allerdings zu dem Zeitpunkt eine Beisetzung statt. Die Touristen ignorierten das scheinbar und störten nicht nur die Zeremonie, sondern machten sogar Fotos von den Trauernden. Nils Westphal, der Kirchaufseher von Honningsvåg, sagte „The Local“: „Die Touristen werden langsam zu einem großen Problem.“
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Kotor, Montenegro
Die montenegrinische Stadt an der Adriaküste hat rund 23.500 Einwohner, und auch hier gibt es ein großes Problem mit Kreuzfahrttouristen. Aktuell wird Kotor schon als das nächste Dubrovnik bezeichnet. Das ist auch einer der Gründe, warum Kotor mit seiner pittoresken Altstadt aus dem 14. Jahrhundert als Alternative zu anderen Adria-Metropolen immer beliebter bei Kreuzfahrtreedereien wird. Aktuell landen hier unter anderen die „MSC Musica“ mit bis zu 3013 zugelassenen Passagieren, die „Norwegian Star“ mit mehr als 2300 Passagieren und die „Aida Cara“ mit über 1330 Passagieren. Im Jahr kommen bis zu 430 Kreuzfahrtschiffe, im Sommer bevölkern schon jetzt pro Tag circa 10.000 Urlauber die schmalen Gassen von Kotors Altstadt.
Die Stadt hat sich in den letzten Jahren gewandelt, von einem Geheimtipp zu einem Tourismus-Hotspot. „Heute gibt es 85 bis 90 Souvenir-Shops in Kotor. Im vergangenen Winter musste unsere Buchhandlung, die eine Institution war, schließen“, sagte Ana Nives Radovic, Vorsitzende der Tourismusorgansiation von Kotor, der britischen Zeitung „The Telegraph“. „Wir müssen ehrlich sein: Die Kreuzfahrtindustrie ist nicht der perfekte Tourismus. Es gibt negative Auswirkungen.“
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Longyearbyen, Spitzbergen, Norwegen
Wieder eine nördliche Stadt, und wieder eine sehr spärlich besiedelte: Longyearbyen ist die Hauptstadt der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen (Svalbard) und hat 2144 Einwohner. Obwohl die Gegend sehr abgelegen ist, zieht es jedes Jahr Zehntausende Urlauber in die eisigen Schneewüsten der Arktis. Deswegen landen jedes Jahr auch Dutzende Kreuzfahrtschiffe, unter anderem die „Mein Schiff 4“, die mehr 2500 Passagiere transportieren kann, oder die „MSC Meraviglia“, auf der mehr als 1500 Passagiere Platz haben. Für die Bewohner von Svalbar bedeutet das, dass an einigen Tagen der Ort regelrecht von Urlaubern überrannt wird.
In anderen Städten auf Spitzbergen gibt es das Problem in diesem Ausmaße nicht mehr. 2015 wurden in einigen Regionen der abgeschiedenen Inselgruppe größere Kreuzfahrtschiffe verboten. Der Grund ist ein generelles Verbot von Schweröl – dadurch soll die außergewöhnliche und fragile Natur geschützt werden. Ein ähnliches Verbot gibt es auch in der Antarktis.
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Venedig, Italien
Jahrelang wurde in Venedig erbittert über die Kreuzfahrtschiffe gestritten. Dass die Stadt unter dem enormen Tourismus ächzt, ist nichts Neues. Doch besonders die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die in dem kleinen Hafen absurd groß schienen, wurden zum Streitthema. Umweltschützer sahen das sensible ökologische Gleichgewicht in der Lagune bedroht, die Unsesco drohte auch hier, der Stadt den Titel „Weltkulturerbe“ zu nehmen.
2017 wurde zumindest eine kleine Einigung erzielt: Damals beschloss man, dass ab 2019 Kreuzfahrtschiffe, die mehr als 55.000 Tonnen wiegen, einen Umweg nehmen müssen. Die Schiffskolosse sollen dann zwar immer noch durch die Lagune fahren, aber anschließend in einem naheliegenden Hafen anlegen. Doch bis dahin müssen noch Kanäle ausgebaut und der neue Hafen gebaut werden. Es ist also nur ein kleiner Triumph für alle Venezianer, die unter den jährlichen 25 Millionen Touristen leiden. Übrigens: Im beliebten historischen Teil Venedigs leben gerade einmal etwa rund 60.000 Menschen – es kommen pro Jahr als über 400 Mal mehr Touristen als die Altstadt Einwohner hat.
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Cambridge Bay, Kanada
Im Jahr 2016 kamen sie zum ersten Mal nach Cambridge Bay: Tausende Kreuzfahrtpassagiere an Bord der „Crystal Serenity“, einem 13-stöckigen Kreuzfahrtschiff. Für die arktische Inselsiedlung der Inuit, die offiziell zu Kanada gehört, war das zunächst beeindruckend bis beängstigend, denn in der Gegend leben insgesamt nur 1500 Menschen. Früher war es undenkbar, dass überhaupt Schiffe in der Siedlung anlegten, denn die Insel war vom ewigen Eis umgeben. Doch mit dem Klimawandel schmolzen immer mehr Eisplatten – und so ist es seit der Jahrtausendwende immer wieder möglich, dass Schiffe nach Cambridge Bay gelangen. Ein Glücksfall für die Reedereien, die so eine neue Strecke für sich entdeckten.
Mittlerweile legt nicht nur die „Crystal Serenity“ in Cambridge Bay an, sondern auch weitere, wenn auch kleinere Kreuzfahrtschiffe. Die Region wird zunehmend beliebter. Das beunruhigt Einwohner und die Regierung. „Ich war fassungslos, als ich sah, dass alle Einwohner von Cambride Bay in nur ein Schiff passen können“, sagte Mia Otokiak, die schon immer in der Inuit-Siedlung lebte, dem US-Radionetzwerk „Public Radio International“. Jeffery Hutchinson, Verantwortlicher für Strategie und Schifffahrt bei der Kanadischen Küstenwache, erklärte der kanadischen Zeitung „The Globe and Mail“ zudem: „Wir sind besorgt, dass noch weiter Unternehmen sagen: ‚Oh, das sieht einfach aus‘.“
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In diesem Jahr gab es übrigens eine kleinen Touri-Aufschub für Cambridge Bay: Das Eis blieb gefroren, und es konnten keine Kreuzfahrtschiffe passieren.