3. Oktober 2023, 14:34 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Städtereisen stehen nicht gerade für Entschleunigung. Bukarest ist eine angenehme Ausnahme. Was die rumänische Hauptstadt so reizvoll macht, ist schwer zu erklären. Eine Annäherung.
Ach, du wunderliches Bukarest – wie soll man dich beschreiben? Als Metropole der Gegensätze, Stadt der Rätsel und kleinen Merkwürdigkeiten? Stimmt alles und klingt doch hilflos. Man spaziert über laute Boulevards, vorbei an Prachtfassaden im Jugendstil, Art-déco-Hotels und sozialistischen Wohnblocks. Kleine Blumenläden an großen Kreuzungen bringen Farbe in diese ockergraue Stadt. Auf einem brutalistischen Turm steht „Technoimport“. Ein Club? Nur ein Wohnhaus mit Ladengeschäft.
Neben der St.-Josefs-Kathedrale ragt das Cathedral Plaza auf, 19 Stockwerke, 75 Meter. Ein Gericht erklärte den Bau des Bürohochhauses 2011 für illegal und ordnete den Abriss an. Doch niemand sah sich zuständig. So steht der Turm bis heute da, ungenutzt.
Im alten Zentrum haben im Erdgeschoss baufälliger Häuser nette Cafés die Lücken gefüllt. Zwei Straßen weiter: Spielotheken, Sexshops, dubiose Geschäfte mit Botschaften wie „Bitcoin Buy and Sell“. In den Schaufenstern der Läden ist die Werbung verblichen wie nostalgische Erinnerungen. Selbst die Tauben, so scheint es, fliegen schwermütig auf.
Oasen der Ruhen in den Hinterhöfen von Bukarest
Über Bukarest liegt während des Besuchs satte, kontinentale Sommerhitze, die etwas träge, aber auch genügsam macht. An den Häusern hängen die Klimageräte wie Raupen. Nur die Autos rasen.
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In der Altstadt hat die Filiale einer großen Café-Kette zu, mitten am Tag. Dafür tut sich in so manchem Hinterhof eine Oase der Ruhe auf. Man sitzt unter Bäumen abseits des Verkehrs und kann den Vormittag mit Kuchen und Limonade verstreichen lassen. In Bukarest erscheint das folgenloser als in anderen Großstädten Europas. Ein Hirngespinst, klar. Aber reist man nicht auch dafür?
Nun ließe sich behaupten, Bukarest sei unterschätzt, gar ein Geheimtipp. Aber stimmt das? Nicht im touristischen Sinne. Prag und Budapest sind zweifellos schöner. Und zu behaupten, das Brüchige und Abgerockte habe seinen eigenen Reiz, ist legitim, aber ein Klischee.
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Kein Overtourism
Was macht den schwer erklärlichen Reiz dieser Stadt aus? Liegt es daran, dass Bukarest noch nicht von Overtourism dominiert ist, der die Zahl der Besucher und Preise in den Restaurants inflationiert? Dass man als auswärtiger Gast noch keine Verschiebemasse des Stadtmarketings darstellt? Dass man sich treiben lassen kann ohne die Angst, ständig etwas zu verpassen? Keine Sehenswürdigkeiten von Weltrang warten hier, die man „einmal gesehen haben muss“.
Bukarest ist natürlich nicht ohne Attraktionen. Das Athenäum mit seinem prächtigen Konzertsaal stammt aus der Belle Époque, als Bukarest als „Paris des Ostens“ galt. Dazu passt der Arcul de Triumf nördlich des Zentrums, der in seiner jetzigen Erscheinung erst 1936 eingeweiht wurde, nach dem bekannten Pariser Vorbild. Es gibt ein Nationales Kunstmuseum und Ausstellungsräume wie das Storck-Museum im ehemaligen Wohnhaus eines rumänischen Künstlerehepaars.
Im Ausgeh- und Altstadtviertel Lipscani ist die Buchhandlung Cărturești Carusel einen Besuch wert, vormals ein Bankhaus und später ein Gemischtwarenladen. Das denkmalgeschützte Gasthaus des Manuc lockt mit seinem Innenhof zwar viele Touristen, essen sollte man aber lieber woanders. Als „most instagrammable spot“ gilt die Pasajul Victoriei. Die Gasse wird von bunten Regenschirmen überragt. Nun ja.
Das Erbe des Diktators
Die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt haben jedoch mit dem Diktator zu tun, mit Nicolae Ceaușescu (1918-1989), der Bukarest prägte wie wohl kein anderer. Und mit dem Sturz des kommunistischen Regimes, welches das rumänische Volk brutal unterdrückte.
Nach einem verheerenden Erdbeben 1977 sah Ceaușescu seine Chance gekommen: Er ließ große Teile der Altstadt abreißen, um sie durch ein neues Zentrum mit Monumentalbauten zu ersetzen. Größenwahn, sagen viele. Strategisches Kalkül, behaupten manche Historiker. Der Machthaber befahl damals den Bau eines der größten Gebäude der Welt. 700 Architekten und 20.000 Bauarbeiter waren damit befasst, den Parlamentspalast, ein 330 000 Quadratmeter großes Monstrum aus Zement, Stahl und Marmor, zu erschaffen. Der Diktator nannte es groteskerweise „Haus des Volkes“.
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Noch heute tagt in einem Teil des Komplexes die Abgeordnetenkammer. Guides führen Besucher durch die Prunksäle. Kirschholz am Boden, vergoldeter Stuck und Kristallleuchter an der Decke. Der größte hängt in der Rosetti Hall, ein Theater mit 600 Sitzen, er wiegt mehr als eine Tonne, wie Touristenführerin Stefania erklärt.
Explodierende Baukosten im armen Land
Sie zeigt eine Marmortreppe, die angeblich viermal gebaut werden musste, weil Ceaușescu nicht zufrieden war. „Ein Besucher, der selbst einer der Arbeiter war, hat mir das bestätigt“, sagt Stefania. Kein Wunder, dass die Baukosten explodierten. Drei Milliarden US-Dollar sollen es gewesen sein, aber genau weiß das niemand. Rumänien war ein armes Land.
Die höchste Halle misst 22 Meter. Ceaușescu wollte hier Partys feiern und ein großes Bild von seiner Frau Elena aufhängen. „Aber dann hatte er Angst, dass seine Gäste lieber sie anschauen als ihn“, erzählt Stefania. Ceaușescu habe auch vom Balkon des Saals aus winken wollen. Doch dazu kam es nicht mehr. Das Ceaușescu-Ehepaar wurde im Zuge der Revolution in einem Schauprozess verurteilt und erschossen.
Seine letzte Rede hielt der Diktator am 21. Dezember 1989 auf einem Balkon des damaligen Zentralkomitee-Gebäudes, den man sich heute am Revolutionsplatz anschauen kann. Tags darauf flohen die Ceaușescus mit einem Helikopter vom Dach. Da war ihr Schicksal schon besiegelt.
Der Luxus der Ceaușescu-Villa
In welchem Luxus das Paar lebte, lässt sich bei einer Führung durch die Ceaușescu-Villa im wohlhabenden Norden der Stadt erfahren. Dort läuft man über Mahagoni, vorbei an Seidentapeten und Wandteppichen aus Persien, an Möbeln im Louis-XV.-Stil, japanischen Vasen und venezianischen Mosaiken, Geschenke von Staatsoberhäuptern. Kongos Diktator Mobutu zum Beispiel brachte Elfenbeinstatuen mit.
Auch hier hat ein Guide kuriose Anekdoten parat, etwa zum Schachbrett: „Es hieß, Ceaușescu sei der beste Schachspieler des Landes gewesen. Aber niemand traute sich, gegen ihn zu spielen.“ Den mächtigsten Mann des Landes demütigen? Undenkbar. Aus Japan brachte Ceaușescu Pfauen mit. „Seine Lieblingsvögel.“ Noch heute laufen ihre Nachfahren durch den Garten der Residenz.
Gebaut wurde das Anwesen zwischen 1960 und 1965, Erweiterungen gab es in den Siebzigern. „Elena hatte immer das letzte Wort“, erzählt der Guide. Und teuren Geschmack. Berühmt ist das goldene Badezimmer. Es gibt einen Wintergarten mit einem Mandarinenbaum und einen Pool, der von den Ceaușescus wohl nie genutzt wurde. „Beide hatten Angst vor Wasser und gingen nie hinein.“
Mit der Farbe kehrt das Leben zurück
Die Rumänier schüttelten die Diktatur ab, der Ostblock zerbrach, die friedlichen 1990er-Jahre brachen an. Es ging aufwärts, langsam.
„Bukarest hat sich in den vergangenen 15 Jahren sehr verändert“, sagt Elena Mușat, die Street-Art-Touren anbietet. „Es ist heute mehr entwickelt, die Leute sind sich den Folgen ihrer Handlungen mehr bewusst. Und es ist eine sichere Stadt geworden.“ Es gibt weniger Müll und Diebe und zumindest im Zentrum kaum noch Straßenhunde. Während der Revolution hätten sie die Zeilen der Nationalhymne an die Universität gesprüht, erzählt Mușat. Bis heute hafte Graffiti der Geist der Freiheit an, viele Bilder erzählen von Utopien. Es gibt eine NGO, die verlassenen Gebäuden neues Leben einhauchen will, mit Street Art. „Sie bringen die Farben und damit das Leben zurück.“
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Die Zukunft könne großartig sein. „Aber es liegt an uns“, sagt die Rumänin. „Die Menschen werden noch stark vom Fernsehen und der Kirche beeinflusst.“ Dafür steht etwa der Bau der umstrittenen Kathedrale der Erlösung des Volkes, ein verschwenderisch teures Großprojekt.
Transparenz statt Heimlichkeiten
Andere Mächte sind lange verschwunden: Wo einst die Geheimpolizei Securitate saß, ist heute die rumänische Architektenvereinigung untergebracht, in einem gläserner Bau auf den Ruinen des alten Hauptquartiers. Transparenz statt Heimlichkeiten. So spaziert man durch Bukarest und staunt immer wieder über sonderbar anmutende Orte, die zunächst Rätsel aufgeben. „Die Wände haben Ohren und viele Geschichten zu erzählen“, sagt Mușat.
In Bukarest hat man noch Zeit, sich hinzusetzen und zuzuhören. Weil die Straßen nicht überlaufen sind, höchstens abends in Lipscani, in den wenigen Touri-Gassen, und kein strammes Sightseeing-Programm wartet. Aber wahrscheinlich ist auch das nur Einbildung.
Wie wohl jedes Reiseziel ist Bukarest eine Projektion, deren Wirkung mehr mit dem Besucher als mit dem Ort selbst zu tun hat. Eine junge Rumänin erklärt beim Plausch in einem Café, sie sei fertig mit dieser Stadt. Sie müsse woanders hin. Auch das kann man verstehen. Als Tourist hat man das Privileg, nur kurz zu bleiben – und sich in dieser Zeit begeistern zu lassen.
Weitere Infos zu Bukarest
Anreise
Von mehreren deutschen Flughäfen gibt es Direktflüge nach Bukarest, etwa mit Lufthansa, Ryanair und der staatlichen Fluggesellschaft Rumäniens, Tarom.
Einreise
Rumänien gehört zur Europäischen Union (EU). Die Einreise ist mit einem gültigen Personalausweis möglich.
Geld
Landeswährung ist der Rumänische Leu (RON). Für 1 Euro bekommt man knapp 5 RON (Stand Mitte September 2023). Bargeld gibt es an Bankautomaten und in Wechselstuben. Kreditkarten sind überall verbreitet.
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Mit Material von dpa