22. Juli 2014, 13:45 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
580 Kilometer einmal quer durch die Bundesrepublik für 22 Euro – der Fernbus macht’s möglich. TRAVELBOOK-Reporterin Sira Huwiler testete die boomende Fernverkehrs-Alternative – und erlebte schnarchende Sitznachbarn, schöne Aussichten und ganz viel Gemütlichkeit.
Um zu einer Hochzeit in Heilbronn zu kommen, habe ich mich für den Fernbus entschieden: 22 Euro für 580 Kilometer. Es ist Samstag, 7.32 Uhr, am ZOB in Berlin. Menschen eilen zu ihren Bussen, drängeln sich dick beladen an wartenden Seniorengruppen vorbei. Es wird ein warmer Tag. Schon jetzt steigt das Thermometer im Zehn-Minuten-Takt. Ein kurzer Blick auf die Uhr. An der Haltestelle 22 steht der Fernbus Richtung Freiburg bereit.
Ein bulliger Kerl mit Glatze schiebt die Ladeluke auf. „Freiburg“ brüllt er über das „Gate” – so nennt man hier die Gleise beim Zentralen Omnisbus Bahnhof. Eine Frau schiebt ihm ihren rosa Koffer mit bunten Punkten entgegen und murmelt: „Aber nur bis Karlsruhe“. Der Mann schüttelt den Kopf, sagt: „Dann musste später wieder kommen,“ schiebt den Koffer zurück in ihre Arme und grinst.
Warten – aber Geld sparen
Heilbronn/Neckarsulm liegt auf unserer 7 ½ Stunden langen Fahrt noch vor Karlsruhe. Und da das Gepäck rückwärts eingeladen wird, versuche ich erst gar nicht, dem Mann meinen Koffer schon jetzt anzudrehen. Mit dem Flugzeug bis Stuttgart hätte ich 77 Euro gezahlt und dann noch einmal für 17,40 Euro in den Zug umsteigen müssen. Insgesamt wäre ich auch hier rund sechs Stunden unterwegs gewesen. Die Zugfahrt von Berlin hätte 142 Euro gekostet und mit rund sechs Stunden Fahrtzeit fast genau so lange gedauert. Das bisschen Warten vor der Gepäckluke lohnt sich durchaus, denke ich.
Systematisch stapelt der Glatzkopf Koffer für Koffer die Ladeluke des dicken grünen Busses voll – erst Freiburg, dann Karlsruhe und nach 20 Minuten Warten endlich: Heilbronn! „So, schmeiß deinen Koffer rüber“, raunt mir der Mann aus dem Bauch des dicken Metall-Brummers in flapsigem Berlinerisch entgegen. „Schöne Fahrt“, wünscht er und wirft meinen kleinen Trolley auf den großen Haufen bunter Gepäckstücke.
Ich suche mir einen Platz. Es ist ein Doppeldecker und ich entscheide mich für einen Fensterplatz auf dem Oberdeck – wegen der Aussicht, denke ich mir. Wenn man schon mal quer von Nordost- nach Südwest-Deutschland fährt, sollte man auch was vom eigenen Land sehen.
Persönlicher Service auf Rollen
Um 8.02 Uhr rollt der Fernbus los. Freundlich begrüßt uns „Klaus“. Er ist für den Service zuständig, „Stefan“ sitzt am Steuer. Klaus erklärt uns die Toilettenregeln und -Funktionen – sogar einen Lufthändetrockner soll es geben. Auf dieser langen Fahrt komme ich wohl nicht drum herum, die chemische Nasszelle auch mal zu benutzen, und schon beim Gedanken daran stellen sich mir die Nackenhaare auf. Dann zählt Klaus alle Nüsschen-, Gummibärchen- und Schokoriegel-Sorten auf, die es an Bord zu erwerben gibt, sagt „Softdrinks haben wir auch“ und wünscht uns eine „staufreie Fahrt“. Over.
Überall im Bus beginnt es zu rascheln: wildes Gewühle in Papiertüten vom Bäcker, Tupperdosen ploppen auf, Sprudelflaschen geben zischend Kohlensäure frei. Frühstückszeit. Auch ich habe etwas dabei, lehne mich zurück und beiße in ein Tomaten-Käse-Schinken-Sandwich.
Der Bus ist nicht sehr voll, fast jeder auf dem Oberdeck hat zwei Plätze für sich. Rasch haben wir die Autobahn erreicht. Das Rennen der Fernbusse geht los. Ein blau-orangener zieht links an uns vorbei, ein silberner mit lila Schriftzug fährt dicht hinter uns. Wir brettern an der Ausfahrt Potsdam-Babelsberg vorbei, immer weiter hinein ins grüne Brandenburg. Die Aussicht ist schön, kein Wölkchen am Himmel.
Internet-Flop im Schlafwagen
Der etwas rundliche Mann, Ende 50, hinter mir tippt auf einem Tablet-Computer herum – er scheint Internet zu haben. Aber in meiner Sitzlasche gibt es keine Info-Karte, die erklärt, wie das funktionieren könnte. Klaus hat auch nichts gesagt. Aber so schwer kann das ja nicht sein, denke ich. Ich nehme mein Smartphone, suche W-Lan und schwupps bin ich im offenen Netzwerk der Busgesellschaft. Einzig die AGBs muss ich bestätigen.
Die Startseite im Browser ist ein Bus-eigenes „Media Center.“ Ich habe die Auswahl aus über 20 Hollywood-Streifen – Zeichentrick, Komödien, Actionfilme und Dramen, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Mein Handy kann das Format aber leider nicht abspielen. Wie also die nächsten sechs Stunden rumkriegen? Das Internet reicht gerade mal für den Messenger, Zeitungsartikel laden minutenlang, Videos muss ich sicherlich erst gar nicht versuchen, also gebe ich auf.
Ich versuche zu schlafen, obwohl es dafür eigentlich noch zu früh ist. Das Schaukeln des Buses wirkt beruhigend, als läge man in einem sehr schnell rollenden, riesigen, metallenen Kinderwagen. Aber der rundliche Kerl mit der Kartoffelnase hinter mir schnarcht so laut, dass ich kein Auge zu bekomme. Er sieht dabei aus wie ein altes, bärtiges Baby – bei ihm scheint der 80 Km/h-Kinderwagen zu funktionieren. Ich probiere es mit Kopfhörern. Deutscher Hip Hop und knallige Rihanna-Beats dienen mir als Schlaflieder. Meine Augen fallen zu. Over.
Als ich wieder aufwache, ertönt Klaus’ freundliche Stimme. Wir halten gleich das erste Mal, in Zella-Mehlis im Thüringer Wald. Klaus informiert uns, dass wir alle aussteigen dürfen, aber – nachdem uns acht Passagiere verlassen haben und vier zugestiegen sind – wieder zügig in den Fernbus einssteigen sollen. Zurück im rollenden Schlafwagen erklärt uns Klaus mit freundlichen Worten die Toilettenregeln ein zweites Mal: „Nur das Klopapier rein, sonst verstopft sie und wir müssen sie dicht machen.“ Ein Spaß, so eine Reise.
Klo-Geschichten mit Klaus
Nach rund vier Stunden Fahrt müsste ich dann auch mal. Ich klettere vom Oberdeck nach Unten. Die Toilettentüre geöffnet, stößt mir beißender Urin-Geruch entgegen. Aber der Sitz ist sauber, Seife, fließendes Wasser, der von Klaus angekündigte Handtrockner und Desinfektionsmittel sind vorhanden. Ich beeile mich. Schnell raus hier und bloß nicht atmen, denke ich.
Kurz darauf: Fahrerpause. Klaus sagt: „Jeder verlässt bitte den Bus, wir treffen uns in 30 Minuten wieder und fahren weiter.“ Toll, denke ich. Hätte ich gewusst, dass wir an einer Raststätte Halt machen, hätte ich auf das fantastische Toilettenerlebnis gerade eben verzichten können. Ein bisschen frische Luft und die Beine vertreten tun gut.
Wieder im Bus geht der Rest der Fahrt schnell vorbei. In Würzburg steigen überwiegend junge Leute im Studentenalter ein, Klaus erklärt die Toilettenregeln zum dritten Mal und der Fernbus rollt wieder los. Jetzt sitzt Ayleen (22) neben mir. Sie studiert in Würzburg auf Lehramt, kommt aber eigentlich aus Karlsruhe. Sie fährt regelmäßig mit dem Bus in ihre alte Heimat. „Acht Euro, das ist einfach unschlagbar und sogar schneller als der Zug,“ sagt sie.
Über unser Gespräch vergessen wir die Zeit. Im Nu ist die letzte Stunde meiner Fahrt vorbei und wir erreichen Heilbronn/Neckarsulm sogar neun Minuten früher als geplant, um 15.21 Uhr. Klaus verabschiedet sich von uns, dann kramt er in der Ladeluke knieend die Koffer aus der Heilbronn-Ecke und streckt sie uns mit Wucht entgegen. Alle steigen wieder ein und der grüne Doppeldecker-Bus rollt zurück auf die Autobahn. Das vierte Mal Toilettenregeln von Klaus bleibt mir erspart.
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Fazit
Zu Hause einsteigen, am anderen Ende Deutschlands wieder aussteigen – das hat wirklich stressfrei funktioniert. Aber: Wenn Stau sein sollte, muss man auch mal mit längeren Verspätungen rechnen. Und: Das versprochene Internet im Fernbus hat nicht immer optimal funktioniert.
Klar, die Toilette war eklig, aber wo ist das denn bitte anders? Und 7 1/2 Stunden dauern schon ein bisschen, aber ich habe mich durch großzügige Beinfreiheit, schöne Aussicht im Oberdeck und – nicht zuletzt – durch die persönlichen Ansprachen von Servicekraft Klaus sehr wohl gefühlt an Bord des Fernbusses.
Für mich ist in Zukunft klar: lieber Bus als Bahn!