20. Februar 2018, 21:46 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Wer keine tollen Outfits, aufwendig zubereitete Mahlzeiten und exotische Orte auf Snapchat, Instagram und Facebook postet, kann kein allzu spannendes Leben haben. Das könnte man zumindest glauben, wenn man durch die sozialen Netzwerke scrollt, und das gilt nicht nur für professionelle Blogger. Selbstdarstellung scheint im heutigen Zeitalter einfach dazuzugehören. Aber ist das wirklich notwendig? Geht es beim Reisen nicht um persönliche Entdeckungen, Genuss und Entspannung – egal was alle anderen davon halten?
Neulich postete eine Freundin ein Bild aus Venedig auf ihren Social-Media-Kanälen. Darunter stand eine nicht ganz ernst gemeinte Zeile: „Wenn du in Venedig warst und kein Foto davon hochgeladen hast, warst du dann überhaupt in Venedig?“ Dieses Zitat geht in unterschiedlichen Abwandlungen durchs Internet. Es ist humorvoll gemeint, es ist ein Seitenhieb auf die Selbstdarstellungskultur auf Instagram & Co., und doch ist es auch eine sehr treffende Beschreibung des heutigen „Pics or it didn’t happen“-Zeitalters.
Fomo – die Angst, etwas zu verpassen
Influencer suggerieren uns mit ihren wunderschönen, aber oftmals gestellten Bildern, dass es eigentlich überall besser ist als dort, wo man sich selbst gerade befindet. Sonnenaufgang in der Karibik, Brunch in New York oder Skifahren in den Schweizer Bergen – die Motive sind zahlreich, sehen stets verlockend aus und befeuern das Gefühl, etwas zu verpassen. Wieso sitze ich gerade im Büro und liege nicht am Strand, fragt man sich? Auch dieser Zustand hat dank Internet eine Bezeichnung gefunden: „Fomo – the fear of missing out“.
Nicht nur Blogger, sondern wir alle sind Opfer der Selbstoptimierung
Auch mich packt diese Angst, mein Leben sei nicht so erfüllt und nicht so schön, wenn ich durch die vielen Bilder aus allen Ecken der Welt scrolle. Es sind nicht mal die Influencer mit Tausenden von Abonnenten, die auf Reisen eingeladen oder sogar dafür bezahlt werden, ein Hotelresort zu bewerben, sondern der direkte Freundes- und Bekanntenkreis, der ein verdächtig Instagram-würdiges Leben führt. Während ein Freund einen Roadtrip durch Australien macht und der ehemalige Kollege meditierend auf der „Suche nach sich selbst“ durch Vietnam tingelt, bin ich schon dankbar, wenn ich einen Wochenendausflug nach London machen kann.
Kaum jemand postet Bilder vom Sonntagsausflug zum See um die Ecke, der eher ein kleiner Tümpel ist, oder vom Besuch bei den Großeltern irgendwo auf dem Land. Es sieht nicht so gut aus, es klingt nicht so gut, macht nicht so viel her wie die Bilder der Fernreise.
Es scheint, als zähle nur das Spektakuläre
Das Verlangen, sein Leben online im besten Licht darzustellen, ist inzwischen auch bis zu den gelegentlichen Usern durchgesickert. Wenn ich erzähle, dass ich Silvester in New York verbringe, ist das Staunen und vor allem das Interesse riesig. Von meinem Geburtstagswochenende, das ich in Dresden verbrachte habe, möchte hingegen keiner etwas hören.
Dabei, so dachte ich zumindest immer, geht es doch um das Entdecken und Erleben auf einer Reise. Neue, spannende Einblicke sammeln, schöne Fotos machen und ein paar Tage Urlaub genießen kann man überall. Dresden-Neustadt war voller schöner Cafés und Kunst, die Altstadt konnte mit Barocker Architektur und einem grünen Elbufer punkten. Doch der Kaffee in Berlin-Mitte scheint, wenn man den Bildern Glauben schenken darf, der bessere zu sein und der Central Park so viel kultiger – und demnach spannender als ein langweiliges Flussufer.
Eine Reise muss jedem selbst gefallen, nicht den Followern
Der Zielort muss sich nicht immer gut auf Instagram machen, sondern sollte in erster Linie einem selbst Freude und neue Entdeckungen verschaffen. Wieso ist mein einwöchiger Abstecher nach Prag weniger wert als die Rundreise durch Südostasien? An beiden Zielen gibt es Sehenswürdigkeiten, neue Leute, tolles Essen und verrückte Attraktionen zu entdecken. Der große Unterschied ist die Entfernung und der Preis für das Flugticket.
Wie wäre es mit mehr Entdeckerlust und weniger Selbstdarstellung? Wie wäre es also mit Manchester und Sheffield statt London, Duisburg und Schwerin statt Berlin, Detroit und Dallas statt New York?
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Weltoffenheit bedeutet nicht, weit zu reisen
Häufig ist es der Begriff Weltoffenheit, mit dem sich (Welt)reisende stolz schmücken. Aber Weltoffenheit bedeutet nicht nur, fremden Kulturen und Kontinenten offen gegenüberzustehen, sondern neugierig über den Tellerrand, der das eigene Umfeld ist, hinauszuschauen – und dabei ist es fast egal, wie weit man blickt. Bis nach Australien oder nur bis in die nächste Nachbarstadt.
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Tourist in der eigenen Stadt
Vielleicht muss es nicht mal die Nachbarstadt sein. Habt ihr schon mal Freunden eure Stadt gezeigt und wart am Ende selbst erstaunt, was es zu entdecken gab und wie viele Orte, Museen, Parks oder Bars ihr im Alltag übersehen habt? Während man also noch von Australien-Rundreisen träumt, kann man sich ruhig mal ein paar Tage für seine Heimat Zeit nehmen und beispielsweise Charlottenburg für sich entdecken, wenn man in Berlin-Mitte wohnt. Oder durch Au-Haidhausen spazieren, obwohl man nur wenige U-Bahn-Stationen entfernt in München-Sendling wohnt.
Denn obwohl das Gejammer über die Schnelllebigkeit, die verflixten Smartphones und die sozialen Medien groß ist, scheinen viele dem Glauben verfallen zu sein, diese stressigen Aspekte auch auf die Urlaubsplanung übertragen zu müssen.
Daher glaube ich, man sollte Instagram einfach Instagram sein lassen, all seine um die Welt reisenden Freunde für einen Moment vergessen und sich einfach mal treiben lassen – eine kleine Auszeit und einige neue Eindrücke können auch um die Ecke oder an den Orten abseits der empfohlenen Spots und Routen entstehen und ohne fotografische Online-Dokumentation und den darauffolgenden Likes einen großen, persönlichen Wert haben.