9. September 2024, 15:33 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die Deutsche Bahn (DB) hatte für die kommenden Jahre die Digitalisierung ihrer Stellwerke und Schienen geplant. Nun überraschen aktuelle Meldungen, denen zufolge das Unternehmen von der angekündigten Strategie Abstand nehmen will – zugunsten (überholter) elektronischer Technik, die immerhin in den 1990er-Jahren treue Dienste erwiesen haben soll. Was steckt dahinter? TRAVELBOOK hat bei der DB nachgefragt.
In der jüngeren Vergangenheit machte die Deutsche Bahn (DB) nicht gerade mit ihrer Zuverlässigkeit von sich reden. Im November 2023 erreichten die Fernzüge des Verkehrsunternehmens gar einen Unpünktlichkeitsrekord; TRAVELBOOK berichtete. Mancher Vielfahrer dürfte somit wohl Hoffnungen auf die überfällige Sanierung der Bahnstrecken und Stellwerke in Deutschland gesetzt haben. Hierfür war auch die Digitalisierung der Systeme geplant. Insbesondere auf bestimmten reiseintensiven, doch störanfälligen Strecken sollte der digitale Ausbau einen künftig reibungsloseren Ablauf bewirken. Doch nun schlägt eine aktuelle Meldung des SWR Wellen, der zufolge die DB ihre Zugstrecken-Digitalisierung stoppen will.
Übersicht
Stoppt die DB die angekündigte Digitalisierung von Zugstrecken?
Dem Medienunternehmen sollen interne Pläne der DB vorliegen, aus denen hervorgehe, dass der geplante Ausbau der digitalen Schieneninfrastruktur und Stellwerkstechnik aufgeschoben werde soll. Diese Pläne sollen verschiedene Insider bestätigt haben, „darunter auch die Landesverkehrsminister aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein“, heißt es in dem Beitrag. Und auch bei der angekündigten ETCS-Migrationsstrategie soll die DB dem Bericht zufolge auf die Bremse treten. ETCS steht für European Train Control System – ein europaweit standardisiertes, digitalisiertes Zugsicherungssystem, welches unter anderem Züge aus verschiedenen Ländern miteinander kompatibel machen will.
Betroffen vom angeblichen Modernisierungsrückzug wären etwa die wichtigen Schnellstrecken zwischen Köln und Frankfurt am Main sowie die Strecke von Hamburg nach München (über Halle und Erfurt) – der sogenannte deutsche Korridor Skandinavien-Mittelmeer. Sollte die Inbetriebnahme von ETCS reduziert werden, hätte das der Meldung zufolge Auswirkungen auf den Schienenverkehr überall in Deutschland, wo noch keine Digitalisierung vorgenommen wurde. „Experten befürchten, dass die Bahn ohne diese neue Technik weniger leistungsfähig und weniger zuverlässig bleibt“, erklärt der SWR.
Alte elektronische statt digitaler Technik – aus Kostengründen
Dass die alten und an vielen Stellen maroden Stellwerke saniert werden müssen, bleibe Fakt. Doch statt der hierfür geplanten digitalen setze die DB auf herkömmliche elektronische Stellwerke. Ein Insider habe sie gegenüber dem SWR als „bewährte Technik der 90er-Jahre“ bezeichnet. Dies wäre die kostengünstigere Maßnahme, die zunächst auch weniger Personal erforderlich machen würde. Doch dass diese Rechnung aufgehen würde, ist zu bezweifeln.
Beim SWR hat der Eisenbahnexperte Hans Leister erklärt, wie der Bahnbetrieb von digitalisierter Technik profitieren würde. Beispielsweise würde ein Zug, der sich die Strecke mit einem anderen teilt, rechtzeitig den Befehl erhalten, entsprechend seine Fahrtgeschwindigkeit anzupassen. Dies würde bedeuten, dass sich die einzelnen Züge harmonischer in den Ablauf integrieren können – und so wohl auch das Ende von Durchsagen à la „die Weiterfahrt verzögert sich, da das Gleis noch von einem anderen Zug belegt ist“. Dass Züge auf offener Strecke anhalten müssen, ist laut Leister die Hauptursache für Verspätungen, aber demnach durch Digitalisierung vermeidbar. Zudem könnten so die Kapazitäten besser ausgelastet werden und rund ein Drittel mehr Züge auf den bereits angelegten Strecken verkehren.
DB streitet Digitalisierungsstopp ab
„Die aktuelle Berichterstattung des SWR, wonach die DB die Digitalisierung von Zugstrecken stoppen würde, ist falsch.“ Das sagt die DB auf Nachfrage von TRAVELBOOK. Man halte an der Digitalisierung von Bahnstrecken fest. Auch wird in dem Statement auf die laufende Digitalisierung des Bahnknotens Stuttgart hingewiesen.
Das angesprochene Projekt in Stuttgart stehe für den digitalen Ausbau des dortigen Bahnnetzes und über die Stadtgrenzen hinaus. Der sogenannte Digitale Knoten soll dafür sorgen, dass der in Stuttgart als besonders störanfällig geltende Bahnbetrieb zuverlässiger wird. Debatten über eine offenbar dringend notwendige Digitalisierung der Bahn in Stuttgart laufen laut dpa-Informationen zwischen DB, Bund und dem Land schon lange. Auch gab es aber immer wieder Diskussionen über die Finanzierbarkeit der Maßnahmen.
Nun soll der digitale Bahnknoten Stuttgart trotzdem gebaut werden. So steht es ebenso im SWR-Beitrag, der zudem eine ähnliche Stellungnahme der DB enthält. Auch ist es so in einer Pressemitteilung nachzulesen, die am vergangenen Freitag als Reaktion auf die SWR-Recherche online ging. Doch steht darin nicht, wie es sich an anderen Stellen des deutschen Streckennetzes verhält. Und von einer auf Stuttgart beschränkten Digitalisierung hätte man laut Leister im Rest des Landes nur wenig. Der Bahnknoten Stuttgart wäre dann „ein digitales Inselprojekt mitten in Deutschland“, erklärt er beim SWR, „während alles drum herum mit Technik aus den 90er-Jahren modernisiert wird“.
Monatelange Sperrungen geplant Ab Freitag beginnen die Bauarbeiten auf der Bahnstrecke von Berlin nach Hamburg
Was sich 2024 bei der Bahn ändert Achtung! Für diese Fernzüge müssen Sie im Sommer einen Sitzplatz reservieren
Schnellere Verbindungen Bahn setzt ab Dezember neue ICE-Sprinter zwischen deutschen Großstädten ein
Womöglich ein Gesprächsthema bei den Haushaltsverhandlungen
Die ganze Verwirrung könnte womöglich einem taktischen Zweck dienen. So äußern im SWR-Beitrag Verkehrspolitiker, dass die DB damit versuchen könnte, den Bund zu einer stärkeren Finanzierung der digitalen Modernisierung zu bewegen. Es ist damit zu rechnen, dass das Thema bei den Haushaltsverhandlungen in Berlin angesprochen wird.