28. Mai 2020, 5:50 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Bahnfahren während der Corona-Pandemie – es gibt sicher angenehmeres. Für unsere Autorin ließ es sich dennoch nicht vermeiden. Was sie auf ihren Fahrten erlebt hat, und wie sich die Stimmung in den letzten Wochen gewandelt hat: ein Erfahrungsbericht.
Früher habe ich die Leute, die immer eine kleine Flasche Desinfektionsmittel mit sich herumtragen, spöttisch beäugt. Mittlerweile gehöre ich selbst dazu. Mit eben jener Flasche und mehreren Mund-Nasen-Bedeckungen habe ich mich in den letzten Wochen bewaffnet, und zwar, um ohne Gefahr Zug zu fahren. Denn: eine Ansteckung wollte ich für mich und vor allem für andere unbedingt vermeiden.
Meine erste Zugfahrt fand Ende März statt, im IC. Zu diesem Zeitpunkt war die Pandemie noch alles andere als unter Kontrolle, der RKI-Wert deutlich über 1 und die Stimmung im Land gereizt. Mein Gefühl, als ich den Zug betrat: mulmig. Schon damals hatte ich eine Maske dabei, auch wenn die Pflicht noch nicht bestand.
Ein Zug, ganz für mich allein
Sobald ich an Bord war, stellte sich jedoch heraus, dass dieser gar nicht nötig gewesen wäre. Denn ich war allein. Im ganzen Großraumabteil war kein Mensch außer mir, mein einziger menschlicher Kontakt war die Schaffnerin, zu der ich größtmöglichen Abstand hielt. Der Zug selbst wirkte so sauber, wie ich selten einen ICE der Deutschen Bahn gesehen habe und auch die Toilette blitzte – und bot sogar ausreichend Toilettenpapier, Seife UND Desinfektionsmittel. Es geht also doch… Die erste Fahrt überstand ich somit ohne Probleme und vor allem mit deutlich geringerem Risiko, mich anzustecken, als wenn ich im Supermarkt um ein Paket Mehl gekämpft hätte.
Einige Wochen später, es ist jetzt Mitte April. Ich muss wieder in den Zug, diesmal geht es zurück in die Heimat. Die Gesamtsituation in Deutschland hat sich zwar entspannt, dafür gibt es mittlerweile die Pflicht, Mund und Nase in öffentlichen Verkehrsmitteln zu bedecken. Gut, für mich ist das kein Problem, ich habe meine Masken ja schon länger. Doch im Zug, der diesmal schon etwas voller ist, merke ich schnell – diese Regel gilt nicht für den Fernverkehr. Meine Lösung, um eine Ansteckung möglichst zu vermeiden: Ich ziehe mich in ein kleineres 6-Personen-Abteil zurück. Geschafft.
6 Stunden mit der Maske? Ein Gräuel
Das 6-Personen-Abteil ist dann auch am 18. Mai, als ich abermals Bahn fahren muss, meine erste Anlaufstelle. Diesmal bin ich nicht drei, sondern ganze sechs Stunden unterwegs und es graut mir davor, die ganze Zeit mein halbes Gesicht zu bedecken. Ich hoffe, auch diesmal sofort ein Abteil für mich allein zu finden – und werde überrascht. Denn obwohl ich mit Absicht eine Fahrt außerhalb der Stoßzeiten, nämlich an einem Montagmittag gewählt habe, ist es deutlich voller als noch bei meiner letzten Fahrt.
Erst nach mehreren Minuten finde ich ein leeres Abteil für mich und kann mich entspannen. Auf dieser Zugfahrt gibt es auch zum ersten Mal Durchsagen, wie man sich wegen Corona verhalten solle. So sollen zum Beispiel die Sitze am Gang freigelassen werden und nur die Fenstersitze belegt werden, der Mund-Nasen-Schutz ist obligatorisch. Sinnvoll – und dennoch über sechs Stunden ein Gräuel.
Den inneren Kampf zwischen „Ich will mich und andere schützen“ und „Ich will auch mal trinken, essen und durchatmen“ erfahre ich am eigenen Leib auf meiner Rückfahrt, die sechs Tage später, also am 24. Mai, stattfand. Diesmal ließ es sich nicht vermeiden, die Zugtickets waren schon vor Langem gebucht, ich musste Sonntagabend fahren – zusammen mit sehr vielen anderen Reisenden. Der ICE war diesmal fast so voll wie vor dem Ausbruch von Corona. Angst vor der Pandemie? Nicht an Bord des Zugs. Das zeigte sich nicht nur an der schieren Anzahl der Reisenden, sondern auch an deren Verhalten.
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Masken überall – nur nicht da, wo sie sein sollten
Masken, Schals und Halstücher, die als Mund-Nasen-Bedeckungen gedacht sind, gibt es an Bord genug. Schließlich hatten alle Reisenden, die den Zug betreten waren, diszipliniert ihr Gesicht verhüllt. Doch im Großraumabteil kann ich eine sonderbare Metamorphose beobachten. Kaum, dass der Zug losrollt, rollen auch die Masken – und zwar abwärts. Zunächst blitzen die Nasenspitzen raus, bald schon wird die Bedeckung übers Kinn geschoben (der tiefere Sinn dieser Maßnahme bleibt mir verborgen) und schon nach wenigen Stationen baumeln Halstücher, Masken und Schals auch schon vor der Brust.
Nicht falsch verstehen, auch ich setze natürlich während der Fahrt hin und wieder die Maske ab, allein schon, um zu trinken. Und ich verstehe jeden, der es als unangenehm empfindet, stundenlang ein Stück Stoff vor dem Gesicht zu tragen. Dennoch: Allein aus Rücksicht vor anderen sollte man doch den Großteil der Reise und zumindest an den Haltestellen oder wenn der oder die Schaffner*in kommt, die Maske aufsetzen. Apropos Schaffner*in: Ermahnt wird niemand, der sein Gesicht nicht bedeckt – trotz der Regel. Man setze hier bisher auf Freiwilligkeit, teilte das Unternehmen mit.
Ob das in den nächsten Wochen so bleiben wird, erscheint mir allerdings fraglich. Meine vergangenen Fahrten decken sich mit Aussagen der DB, dass wieder mehr Reisende unterwegs sind – Tendenz steigend.
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Schon jetzt sind die Züge teilweise so voll, dass man lange nach einem freien Fensterplatz suchen muss. Die Bahn führt nun eine neue Reservierungsanzeige ein, die zeigen soll, wenn der Zug 50 Prozent Auslastung erreicht hat. Außerdem sei es möglich, den Ticketverkauf zu stoppen, um überfüllte Züge zu verhindern. Eine drastische, aber vermutlich sinnvolle Lösung. Am Freitag will ich wieder mit der Bahn fahren – mal schauen, ob ich für die Rückfahrt noch ein Ticket bekomme.