21. August 2023, 7:36 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Mit dem Zug zu fahren, schont die Umwelt. Doch das klimafreundliche Reisen mit der Bahn zerrt leider auch oft an den Nerven – zumindest in Deutschland. Was die Schweizer Bundesbahn besser macht.
Freitag, 11. August, 08:00 Uhr: In etwa anderthalb Stunden fährt mein Zug vom Hauptbahnhof in Berlin nach Basel, von wo es für mich über Olten weiter nach Genf gehen soll. Mein Puls schnellt in die Höhe, als ich noch zu Hause meine Reise in der DB-App checke und die Worte „Fahrt fällt aus“ lese. Doch schnell beruhige ich mich, da nicht die Fahrt, sondern nur der ursprünglich geplante Zug ausfällt. Das war es zwar mit meiner Sitzplatz-Reservierung – die bei der Deutschen Bahn sowieso oft eine Farce ist –, aber ich bin, wie wohl die meisten Bahnkunden, weitaus Schlimmeres vom Zugfahren in Deutschland gewohnt. Obwohl mir erfahrungsbedingt – und vor allem auch wegen der Länge der Strecke – Positivität schwerfällt, ermahne ich mich zur Zuversicht. Vielleicht gibt es ja heute Verbindlichkeit statt gewohnter Verspätungen? Vielleicht hat ja heute sogar das Bord-Restaurant ohne Einschränkungen geöffnet? Dass schlussendlich die Schweizerische Bundesbahn (SBB) die Fehler bei der Deutschen Bahn ausmerzen wird, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Warum fahre ich überhaupt noch mit der Deutschen Bahn?
Unpünktliche und überfüllte Züge, häufige Ausfälle, technische Mängel, eine fragliche Infrastruktur, Personalmangel, Preiserhöhungen, Streiks sowie Millionen-Boni für die Führungskräfte: Wer häufiger mit der Deutschen Bahn fährt, weiß, dass es an zahlreichen Stellen hakt. Auf die Züge ist oft nur insofern Verlass, als man in der Regel von einer Verspätung und anderen Unannehmlichkeiten ausgehen kann. Werbung geht eigentlich anders.
Trotzdem will ich eigentlich Bahn fahren. Vor allem, weil es im Vergleich zum Fliegen wesentlich klimafreundlicher ist. Ich habe mir sogar fest vorgenommen, den DACH-Raum nur via Zug zu bereisen. Zugegeben, zum Zeitpunkt dieser Entscheidung habe ich noch in München und nicht wie jetzt in Berlin gelebt – doch noch halte ich trotz zahlreicher Schmerzpunkte an meinem Vorhaben fest.
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Von Berlin nach Basel mit der Deutschen Bahn
Also steige ich auch an diesem Morgen wieder in einen ICE und trete meine laut Plan etwa zehnstündige Reise nach Genf an. Mein Klimabeitrag kostet mich also grob einen Urlaubstag. Mit nur 7 Minuten Verspätung verlassen wir Berlin – das gilt bei der Deutschen Bahn übrigens als pünktlich. Zwar habe ich in Basel nur 8 Minuten für den Umstieg (dass das knapp wird, war mir schon bei der Buchung bewusst), trotzdem will ich positiv bleiben. Das holen wir bestimmt wieder rein, sage ich mir – und glaube doch selbst nicht so wirklich daran.
Schon zu Beginn ist der Zug ziemlich voll, aber immerhin habe ich einen Sitzplatz. Da auf der Strecke nach Basel 15 Halte eingeplant sind, sehe ich vor meinem geistigen Auge allerdings bereits einen überfüllten Zug, der nicht weiterfahren kann. Ich bin überrascht, dass die befürchtete Durchsage erst in Heidelberg, also quasi nach etwa zwei Drittel der Strecke, kommt: „Unser Zug ist überfüllt und wir können aus Sicherheitsgründen nicht weiterfahren. Wir bitten Fahrgäste, die keinen Sitzplatz haben, auszusteigen.“
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Wie voll ist voll?
Nach 10 Minuten fahren wir dann doch weiter und wieder bin ich erstaunt. Schließlich habe ich schon einige Zug-Zwangsräumungen erlebt. Auf dem Weg zum Bord-Restaurant staune ich ob der überfüllten Gänge wieder und frage mich, wie voll es eigentlich vorher war. Fokussiert bahne ich mir meinen Weg – andere geben auf.
Im Bord-Restaurant wird wegen Überfüllung und Personalmangel nicht bedient – ich balanciere also mit meinen Nudeln wieder zurück zu meinem Sitzplatz. „Herr Lutz sollte endlich zurücktreten“, sage ich, zugegeben ziemlich erhitzt, zur Kellnerin. Auch die lässt ihren Ärger raus: „Der fährt nicht in solchen Zügen. Der nimmt mit seinem Presse-Team Extra-Züge, in denen er sich inszeniert. So ein Chaos kennt der gar nicht.“
Alles gemeinsame Ärgern bringt natürlich nichts: Ich verpasse meinen Anschluss in Basel. Immerhin gibt es die geplante Verbindung im Stundentakt.
Von Basel nach Genf mit der SBB
Als ich eine Stunde später als geplant in Basel in den Zug nach Olten einsteige, bin ich unsicher. Denn eigentlich habe ich eine Zugbindung, kann aber eben auch nichts für die Verspätung der Deutschen Bahn. Nur: die Schweizer Bundesbahn genauso wenig. Ich frage den Schaffner höflich, ob ich ohne Aufpreis mit diesem Zug reisen könne. „Unsere Beziehung mit der Deutschen Bahn ist eine sehr toxische“, antwortet er. Und fährt fort: „Aber dafür können Sie ja nichts. Natürlich nehmen wir Sie gerne ohne Aufpreis mit.“
Noch dazu gibt er mir einen Gutschein für das Bord-Restaurant, damit ich ab jetzt meine Reise genießen kann. Dann fährt der Zug pünktlich ab. Auch der Umstieg in Olten klappt nach Plan. Sogar die Wagennummern sind in richtiger Reihenfolge. Ich bin ein bisschen gerührt. Ohne weitere Verzögerungen erreiche ich schließlich Genf.
Im Gegensatz zu Deutschland gehört für die SBB das Einhalten der Fahrpläne zum Selbstverständnis. Laut dem „Münchner Merkur“ belegt die Schweizer Bundesbahn im europäischen Vergleich im Jahr 2022 wie so oft den Spitzenplatz – weit vor der Deutschen Bahn auf dem letzten Platz. Und auch ich erinnere mich, dass ich in 4 Jahren in Zürich nur äußerst selten Verspätungen erlebt habe.
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Was macht die SBB nun besser als die DB?
Die Fahrt in der Schweiz dauert zugunsten der Pünktlichkeit oft verhältnismäßig länger, da die Schweizer Bundesbahn weniger auf Hochgeschwindigkeitszüge als die Deutsche Bahn setzt. Doch darf man natürlich nicht vergessen, dass Deutschland etwa neunmal größer als die Schweiz ist und knapp zehnmal mehr Einwohner hat.
Zudem lässt sich die SBB ihren Erfolg nebst der guten Organisation einiges kosten und investiert dem „ZDF“ zufolge jedes Jahr etwa doppelt so viel in Betrieb und Wartung wie die Deutsche Bahn. Das hat wiederum seinen Preis – die SBB häuft Milliardenschulden an, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtete. Die Schulden der Deutschen Bahn sind laut der „Süddeutschen Zeitung“ mit knapp 30 Milliarden Euro allerdings weit mehr als doppelt so hoch.
Die gravierende Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn bringt oft den Fahrplan der Schweizer Bundesbahn immens durcheinander. Der Leiter der Schweizer Verkehrsbehörde, Peter Füglistaler, droht laut „FAZ“ nun sogar damit, die Züge der Deutschen Bahn bald auszusperren. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Deutsche Bahn ihre Performance endlich verbessert – vor allem in Zeiten, in denen das Reisen via Zug für die Umweltbilanz unverzichtbar ist.