22. Februar 2024, 6:22 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Als TRAVELBOOK-Autor Robin Hartmann vor Kurzem nach Marokko reiste, hatte er eigentlich geplant, so viel wie möglich von dem faszinierenden afrikanischen Land zu sehen. Stattdessen blieb er eine ganze Woche lang in Chefchaouen, dessen einzigartiges Flair schon mit den ersten Schritten sein Herz gefangen nahm. Für TRAVELBOOK nimmt er sie mit auf eine Lese-Reise in die magische Welt, die er hier entdecken durfte.
Als der Bus den Gare Routière von Chefchaouen erreicht, also den ZOB der Stadt, herrscht unter den Mitreisenden erst einmal Verwirrung. Auf der Strecke war die bergige Landschaft immer archaischer, ja dramatischer geworden. Eine Sinfonie aus Grüntönen, in der Palmen, Kakteen, Aloe und Olivenbäume wachsen, als befände man sich mitten in einer Postkarte von Marokko. Doch nun, bei der Ankunft in der „Blauen Stadt“, herrscht allgemeine Ratlosigkeit. „Sind wir hier richtig?“, „Ist es das wirklich?“, so raunt es vielsprachig aus den Kehlen vor allem junger Abenteurer. Der Grund: Chefchaouen ist hier vieles, aber ganz sicher nicht blau. Ein Titel übrigens, der auf den Farbton anspielt, in dem hier die Häuser gestrichen sein sollen. Sind wir alle auf den riesigen Instagram-Hype um den Ort hereingefallen?
Nun, ich kann Sie beruhigen: Chefchaouen trägt den Beinamen „Blaue Stadt“ völlig zurecht. Er bezieht sich aber, wie ich schon bald herausfinden werde, vor allem auf die Medina, also die Altstadt des Ortes. Zunächst einmal folge ich einem dänischen Mitreisenden zu einer Unterkunft, die er reserviert hat, und die unmittelbar an eben jene Altstadt grenzt. Das „Hostel Aline“ und vor allem die Gastgeber Yassine und Islam empfangen sofort mit einer warmen, freundlichen Atmosphäre in einem altehrwürdigen marokkanischen Haus, das noch immer den Flair der vergangenen Jahrhunderte ausstrahlt. Viele bunte Kacheln, wunderbare Steinmetzarbeiten an den Wänden, eine große Dachterrasse mit Gemeinschaftsküche. Und ja, hier und in der unmittelbaren Umgebung ist es auch schon sehr Blau.
Entspannte Atmosphäre
Acht Euro für die Übernachtung einschließlich Frühstück lassen quasi keine weiteren Fragen offen, und auf der Terrasse finde ich sofort Anschluss zu meist deutlich jüngeren Menschen aus aller Welt. Deren Geschichte ist mehr oder weniger, minimal abgewandelt, immer dieselbe: Sie wollten eigentlich noch viel mehr von Marokko sehen, sind dann aber in Chefchaouen geblieben. Auch ich fühle mich sofort wohl, die entspannte Atmosphäre der Stadt hängt sprichwörtlich in der Luft, in der auch Anfang Februar schon trägen Nachmittagshitze ist wenig los auf den Straßen. Aus dem quirligen, überdrehten, mitunter leider auch nervigen Tanger kommend, fühle ich mich nun das erste Mal zuhause. Und ahne bereits jetzt, zumindest im Herzen schon, dass es auch mich hier, in dieser von schroffen Bergen eingerahmten Mini-City mit ihren gerade einmal 45.000 Einwohnern, länger halten wird.
Der erste Besuch führt mich dann aber nicht in das magische Gewirr der engen Gassen von Chefchaouen, sondern auf einen Hügel über der Stadt. Dort befindet sich eine Moschee, von hier hat man einen absoluten Panorama-Ausblick auf die Landschaft im Sonnenuntergang. Der Weg dorthin führt vorbei an einem kleinen Fluss, der das Viertel Rif Sebbanine durchfließt, in dem ich wohne. Frauen waschen ihre Wäsche in dem aus den Bergen kommenden Wasser, Saftverkäufer kühlen, auf Kundschaft wartend, ihr Obst darin. Auf dem Pilgerpfad nach oben verkaufen kleine Kinder für Centbeträge zuckersüße Backwaren, bieten Straßenhändler ihre Waren an. Beim Gotteshaus angekommen, kann man sich den Sundowner dann mit einem Pfefferminztee, Kaffee oder Saft noch versüßen. Ein wenig wirkt es so, als sei die ganze Stadt geschlossen angerückt, um das bombastische Naturspektakel mit seinem Farbenrausch zu genießen.
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Darum ist Chefchaouen blau
Und ein solcher erwartet mich dann auch, als ich mich am nächsten Tag zum ersten Mal in die Medina von Chefchaouen stürze. Denn tatsächlich ist hier alles in verschiedenen Blautönen gestrichen, die auf mich eine tief beruhigende und entspannende Wirkung haben. Wie es nun dazu kam, dass die Einwohner ihre Altstadt vor etwa 50 Jahren komplett blau anstrichen, dazu höre ich während meiner acht Tage Aufenthalt hier unzählige Versionen. Meine liebste ist, dass das Blau für die Menschen die Farbe des Himmels, sprich des Paradieses symbolisiert. Und genau dort wähne ich mich auch, während ich mit gefühlt halber Schrittgeschwindigkeit mein Abenteuer beginne. In den unglaublich bunten Läden steht wirklich alles zum Verkauf, was man sich nur irgendwie vorstellen kann, ein orientalischer Freilicht-Basar, der sämtliche Sinne sofort in eine hypnotische Extase versetzt.
Lampen, Taschen, Leder-und Korbwaren, Tontöpfe, Schmuck, Räucherpulver, Seifen, Öle, Obst, Gemüse, Kräuter, Oliven, Backwerk, handgemalte Bilder, im blau der Gassen gehalten. Kleidung aller Art, Teppiche, Schals, Holzschnitzereien und -Küchenartikel, Postkarten, Magnete, Flaschenöffner, mittendrin immer wieder Buden und Restaurants, die mit absoluten Fantasiepreisen um Kundschaft buhlen. Wer sucht, der kann in Chefchaouen schon für 35 Dirham, umgerechnet nicht einmal 3,50 Euro, richtig lecker richtig satt werden. Zum Essen empfehlen kann ich sowohl das „Jebli“ als auch das „Assaada“. Auf dem quirligen Hauptplatz der Stadt, der Outa El Hammam, ist es etwas teurer, aber Leute-Gucken und Flair-Atmen dafür im Preis quasi mit inbegriffen. Und hier sieht man auch, das Chefchaouen zweifelsohne eines der Touristenhighlights in Marokko ist, schieben sich vor allem an Wochenenden ganze Busladungen staunend und knipsend über den Platz.
Brunnen und Bäckereien
Hier findet sich mit der alten maurischen Festung, der Alcazaba, auch der Ort, an dem sozusagen alles begann. 1471 unter dem zunehmenden Ansturm der europäischen Kreuzfahrer erbaut, entstand um sie herum in den folgenden Jahrzehnten zuerst die Medina von Chefchaouen, und dann die gesamte Stadt. Als 1492 das maurische Königreich Granada in Spanien fiel, flohen in der Folge viele Menschen in einem wahren Massenexodus nach Marokko, wo sie in dann in der „Blauen Stadt“ blieben. Die Mini-City war so seit jeher ein Ort für Gelehrte aller Konfessionen, auch Juden leben hier heute noch zahlreich. In der Festung kann man noch vieles Weitere über die faszinierende Geschichte der Stadt lernen, was an dieser Stelle leider den Rahmen sprengen würde. Toll auch, das an geschichtsträchtigen Orten überall in der Medina Kacheln angebracht sind, auf denen über deren Bedeutung auch auf Englisch aufgeklärt wird.
Und noch einen Platz sollte man in der Medina von Chefchaouen unbedingt gesehen haben, nämlich den Plaza El Hauta. Von Touristen in dem Gassengewirr gerne übersehen, findet sich hier einer der zahlreichen Brunnen der Stadt. Ein wunderschönes Bauwerk, wo Einheimische sich gerne treffen, um zu plaudern und ihre Wasservorräte aufzufrischen. Es liegt ganz bei Ihnen, ob Sie mir das glauben, aber ich weiß aus achttägiger Erfahrung, dass man das Wasser in Chefchaouen auch ungekocht und direkt aus der Leitung kommend bedenkenlos trinken kann. Nahe der Plaza gibt es dann noch eine weitere Sehenswürdigkeit, wo Sie unbedingt halten müssen: eine Bäckerei, die ihre Süßigkeiten in einem Ofen aus dem 16. Jahrhundert herstellt. Ich habe während meiner Zeit hier noch zwei weitere dieser Relikte entdeckt. Mein klarer Favorit, und auch in moderneren Etablissements zu finden: Chibakia, ein Mürbeteig-Gebäck, überzogen mit Zuckerwasser und Sesam.
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Feilschen erwünscht
Wenn Sie können, nehmen Sie sich einmal die Zeit, um den Einheimischen bei ihrem Handwerk zuzusehen. Quasi überall wird man Sie dazu einladen, bis unter das Dach mit Ware vollgestellte, verschachtelte Läden zu betreten. Faszinierend, wie hier Teppiche noch auf alten Webstühlen entstehen, oder ein Holzmeister Dinge direkt vor den eigenen Augen drechselt. Und sollten Sie dann am Kauf interessiert sein, beginnt ein faszinierender Hahnenkampf, ein uraltes marokkanisches Balzritual: das Feilschen um den Preis.
Hierbei nennt zunächst einmal der Einheimische einen (für marokkanische Verhältnisse) absolut utopischen Preis, und lässt sich dann in der Folge meist sehr schnell erstaunlich tief herunterhandeln. An dieser Stelle eine Bitte: Wenn Sie an einem Punkt angelangt sind, der Ihnen selbst räsonabel erscheint, hören Sie auf mit dem Handeln und zahlen Sie. Auf diese Weise tun Sie den Menschen vor Ort etwas Gutes, ohne dass Ihr Euro-gefülltes Portemonnaie darunter leidet. Und auch wenn Ihr Gegenüber dann mitunter augenzwinkernd jammert, wie sehr Sie ihn eben ausgenommen hätten – einen Gewinn wird er dennoch dabei machen. So sind letztlich alle zufrieden.
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Der marokkanische Ritterschlag
Und wer weiß, vielleicht kommen Sie auf diese oder eine andere Weise ja sogar zum marokkanischen Ritterschlag. Das heißt, einer Einladung durch Einheimische, gemeinsam einen Pfefferminztee zu trinken. Damit Sie nicht quasi sofort nach dem Genuss zum Zahnarzt müssen, hier ein kleiner Guide für die Süße Ihres Getränks. Die Bitte „Kein Zucker“ existiert in Chefchaouen und ganz Marokko schlicht nicht. Sofern Sie das sagen, wird ihr Tee zumindest mild gesüßt kommen. Als ich einmal „Wenig Zucker“ sagte, bot man mir zu einem Glas von der Größe eines Fingerhuts drei Würfel an. Und sollten Sie Ihren Tee vertrauensselig einfach so bestellen, kann man quasi einen Löffel senkrecht in das Glas stecken. Das kann dazu führen, dass das auch „Berber-Whiskey“ genannte Getränk einen mitunter leicht berauschenden Effekt hat. Dennoch, der Pfefferminztee gehört zum Leben hier einfach dazu, sein Genuss ist ein beliebtes und überall praktiziertes Ritual.
Genauso wie der Besuch eines Hammams, also eines marokkanischen Dampfbades. Auf Wunsch kann man sich hier auch eine „Massage“ buchen, die mich bei meinem Besuch an irgendetwas zwischen Yoga und Ultimate Fighting erinnert hat. In Chefchaouen sind die Hammams von Donnerstag bis Sonntag geöffnet. Männer baden von 6 bis 12 Uhr sowie von 20 bis 0 Uhr, dazwischen dürfen nur Frauen den Ort betreten. Auch als Tourist bekommt man problemlos Zugang zu den heiligen Hallen. Ich habe für das volle, etwa zweistündige Programm in einem Hammam mitten in der Medina 100 Dirham gezahlt, umgerechnet knapp 9 Euro. Eine Erfahrung, die ich jedem nur unbedingt empfehlen kann, in einem fast 100 Jahre alten Gebäude. Und ein würdiger Abschluss einer unvergesslichen Reise in die „Blaue Stadt“, einen der magischsten Orte Marokkos.