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Totenkult in Indonesien

Hier „leben“ Verstorbene noch jahrelang mit ihren Familien

Toraja
Die Toraja auf Sulawesi pflegen einen vielleicht weltweit einzigartigen Totenkult. Verstorbene verbleiben hier mitunter auch Jahrzehnte nach ihrem Ableben noch fester Bestandteil der Gemeinde. Foto: AFP via Getty Images
Robin Hartmann Autorenkopf
Freier Autor

19. April 2024, 16:44 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

Die Toraja auf der indonesischen Insel Sulawesi pflegen ein ganz besonderes Verhältnis zum Tod. Verstirbt ein geliebter Mensch, verbleibt er hier nicht selten noch jahrelang im Kreis seiner Angehörigen, wird behandelt, als lebte er noch. Das endgültige Begräbnis ist dann eine Zeremonie, auf die die Toraja mitunter ihr gesamtes Leben lang sparen. Doch selbst danach bleiben die Dahingeschiedenen fester Bestandteil des Lebens vor Ort.

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Im Süden der indonesischen Insel Sulawesi lebt eine der wohl bemerkenswertesten Ethnien der Welt. Schätzungsweise eine Million Menschen gehören heute noch zu den Toraja, die einen vielleicht einzigartigen Umgang mit dem Tod pflegen. Stirbt hier ein geliebter Mensch, bleibt er nämlich mitunter noch jahrelang ein Teil der Familie. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn bei den Toraja liegen zwischen dem Dahinscheiden und dem tatsächlichem Begräbnis teilweise für unseren Kulturkreis unvorstellbare Zeiträume. Doch selbst danach bleiben Verstorbene wichtige Mitglieder ihrer Gemeinschaft.

Wie die Seite „Southeast Asia Globe“ berichtet, ist der einzigartige Totenkult der Toraja bekannt als „aluk todolo“. Übersetzen könnte man das mit „Der Weg der Vorfahren“. Hier gilt es als völlig normal, dass eine verstorbene Person auch nach ihrem Tod im Kreis der Familie verbleibt – und zwar sprichwörtlich. Die Toten erhalten jeden Tag Nahrung, Getränke und mitunter sogar Zigaretten. In einem separaten Raum des jeweiligen Hauses bleiben sie manchmal jahrelang aufgebahrt, haben laut „BBC“ sogar eigene Toilettenschüsseln. Zudem wird ihr Äußeres regelmäßig hergerichtet, tragen sie, wie Lebende auch, Kleidung.

Ein Begräbnis kostet ein Vermögen

Toraja
Als ob sie noch leben würden: Die Toraja behandeln ihre Toten wie ganz normale Familienmitglieder Foto: AFP via Getty Images

Auch für die Jüngsten ist dieser Umgang mit der besonderen Situation völlig normal. Denn die Toraja glauben, dass ihre Toten in Wirklichkeit nur schlafen. Daher versuchen sie, sie wie lebendige Familienmitglieder an ihrem Alltag teilhaben zu lassen. Sie reden mit ihnen, erzählen ihnen den neusten Klatsch, nehmen sie mitunter sogar mit auf einen Spaziergang. „Aluk todolo“ ist seit jeher ein Bestandteil ihrer Rituale und ihres Glaubens. Daran hat auch die Tatsache nichts geändert, dass heute etwa 80 Prozent der Toraja zum Christentum oder Islam konvertiert sind.

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Natürlich gibt es einen Grund, warum zwischen dem Tod und der tatsächlichen Beisetzung im Kult der Toraja mitunter manchmal Jahre liegen können. Denn dem Glauben nach kann die Seele des Toten nur dann ewige Ruhe finden, wenn sie in einer großen Zeremonie feierlich verabschiedet wird. Es ist keine Seltenheit, dass derartige Prozeduren mehrere Tage lang dauern, und 50.000 Dollar kosten. Das beläuft sich auf mehr als das Zehnfache eines durchschnittlichen Jahreseinkommens in Indonesien. Viele Toraja sparen tatsächlich die gesamte Dauer ihrer weltlichen Existenz mehr für ihren Tod als ihr Leben.

Große Totenfeier

Toraja
Eine typische Grabstätte der Toraja. Die Toten werden nicht klassisch beerdigt, um sie alle paar Jahre wieder mit ihren Familien zu vereinen Foto: Getty Images

Das Bestattungsritual, „Rambu Solo“ genannt, ist für die Toraja das wichtigste Fest in ihrem Dasein. Dazu gehört unter anderem auch, so viele Büffel und Schweine zu opfern, wie man sich eben leisten kann. Dem Glauben nach helfen die Tiere dem Verstorbenen bei seinem Weg in die Nachwelt. Gäste aus aller Welt werden zu einem solchen Ereignis eingeladen. Je mehr, desto wichtiger oder wohlhabender war der Tote. Das Fleisch der Tiere wird nach der Feier dann unter den Anwesenden verteilt. Musik und Tanz sind ebenso feste Elemente des Rituals.

Doch selbst nach dem „Rambu Solo“ bleiben die Toten der Toraja ein wichtiger Bestandteil der Familien und des Lebens. Im Abstand von einigen Jahren findet nämlich regelmäßig noch eine andere kultische Handlung statt, bekannt als „Ma’nene“. Das bedeutet so viel wie „Die Pflege der Ahnen“, und ist wörtlich zu nehmen. Die Toraja begraben ihre Toten nämlich nicht unter der Erde, sondern betten sie schlicht in Särgen zur Ruhe, die dann zum Beispiel in Höhlen gelegt werden. Um den Verwesungsprozess zu verlangsamen, wird ihnen nach dem Tod Formaldehyd gespritzt. Diese Chemikalie reduziert erheblich die Oxidation, also Verwesung. Beim „Ma’nene“ dann „erweckt“ man die Toten quasi wieder zum Leben.

Eine Tradition verliert an Bedeutung

Hierfür entnimmt man sie ihren Särgen und richtet sie feierlich her. Sie erhalten dann mitunter neue Kleidung, werden gereinigt. In vielen Toraja-Dörfern ist es zudem nach wie vor Tradition, die Verstorbenen sodann durch ihre alte Heimat zu tragen, als befände man sich auf einem Spaziergang. Auch Menschen, die bereits Jahrzehnte tot und beerdigt sind, erfahren diese besondere Würdigung. Die Toten bekommen wiederum Nahrung, Getränke und Zigaretten. Ganz selbstverständlich posieren sie dann auch für ein neues Familienporträt, das zu so einer Gelegenheit aufgenommen wird.

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Doch wie so viele alte Traditionen ist auch diese unter dem Einfluss der heutigen Zeiten im Begriff, an Wichtigkeit zu verlieren. Die Zuwendung zu Christentum und Islam ist dafür genauso verantwortlich wie der Einzug des modernen, schnelleren Lebens auch in den Alltag der Toraja. Und auch wenn sich hierzulande wohl kaum jemand vorstellen könnte, so zu leben wie diese ungewöhnliche Ethnie, sollte man ihrem Umgang mit dem Tod doch tiefen Respekt zollen.

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