7. März 2024, 10:03 Uhr | Lesezeit: 11 Minuten
Erneut gehen Bilder von einer Frau um die Welt, die von mehreren Männern in Indien vergewaltigt wurde. Es ist nicht das erste Mal. Viel zu oft kommt es in Indien zu derartigen Übergriffen auf Mädchen und Frauen. TRAVELBOOK-Autorin Anna Wengel (jetzt Chiodo) war vor ein paar Jahren in Indien und erzählt, wie sie die Situation erlebt und sich geschützt hat.
Als meine Mama mir erzählt, dass sie auf ihrer bevorstehenden Indien-Reise gern allein von Goa nach Kerala mit dem Zug reisen möchte, schaue ich sie argwöhnisch an. Panik steigt in mir hoch. Ein Gefühl, das ich nur zu gut kenne. Das mir vertraut ist, aus meiner eigenen Indienerfahrung. Und aus all den Geschichten, die ich drum herum gehört habe. Besonders von anderen Frauen, die allein durch Indien gereist sind. Außerdem von den diversen Nachrichten, die immer wieder von Massenvergewaltigungen berichten.
Der Fall eines spanisches Paares, das kürzlich Opfer eines solchen brutalen Überfalls wurde, ist das letzte öffentlich gewordene Ereignis dieser Art. Zahlreiche Medien berichten aktuell darüber, unter anderem WELT. 2012 schockierte die Nachricht des Todes einer indischen Studentin, die nach einer Massenvergewaltigung in einem Bus verstarb. Der darauffolgende Protest führte zu einer Verschärfung des Strafgesetzes für Vergewaltigung. Dennoch wurden nach offiziellen Angaben, die WELT zitiert, allein 2022 pro Tag 90 Frauen in Indien vergewaltigt. Und das sind nur die gemeldeten Fälle. Die Dunkelziffer ist vermutlich sehr viel höher. Mir wird schlecht, wenn ich darüber nachdenke. Und ich verstehe, dass es leicht ist, ein Land auf Basis dieser Nachrichten und Zahlen zu meiden, gar zu verurteilen. Trotzdem möchte ich in diesem Text eine Lanze für Indien und auch für Reisen in Indien als Frau brechen. Und ein paar Tipps aufschreiben, die mir gegeben wurden und vielleicht geholfen haben in Sicherheit zu bleiben, als ich in Indien war.
Indien – ein kleiner Einblick
Bevor ich mich 2016 nach Indien aufmachte, hörte ich immer wieder: Du wirst Indien entweder lieben oder hassen, ein Dazwischen gibt es nicht und beides auch nicht. Dem stimme ich nicht zu, ich habe Indien geliebt und gehasst und manchmal irgendwas dazwischen. Aber was daran deutlich wird, sind die starken Gefühle, die Indien auslösen kann. Das Land ist mit Sicherheit kein leichtes Urlaubsland. Es ist laut, es ist voll, vielerorts ist es vermüllt, stinkt und die Luft zum Atmen ist oftmals alles andere als angenehm. Ich habe in Indien den dritten Toten meines Lebens gesehen. Nicht aufgebahrt und hübsch gemacht zur Beerdigung. Einfach am Straßenrand lag er. Mehrere streunende Hunde drum herum, die ihn Stück für Stück weniger werden ließen. Der schockierendste Anblick meiner dreimonatigen Indienreise übrigens.
Und dann gibt es Orte, die sind das genaue Gegenteil von lautstarkem Chaos. Spirituelle Zentren wie der Tempel des 14. Dalai Lama in Dharamshalas Vorort McLeod Ganj zum Beispiel, in dem selbst in Anwesenheit vieler Besucher eine ruhige, sinnliche Stimmung über allem liegt, die mich tief berührt hat. Oder hoch oben im Himalaya, wenn ein riesiger blauer Mond am Himmel über den Berghängen steht und alles in atemlose Stille taucht. Ebenso wie bei abertausenden von Yoga- und Meditationsstunden, geführt von Menschen, die Yoga bis in die Tiefe durchdrungen haben und selbst in einem Raum mit zahlreichen Teilnehmern Raum schaffen, ganz allein tief in sich hineinzuhören und ein wenig mehr zu verstehen und zu fühlen. Oder früh am Morgen an einem Strand in Goa, den bisher weder Partytouristen noch Menschenmassen für sich entdeckt haben. Ein Strand, der für mich bis heute der idyllischste Ort war, den ich in Indien entdeckt habe. An dem ich frühmorgens sitzen und aufs Wasser schauen konnte, mit nur einer Kuh in meiner Nähe, die ebenfalls einfach ihrer eigenen Nase nachging.
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6 Tipps für Frauen die Indien (allein) bereisen wollen
All diese Zeilen sind ein ganz kleiner Einblick in das, was Indien für mich ist. Das, was Indien sein kann. All das schreibe ich, weil Indien viel mehr ist als nur ein Ort, an dem man als Frau Angst vor Vergewaltigungen haben muss. Dennoch ist das das Thema dieses Texts. Nicht so sehr die widerliche Brutalität von Vergewaltigungen – ich hoffe, hier sind wir uns einfach einig. Nein, es soll hier vor allem um die Dinge gehen, die hoffentlich helfen, Leserinnen, die demnächst nach Indien reisen möchten oder dort sind, ein bisschen besser zu schützen.
Diese Tipps können Frauen bei einer Reise durch Indien helfen, sich etwas sicherer zu fühlen:
Hören Sie auf die Ratschläge anderer
Viele Frauen, die nach Indien reisen, ganz besonders wenn sie das allein tun, bekommen jede Menge Tipps und Horrorgeschichten serviert, gefragt oder ungefragt. Und auch wenn ich ein großer Fan davon bin, nicht alles zu glauben, was ich höre und sowieso finde, dass jede ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen sollte, halte ich das an dieser Stelle in Maßen für eine gute Idee. Ich meine damit nicht, sich jede Horrorgeschichte anzuhören oder auch noch danach zu googlen oder anderweitig zu suchen. Das macht nur Angst. Aber zu wissen, dass man vorsichtig sein sollte, halte ich für wichtig. Vergewaltigungen sind ein Thema, wenn jemand also vernünftige Ratschläge hat, um sich davor zu schützen, macht es einfach Sinn, darauf zu hören.
Als Frau nicht allein im Bus oder Zug reisen
Das ist ein Tipp, den ich immer und immer und immer wieder gehört habe. Entsprechend meine Reaktion bei der Zugreisen-Idee meiner Mama (die sie schließlich so doch nicht verwirklicht hat). So spannend ich die diversen Busreisen fand, die ich in Indien erlebt habe, so froh war ich doch jedes Mal, dass ich nicht allein war. Busse in Indien sind mitunter sehr voll und man kommt, gewollt oder ungewollt, mit einigen Menschen in sehr engen Körperkontakt. Meistens waren das in meinem Fall diverse Frauen mit Körben, Hühnern und Kindern auf den Armen. Mitunter waren es aber auch diverse Männer, die um mich herum saßen und interessiert musterten. Teilweise mit so unverhohlenem Blick glotzten, dass sich mir der Magen zusammenzog. Einige dieser Reisen habe ich mit zwei männlichen Freunden unternommen, die ich zu Anfang der Reise kennengelernt hatte. Und nicht selten hat einer von ihnen die irgendwie bedrohliche Stimmung gespürt, schnell einen Arm um mich gelegt oder auch beide sich zwischen mich und die Männerreihen geschoben.
Wer ganz sicher gehen will, kann auch einfach auf das Bus- und Zugfahren verzichten. Wir haben uns zum Beispiel mehrfach Roller geliehen und sind damit durch die Gegend gefahren. Hier sei allerdings angemerkt, dass auch der Verkehr nicht ungefährlich ist. In etwas weniger bevölkerten Gegenden geht es aber. Auch Taxifahrten sind nicht allzu teuer und eine Möglichkeit. Und wenn man mit mehreren Personen unterwegs ist, kann man sich auch gut ein Shuttle mieten.
Zurückhaltend kleiden
Bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch. Ich bin persönlich davon überzeugt, dass Frauen sich immer kleiden dürfen sollten, wie sie es wollen, ohne deswegen Angst vor Übergriffen haben zu müssen – oder auch davor, „nur“ dumm angemacht zu werden. Die Realität ist aber eben eine andere. Zum einen gibt es kulturelle Riten und Gepflogenheiten, an die man sich respektvoll halten sollte, wie zum Beispiel, dass man nicht in Shorts oder ärmellosen Klamotten in einen Tempel geht. Zum anderen dient ein bisschen mehr Stoff einfach dem persönlichen Schutz. Wenn ich daran denke, wie ich, mich mit meinen beiden Reisefreunden sicher fühlend, teilweise rumgelaufen bin, möchte ich mein jüngeres Ich gern nachträglich ein bisschen mehr anziehen. Ein bisschen mehr, im Sinne von: Beine, Ausschnitt, Schultern und Rücken bedecken. Aber auch ein bisschen mehr in Form von weiterer Kleidung. Haremshosen statt knallenger Leggings zum Beispiel. Oder weitere T-Shirts statt bauchfreien Tops.
Nachts nur in Begleitung unterwegs sein – oder gar nicht
Ich erinnere mich an einen Abend in Tiruvannamalai, an dem ich allein schnell etwas zu essen besorgen wollte. Unweit des Guesthouses, in dem wir in diesen Tagen wohnten, gab es eine größere Straße mit allerlei Essensständen. Allein auf dem kurzen Weg (ich war in T-Shirt und weiter Hose gekleidet) gab es so viele Blicke und Ansprachen, dass ich mich maximal unwohl fühlend ziemlich schnell mitsamt Essen zurück in die Unterkunft verzogen habe. Tagsüber war es besser, da bin ich öfter allein unterwegs gewesen und habe mich definitiv sicherer gefühlt. Abends war mein Gefühl nie ganz entspannt, selbst mit den Jungs im Schlepptau. Und auch egal wo. Eine andere Erinnerung ist der Rückweg von einer Party in Arambol, bei dem wir immer wieder, teilweise lauter und dringlicher einen sehr zudringlichen Mann abschütteln mussten, der nicht locker lassen wollte. Ich war an der Stelle heilfroh, dass ich mit zwei männlichen und einer weiblichen Begleitung unterwegs war und nicht allein.
Hören Sie unbedingt und immer auf Ihr Bauchgefühl
Das hier ist wohl der wichtigste Punkt in dieser Liste. Hören Sie unbedingt und immer auf Ihr Bauchgefühl. Wenn sich dieses meldet und sie Gefahr fühlen, übergehen Sie es nicht. Niemals. Vielleicht ist es nur eine kleine unangenehme Situation, der sie so entgehen, vielleicht aber auch die Schlimmste. Ganz egal: Das Bauchgefühl ist der wichtigste Begleiter, egal auf welcher Reise.
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In einer sicheren Unterkunft schlafen
Ich kann gut verstehen, dass man auf sich allein gestellt in Zelt, Van und Co. schlafen will, abseits von anderen Menschen, zum Beispiel mitten in der Natur. Einige meiner liebsten Soloreisen habe ich im Van gemacht. Aber nicht in Indien. Der jüngste Vergewaltigungsfall unterstreicht das leider. In Indien macht es Sinn, irgendwo zu übernachten, wo man sich gut und sicher fühlt. Mit anderen Menschen in der Nähe und im besten Fall in einer Behausung aus Stein mit Tür und Schlüssel. Denn neben übergriffigen Menschen gibt es auch noch diverse Tiere, die man vielleicht nicht zu Besuch haben möchte. Hotels, Guesthäuser, Ashrams und Co. gibt es zur Genüge und in jeder Preislage. Vielleicht ist das dann nicht ganz so aufregend – aber es ist vermutlich sicherer.
Reiseziele in Indien bewusst planen
Es gibt ein paar Ziele in Indien, die sich als alleine reisende Frau besser anfühlen als andere. Da ich nur einen Teil des Landes kenne, kann ich persönlich keine abschließende Liste liefern – ich bin sicher, andere erfahrenere Indienreisende haben die parat. Diese Orte fühlten sich für mich am sichersten an: Agonda in Goa, Bhagsu und Mcleod Ganj, Rishikesh und Puducherry.
Nicht, dass dort nie etwas passiert oder dass man hier zu hundert Prozent sicher vor Übergriffen ist: Ich nenne diese Orte, weil ich mich hier fast immer wohl und sicher gefühlt habe – zumindest dann, wenn ich die oben genannten Tipps beachtet habe. Eine eigene, genauere Recherche halte ich hier für in Indien allein reisende Frauen jedoch für angebracht. Zum Beispiel deshalb: Während ich mich im recht menschenleeren Agonda (Goa) extrem wohl und sicher gefühlt habe, war es im übervollen Arambol (ebenfalls Goa) öfter mal ganz anders. Zwar ist Arambol eins der Top-Touristenziele in Indien, aber es war so voll mit Betrunkenen oder anderweitig zugedröhnten Menschen, dass die täglichen Übergriffe, wenn auch glücklicherweise nur verbal oder leicht abwendbar, mir sehr schnell sehr viel zu viel wurden.
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Reisegruppen bilden
Wer das eine oder andere Ziel auf seiner Indien-Reiseliste stehen hat, das sich nicht allzu sicher anfühlt oder aber auch wer merkt, dass das Reisen in Indien als Frau sich generell alleine nicht so gut anfühlt, kann Reisegruppen bilden. Ich bin damals mit einigen Freunden und Bekannten zur Yogaausbildung in Bhagsu nach Indien geflogen und hatte anschließend Aufenthalte in Rishikesh und Goa mit zwei Freundinnen geplant. Diverse weitere neue Bekannte schlossen sich an. Und dann war plötzlich klar, dass beide Freundinnen, mit denen ich ursprünglich geflogen war, aus unterschiedlichen Gründen nach Goa nicht mehr weiterreisen wollten – ich hingegen wollte weiter und mehr sehen. Mein Ziel nach Goa: eine Vipassana in Tamil Nadu. Da schlossen sich prompt oben genannte neue Reisefreunde an, die bis zum Ende meiner Indienzeit an meiner Seite blieben – plus diverse andere, die wir unterwegs kennenlernten. Was ich damit sagen will: Ich hatte kein gutes Gefühl, als Frau allein durch Indien zu reisen. Und ich habe sehr schnell andere gefunden, die gemeinsam reisen wollten. Das ist also auch eine Möglichkeit.
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All diese Tipps stammen aus meiner persönlichen Erfahrung. Ich kann weder eine Garantie geben, noch ist diese Liste abschließend. Ich hoffe aber sehr, dass sie ein bisschen helfen kann, anderen Frauen zu einer sicheren Indien-Reise zu verhelfen. Denn Indien ist ein unglaublich spannendes und faszinierendes Land. Und neben all dem Ekel, der Wut und dem tiefen Mitgefühl, dass ich angesichts der Vergewaltigungen in Indien empfinde, macht es mich persönlich auch schlichtweg trotzig. Vergewaltiger dürfen einfach nicht die Macht bekommen, Frauen so viel Angst zu machen, dass sie die Erfahrungen verpassen, die sie in Indien erwarten.