12. Oktober 2024, 7:44 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten
London ist ein Touristenmagnet und die Nummer 1 für Städtetrips in Europa. Millionen freuen sich jedes Jahr darauf, einmal mit dem kultigen schwarzen Taxi durch die Pall Mall zu schaukeln, aus dem London Eye über die Stadt zu blicken und einen gepflegten Five o’clock-Tea zu bestellen – herrlich! Aber was tun, wenn man London mal nicht als Tourist erleben will, sondern wie ein Einheimischer? Dann sollte man ein paar Dinge besser bleiben lassen, meint unsere Autorin, die seit vielen Jahren regelmäßig in London ist.
Ich muss ganz klar zugeben: London ist meine Lieblingsstadt. Vor allem natürlich, weil mein bester Freund in der englischen Metropole wohnt und so jeder Besuch dort ein Fest ist. Aber auch, weil die typischen Vorstellungen vom Londoner Leben oft ganz anders sind, als es tatsächlich ist. Wer in London wirklich eintauchen will, sollte von ein paar Dingen die Finger lassen – einfach, weil kein Londoner das je tun würde.
Was Londoner nie tun würden – Übersicht
1. In eine Rikscha einsteigen
Touristen mögen die leuchtenden Fahrradtaxis mit den bunten Plüschsitzen lieben, doch Londoner verachten sie. Vor allem, weil sie furchtbar laut sind: Aus ihren Lautsprechern dröhnen ABBA- oder Bollywood-Hits, und nachts singen die betrunkenen Fahrgäste noch lauter mit. Wer nachvollziehen will, wie nervig die Rikschas sind, sollte sich gegen 22 Uhr zum Beispiel ans Cambridge Theatre im West End stellen: Dort warten die Fahrer, bis die Theatergäste aus dem Gebäude kommen. Sobald die ersten auf die Straße treten, schalten alle Rikschas gleichzeitig ihre Lautsprecher ein. „Dancing Queen“, „We will rock you“ und „Kabhi Kabhie“ – alles dröhnt und wummert durcheinander. Ein Lärmpegel wie bei einem Heavy-Metal-Konzert!
Noch dazu sind die Fahrer berüchtigt dafür, ihre Kunden gnadenlos abzuzocken. Es gibt Berichte von bis zu 1.300 Britischen Pfund (umgerechnet 1.560 Euro) für 500m Fahrstrecke! Deswegen: Rikschas sind nichts für Londoner, die gehen lieber zu Fuß oder nutzen Bus und U-Bahn. Für sie sind die Rikschas einfach nur eine Plage!
2. Taxi fahren
Ja, die berühmten „Black Cabs“ gehören unbedingt zum Stadtbild der englischen Hauptstadt, aber Londoner steigen nur im Notfall ein. Zum einen, weil sie das oft recht rücksichtslose Verhalten der „Cabbies“ schon als Fußgänger oder Fahrradfahrer erlebt haben, zum anderen, weil Taxis sündteuer sind. Und: Warum auch ein teures Taxi nehmen, wenn das öffentliche Nahverkehrssystem so gut ist, dass man rund um die Uhr leicht von A nach B kommt? Selbst die nettesten Taxifahrer können Londoner selten überzeugen, da für sie die Tube (so heißt in London die U-Bahn) oder der Bus klar die bessere Wahl sind: Die Tube fährt bis spät in die Nacht und auch Busse sind häufig im 24-Stunden-Betrieb – so spart man sich nicht nur Geld, sondern auch das Gedränge im Stau der Innenstadt.
3. Trinkgeld im Pub geben
Anders als in Restaurants wird im Pub an der Theke kein Trinkgeld gegeben. Das mag in anderen Ländern höflich sein, in London ist das nicht so. Im Gegenteil: Ein Londoner bestellt sein Pint an der Bar, zahlt, bedankt sich, nimmt das Bier mit und geht. Wer Trinkgeld gibt, wird von den Barkeepern eher etwas irritiert angeschaut. Es gehört einfach zur Kultur: Für den Barservice im Pub wird kein Trinkgeld gegeben. Manchmal steht eine „Tip box“ auf dem Tresen – dann kann man dort etwas für das ganze Pub-Team einwerfen, aber das ist die Ausnahme und keinesfalls Pflicht.
4. Grillen im Park
Ob der Flaucher in München oder der Mauerpark in Berlin – Grillen ist in Deutschland ein fester Bestandteil des Sommers! In London hingegen sind Rauchschwaden und Würstchenduft im Park eher eine seltene Erscheinung. Die Parks sind oftmals zu klein oder das Grillen ist schlichtweg verboten. Anwohner schätzen die Ruhe und Sauberkeit, daher ist das Brutzeln in den Grünflächen verpönt. Wer ein echter Londoner ist, respektiert das und nutzt die Parks eher zum entspannten Picknick. Picknicks sind die deutlich beliebtere Option – Londoner kommen oft mit Decken, Sandwiches und einer Thermoskanne Tee, um gemeinsam mit Freunden den Tag zu genießen.
5. Prahlen
Mein Haus, mein Auto, mein Job! In London: Lieber nicht. Denn Angeberei ist hier ein absolutes Tabu. Egal, ob man eine spektakuläre Karriere hingelegt hat oder ein Vermögen besitzt – wer damit prahlt, wird möglicherweise ein schmallippiges „interesting“ zu hören bekommen. Das heißt allerdings nicht, dass das Geprahle tatsächlich „interessant“ war. „Interesting“ heißt soviel wie „bitte aufhören!“. Prahlen ist in London peinlich. Hier wird eher Understatement großgeschrieben. Möglicherweise hört man Sätze wie „I dabble a bit in music“ („Ich mache ein bisschen Musik“) von jemandem, der vielleicht in Wahrheit die Royal Albert Hall gefüllt hat. Londoner ziehen es vor, ihre Erfolge für sich zu behalten und lassen lieber ihre Taten für sich sprechen, statt groß darüber zu reden.
6. Eine Dinner Cruise buchen
Ein feines Abendessen auf dem Boot, dabei die Themse rauf und runterschaukeln? Vielleicht ein Erlebnis für Touristen, aber nichts für Londoner. Das Essen der Partyboote ist meist enttäuschend und das Ambiente steril. Und das zu Preisen, die sogar den Puls der sonst so gelassenen Londoner ansteigen lassen. Stattdessen packen Londoner sich lieber ein eigenes Picknick ein und steigen auf eine reguläre Fähre des Transport for London nach Greenwich. Mit eigenem Sekt und einem Sandwich hat man denselben Ausblick – nur deutlich günstiger und gemütlicher. Die Fähren bieten nämlich Sitzplätze mit Klapptischen, auf denen das Mitgebrachte wunderbar ausgebreitet werden kann. Damit wird die Fahrt auf der Themse zu einem zu einem authentischen Erlebnis, ohne den touristischen und überteuerten Schnickschnack.
7. Eine rote Telefonzelle benutzen
Auch die roten Telefonzellen sind für viele Touristen „echt London“. An manchen Plätzen stehen die Touristen Schlange, um ein Foto einer Telefonzelle mit einer Londoner Sehenswürdigkeit im Hintergrund zu machen (wie am Themseufer mit dem „London Eye“ oder bei Westminster mit Big Ben). Londoner hingegen mögen die Telefonzellen überhaupt nicht. Der Grund dafür ist einfach: Die Telefonzellen sind meist total verdreckt, mit aufdringlichen Sex-Rufnummern-Aufklebern zugepflastert und werden nicht selten von angetrunkenen Nachtschwärmern als öffentliche Toiletten benutzt. Da ist es meist nebensächlich, dass die Telefone in den Zellen oft ohnehin nicht mehr funktionieren. Leider sind die meisten roten Telefonzellen damit so ungepflegt und unappetitlich, dass Londoner einen großen Bogen darum machen.
8. In Candy- oder Souvenir-Shops einkaufen
Zu Beginn des Jahres 2020 begannen „American Candy-Shops“ die Londoner Innenstadt zu fluten. Als die Corona-Pandemie viele traditionelle Einzelhandelsgeschäfte auslöschte, traten die Süßwarengeschäfte an ihre Stelle. Allein in der Oxford Street gab es bisweilen 30 dieser Süßwaren-Läden! Aus den grell beleuchteten Läden dröhnte Disco-Musik, innen fanden sich neben dem Süßkram auch billiges Handy-Zubehör, kitschige Souvenirs und drittklassiger Harry-Potter-Ramsch. Doch die Londoner wehrten sich laut einem Bericht der „Irish Times“ gegen die billige Zuckerinvasion. Denn viele der Shops handelten mit Fake-Produkten, Süßigkeiten, deren Haltbarkeit längst überschritten war oder dienten zur Steuerhinterziehung.
Die Stadtverwaltung griff durch, und so wurden bis November 2022 ein Drittel der Läden geschlossen. Bis März 2023 hatte die Polizei Waren im Wert von 1 Million Pfund aus den Läden beschlagnahmt. Allerdings war der Erfolg nicht besonders nachhaltig: Inzwischen sind in die Läden der ehemaligen „Candy Shops“ oft neue „Souvenir Shops“ eingezogen – die aber genauso schäbig aussehen und sich im Sortiment nur wenig von ihren Vorgängern unterscheiden. Während Touristen sich bisweilen noch von den grellen Verlockungen einfangen lassen, finden Londoner diese Shops absolut furchtbar. Sie betrachten sie als schädlich für das authentische Stadtbild und würden nie einen Fuß in diese Geschäfte setzen.
9. Sich vordrängeln
„Ein Engländer, auch wenn er alleine ist, bildet eine ordentliche Schlange von einer Person.“ Das schrieb der ungarische Journalist George Mikes, der in London in den 1930er Jahren als Korrespondent arbeitete. Aber er konnte auch erkennen, warum Schlangestehen für die Briten so große Bedeutung hat. „Ein Mensch in einer Schlange ist ein fairer Mensch“, interpretierte er den Grund für diese Gewohnheit: Wer sich anstellt, zeigt, dass er den anderen gegenüber respektvoll ist.
Und genau so sehen es die Londoner. Anstellen ist sozusagen ein Beweis dafür, dass man ein zivilisierter Mensch ist. Und so ist es eine Selbstverständlichkeit für alle Londoner, sich anzustellen, wenn es eine Schlange gibt: ob im Museum, in der Bank oder im Supermarkt. Wer sich vordrängelt, wird mit missbilligenden Blicken gestraft oder auch schon mal mit lauterer Stimme aufgeklärt, wo sich das Ende der Schlange befindet. Allerdings ändern sich auch hier die Gewohnheiten. So war es früher normal, an der Bushaltestelle eine Schlange zu bilden – jetzt ist es dort eher üblich, sich bei der Einsteige-Reihenfolge höflich zu arrangieren.
10. Afternoon Tea trinken
Woher die Tradition des „Afternoon Tea“ kommt, ist nicht ganz sicher. Eine englische Herzogin, Anna Maria Russell (1783–1857), hat behauptet, sie habe den „Afternoon Tea“ erfunden: Man trifft sich am Nachmittag mit Tee, Sandwiches und Kuchen auf einen Plausch. Tatsächlich ist die Tee-Tradition wahrscheinlich aber noch viel älter. Für Londoner aber gibt es in der Regel keine „Tea Time“, denn „Tea Time“ ist immer. Ob am Frühstückstisch, im Büro oder im Zug aus der Thermoskanne. Wenn Zeit ist, darf es gerne ein feiner Lapsang Souchong sein (der Lieblingstee von Sherlock Holmes), aber auch der „Builder’s Tea“ (Bauarbeiter-Tee“), ein einfacher schwarzer Teebeutel in heißem Wasser, ist stets willkommen.
Allerdings: Der echte Londoner greift auch gerne zum Coffee-to-go, denn trotz aller Klischees ist auch Kaffee ein fester Bestandteil des Londoner Alltags. Viele Cafés bieten inzwischen monatliche Kaffee-Abos an: Dabei zahlt man eine monatliche Summe und darf dann so viel Kaffee trinken, wie man will.
11. Fish’n’Chips essen
Fish’n‘Chips ist zweifelsohne ein englisches Original. Ein zartes Stück Scholle oder Seehecht in knuspriger Panade, dazu handgeschnittene Pommes mit Ketchup, Remoulade und dem obligatorischen Spritzer Essig. Auch Londoner mögen Fish’n’Chips – aber noch lieber mögen sie Curry. Das erste Mal fand sich ein Curry-Gericht im Jahr 1733 auf einer Londoner Speisekarte – im Norris Street Coffee House auf dem Londoner Haymarket. Bis 1784 waren Curry und Reis in einigen beliebten Restaurants in der Gegend um Piccadilly Circus zu gefragten Spezialitäten geworden. Heute sind besonders die multikulturellen Viertel wie Brick Lane für ihre Curry-Häuser bekannt. Aber jeder, der London lebt, hat einen persönlichen Curry-Favoriten in seiner Nachbarschaft, bei dem er sich regelmäßig sein „Comfort-Curry“ holt.
12. Zum Bus/Zug rennen
„We’re gentlemen, we walk, we never run“ („Wir sind feine Herren, wir gehen, wir laufen nie“) sang schon Sting in seinem Lied „Englishman in New York“ 1987. Und das scheint bis heute zu gelten. Denn man sieht in London sehr selten Leute rennen. Schon gar nicht zum Bus oder Zug. „Never run for public transport“ heißt ein ungeschriebenes Gesetz in London – laufe nicht zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Grund dafür ist das sensationelle Öffi-Netz in London – die meisten Busse und U-Bahnen verkehren im 2-Minuten-Takt. Laufen ist unnötig, der nächste Bus oder Zug kommt ja schließlich gleich. Wer durch die knackvolle Londoner Innenstadt zum Bus rennt oder die Rolltreppen zur U-Bahn runterhetzt, riskiert nur einen schmerzhaften Zusammenstoß mit anderen und letztlich ist man noch gestresster als vorher. Deswegen: Zügig gehen ist erlaubt, laufen ist nicht gern gesehen.