21. Dezember 2023, 10:10 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Für lange Reisen gibt es viele Gründe. Doch Kinder haben in Deutschland Schulpflicht. Können Familien trotzdem über die Schulferien hinaus verreisen? Wie das funktionieren kann und welche Voraussetzungen Sie kennen sollten.
Spätestens seit viele in der Coronapandemie aus dem Büro ins Homeoffice und die Kinder von Schule auf Homeschooling umgezogen sind, kommt diese Frage vermutlich bei einigen Reiselustigen auf: Darf ich mein Kind trotz Schulpflicht zum Reisen aus der Schule nehmen? Und wenn ja, wie lange dürfen wir dann verreisen? Und natürlich: Wie machen wir das mit den Lerninhalten, die mein Kind in dieser Zeit in der Schule verpasst?
Eins vorweg: Eine einfache Antwort gibt es nicht. Möglichkeiten, den Wunsch Realität werden zu lassen, hingegen schon. Eltern sollten sich aber unbedingt bewusst sein, dass Kinder in Deutschland Schulpflicht haben, sie also am Unterricht teilhaben müssen. Sie dürfen ihre Kinder also von Gesetzes wegen nicht ohne Weiteres zum Reisen aus der Schule nehmen. Tun Sie das unabgesprochen, drohen Bußgelder und sogar Haftstrafen.
Übersicht
Offiziell ist die Antwort erst einmal „Nein“
TRAVELBOOK hat bei mehreren Schulämtern in der Bundesrepublik nachgefragt, ob Eltern ihre Kinder zum Reisen aus der Schule nehmen dürfen. Aus Bayern kam zuerst einmal ein ernüchterndes, wenn auch wenig überraschendes „Nein“. „Eltern dürfen ihre Kinder nicht zum Reisen aus der Schule nehmen, denn Urlaubsreisen sind keine begründeten Ausnahmefälle im Sinne des § 20 Abs. 3 BaySchO“, erklärt Michael Kern, Sprecher des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Dies gelte „unabhängig davon, ob Erziehungsberechtigte Unterrichtsmaterialien auf die Reise mitnehmen und versichern, diese mit schulpflichtigen Kindern durchzuarbeiten.“ Auch eine „Liveübertragung des Unterrichts bzw. eine Teilnahme am Unterricht auf Distanz aus Anlass einer Reise ist an öffentlichen Schulen nicht möglich.“
Auch aus dem Schulministerium von Nordrhein-Westfalen heißt es zunächst: „Eltern sind dafür verantwortlich, dass ein Kind am Unterricht teilnimmt. Sie können ihr Kind nicht ohne weiteres für Urlaubszwecke aus der Schule nehmen.“
Aus der Traum vom Reisen mit dem schulpflichtigen Kind außerhalb der Ferienzeit? Noch nicht. Denn es gibt Möglichkeiten – in Absprache mit der Schulleitung. Und auch ohne.
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Reisen trotz Schulpflicht – diese Möglichkeit gibt es
Auf erneute Nachfrage seitens TRAVELBOOK erklärt der Sprecher des Bayrischen Unterrichtsministeriums schließlich, dass die Schulleitung „lediglich in besonders gelagerten Ausnahmefällen“ Schüler*innen „für begrenzte Zeiträume vom Unterrichtsbesuch beurlauben“ könne. Die Entscheidung obliegt also der Schulleitung. Rechtsgrundlage ist in Bayern der § 20 Abs. 3 Satz 1 der Bayerischen Schulordnung (BaySchO). Besonders berücksichtigt werden bei der Entscheidung die individuellen Umstände des jeweiligen Kindes. Dazu gehören laut Kern die „Leistungsfähigkeit der Schülerin bzw. des Schülers, Ansetzung von Leistungsnachweisen in dieser Zeit, Zeitraum der Beurlaubung, mögliche Präzedenzwirkung etc.“
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In Nordrhein-Westfalen sind die Dinge ähnlich geregelt. Hier erklärt das Schulministerium, die Schulleitung könne Schüler*innen auf Antrag der Eltern vom Unterricht beurlauben – und das sogar „bis zur Dauer eines Schuljahres“. Soll die Beurlaubung noch länger gelten, muss die Schulaufsichtsbehörde zustimmen. Die Beurlaubung unterliegt in NRW dem § 43 Absatz 4 des Schulgesetzes NRW. Für Beurlaubungen oder Befreiungen müssen auch in Nordrhein-Westfalen wichtige Gründe vorliegen. Diese sind im Runderlass des Ministeriums aufgelistet. Wichtige Gründe zur Beurlaubung sind demnach neben diversen Krankheits- und Familiennotfällen sowie -feiern, unter anderem auch gesundheitlich notwendige Erholungs- und Kuraufenthalte, Kultur-Veranstaltungen und Wettkampfteilnahmen sowie Auslandsaufenthalt und Schüleraustausch.
Haben Eltern also gute Gründe, können sie eine Beurlaubung ihres Schulkinds vom Unterricht beantragen. Wie in NRW und Bayern geht das häufig über die Schulleitung, das ist in den entsprechenden Verordnungen der Länder geregelt. Es empfiehlt sich aber, auch den oder die Klassenlehrer*in vorher ins Boot zu holen. Stimmt die Klassenleitung zu, könnte dies ein Gespräch mit der Schulleitung eventuell vereinfachen.
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Wie lernt das Kind auf Reisen?
Wird der Beurlaubung zugestimmt, dürfen Eltern und Kind also trotz Schulpflicht gemeinsam auf Reisen gehen. Was ist aber mit den Unterrichtsinhalten, die das Kind während der Reisezeit verpasst? Nun halten es sicher einige wie Johann Wolfgang von Goethe und glauben, dass ein gescheiter Mensch die beste Bildung ohnehin auf Reisen findet. Dem Schulamt ist das aber eher egal. Es gibt Regelwerke, die bestimmen, was ein Kind wann in der Schule zu lernen hat, um am Ende auch seinen Abschluss machen zu können. Und da sind sich zumindest Bayern und Nordrhein-Westfalen einig: Während einer Beurlaubung gibt es keine Möglichkeit zur Unterrichtsteilnahme – „auch keine ersatzweise Online-Beschulung“, wie es seitens des NRW-Schulministeriums ebenfalls betont wird.
Schule im Gastland
NRW liefert aber auch eine mögliche Lösung in Regelform: So steht im Erlass zum „Auslandsaufenthalt oder Schüleraustausch“: „Bei schulpflichtigen Schülerinnen und Schülern muss der Besuch einer Schule des Gastlandes sichergestellt sein.“ Der Schulbesuch im oder in den Reiseländern ist also eine Option, besonders bei längeren Auslandsaufenthalten. Plant Familie X etwa ein Auslandsjahr in Neuseeland, könnte diese Variante die passende sein. Für Familien, die eine Reise planen, auf der sie permanent unterwegs sein und nirgendwo länger bleiben wollen, ist diese Lösung hingegen nicht geeignet. Vor allem dann nicht, wenn das Kind nicht über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügt.
Fernschule
Die Möglichkeit, auf der Reise eine Schule zu besuchen – und damit den Regeln des deutschen Schulsystems zu entsprechen –, gibt es aber auch noch in einer anderen Form: Es gibt Fernschulen, an denen auch Deutsche ihre Kinder anmelden können. Das ist nicht unbedingt günstig, aber eventuell eine Möglichkeit, die Schulleiter zu überzeugen. Je nach Inhalt müssten Eltern ihre Kinder bei dieser Variante aber dennoch zusätzlich unterrichten, um dafür zu sorgen, dass die Kinder mit mehr als nur dem Mindestmaß an Wissen und vor allem dem Unterrichtsstoff der heimischen Schule wiederkommen. In Fernschulen gibt es wie bei Schulen im Gastland Abschlussprüfungen. Die Wiedereingliederung in die deutsche Schule zum neuen Schuljahr ist also möglich.
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Homeschooling
Ein freierer Ansatz ist es, den heimischen Unterrichtsstoff mitzunehmen und unterwegs zu lernen. Dann kann die Reise so geplant werden, dass das Kind zu den anstehenden Klausuren wieder in der Schule ist. Im besten Falle besteht es diese dann so, dass einer Versetzung nichts im Wege steht. Dieser Weg ist allerdings kein offizieller, sondern kann nur in Absprache mit den jeweiligen Fachlehrern und der Schulleitung passieren. Die Lehrer und Lehrerinnen müssten die Materialien zur Verfügung stellen und alle Beteiligten mit diesem Verfahren einverstanden sein. Generell ist Homeschooling bis heute noch kein gängiges Konzept in Deutschland.
Wird das Homeschooling von offizieller Seite nicht unterstützt oder nicht gewünscht, geht es auch ohne Unterstützung des Schulsystems. Es gibt diverse Ratgeber und auch online Seiten mit Unterrichtsmaterialien, Tipps und Co. Die Unterrichtsmaterialien zu bekommen, kann etwas müßig sein, ist aber machbar. Einen behördlich abgesegneten Weg zu finden, ist so jedoch mitunter schwierig.
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Abmeldung
Eine andere Variante, wie Sie trotz Schulpflicht mit Kindern reisen können, ist die Abmeldung des Wohnsitzes in Deutschland – vor allem, wenn man ohnehin vorerst nicht in Deutschland leben möchte. Dann erlischt auch die Schulpflicht. Melden Sie sich in anderen Ländern, gelten entsprechend die dortigen Gesetze. Das kann mitunter bedeuten, dass statt einer Schul-, eine Bildungspflicht besteht. Dann ist eventuell auch Homeschooling erlaubt. Diese Variante sollte aber genau überlegt und durchdacht werden.
Kommentar: „Reisen trotz Schulpflicht nur mit reiselustigen Kindern“
„„Reisen ist wichtig und wundervoll und oft sogar lehrreicher als der Schulalltag in einer Standard-Schule. Mit Sicherheit lernt ein Kind (genauso wie seine Eltern) hier jede Menge Nützliches, sei es über die Kultur, andere Menschen und Gepflogenheiten, aber auch vor allen Dingen über sich selbst und für sein weiteres Leben. Dennoch sollten Eltern Beurlaubung oder Abmeldung nicht überstürzen, sondern genau durchdenken. Und vor allem: Holen Sie Ihr Kind mit ins Boot. Das bedeutet einerseits, die Fragen zu klären, wie das mit dem Lernen unterwegs und der Wiedereingliederung in die Schule nach der Reise funktionieren kann. Das heißt andererseits aber auch, das Kind mit seinen Gefühlen ernst zu nehmen und Raum für Sorgen und Ängste, die mit der Reise verbunden sind, zu lassen. Vielleicht hat das Kind Angst, den Anschluss in der Schule zu verlieren oder möchte nicht so lange von seinen Freunden getrennt sein. An dieser Stelle braucht es Offenheit und Flexibilität vonseiten der Eltern und eventuell Akzeptanz, dass jetzt gerade (noch) nicht der richtige Zeitpunkt für die Reise ist. Kurzum, Eltern und Kind(er) sollten die Reise gemeinsam planen und alle Beteiligten Raum für ihre Gedanken und Gefühle bekommen. Vermutlich wird die Reise ohnehin nur so schön, wie Sie sie sich vorstellen, wenn auch alle sie wirklich machen wollen.““– Anna Wengel, freie Redakteurin