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Expertin im TRAVELBOOK-Interview

Ist es eigentlich okay, sich ausgestellte Mumien anzusehen?

Mumien Ausstellung
Eine Besucherin sieht sich in einem Museum in Mannheim eine ausgestellte Mumie aus Peru an Foto: picture alliance/dpa | Uwe Anspach
Angelika Pickardt
Redaktionsleiterin

2. August 2024, 12:57 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten

TRAVELBOOK hat in der Vergangenheit schon häufiger über Mumien berichtet, die aufgrund ihres gut erhaltenen Zustands oder aus anderen Gründen zu Touristenattraktionen geworden sind. Aber ist es eigentlich okay, tote Menschen auszustellen und sich diese als Besucher bewusst anzusehen? Dr. Stefanie Menke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Museologie der Universität Würzburg, gibt im Interview mit TRAVELBOOK ihre Einschätzung zu diesem sensiblen Thema.

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TRAVELBOOK: Ausstellungen mit Mumien sind oft gut besucht. Was fasziniert die Menschen Ihrer Meinung nach so sehr an Mumien?

Dr. Stefanie Menke: „Menschen haben ein grundsätzliches Interesse an anderen Menschen und allem Menschlichen. Eine Mumie ist ein (mehr oder weniger) konservierter, d. h. unverwester Toter, der uns einerseits mit einem ganz konkreten vergangenen menschlichen Leben und andererseits mit dem Tod allgemein konfrontiert. Diese direkte Konfrontation mit dem Tod ist in unserer heutigen Gesellschaft selten geworden. Früher starben Menschen zu Hause, und der Tod war ein sichtbarer Teil des Lebens. Heute sterben Menschen meist in Krankenhäusern oder Altenheimen. Die Faszination könnte daher auch einem unbewussten Bedürfnis entspringen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen und sich selbst zu vergewissern, dass man noch lebt.“

Es gibt unterschiedliche Kontexte, in denen Mumien entstanden sind. Welche sind das?

„Es gibt Mumien, die absichtlich konserviert wurden, und solche, die zufällig erhalten geblieben sind. Die Absicht hinter der Konservierung und der Kontext, in dem dies geschah, sind entscheidend. Wenn ein Leichnam zufällig erhalten blieb, war es ursprünglich definitiv nicht vorgesehen, dass er von den Lebenden betrachtet wird. Daher stellt sich bei diesen unbeabsichtigt erhaltenen Mumien meiner Ansicht nach oft in besonderem Maße die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, diese öffentlich zu zeigen.“

„Die Präsentation sollte respekt- und pietätvoll sein“

Welche ethischen Überlegungen spielen bei der Ausstellung von Mumien eine Rolle?

„Da gibt es eine ganze Menge Ansatzpunkte, wobei eine ganz grundsätzliche Frage ist, ob es generell in Ordnung ist, tote Menschen auszustellen, denn jeder Verstorbene hat das Recht auf ein ordentliches Begräbnis nach seinen jeweiligen religiösen Vorstellungen und kulturellen Gepflogenheiten. Zusätzlich problematisch wird es, wenn es sich um menschliche Überreste aus der Kolonialzeit handelt, denn diese wurden in der Regel unter Umständen erworben, die wir heute als unrecht ansehen. Sie sollten daher unbedingt an die Herkunftsgesellschaften zurückgegeben werden, sofern diese es wünschen. Generell sollte beim Ausstellen von Mumien oder anderen menschlichen Überresten immer ein Kontext vermittelt werden und die Präsentation sollte respekt- und pietätvoll sein. Der Deutsche Museumsbund hat dazu einen Leitfaden veröffentlicht, in dem betont wird, dass menschliche Überreste nur gezeigt werden sollten, wenn es einen klaren didaktischen Nutzen gibt und die Präsentation würdevoll erfolgt.“

Ritter Kalebuz
Der gut erhaltene Leichnam des Ritter von Kalebuz in Brandenburg ist Deutschlands wohl berühmteste Grusel-Mumie, die noch immer Rätsel aufgibt Foto: picture alliance/dpa/MHB | Markus Kluge

Dennoch ziehen auch zufällig erhaltene Mumien Besucher an. Was halten Sie davon?

„Wenn ein Leichnam zufällig erhalten ist, war er, wie bereits erwähnt, ursprünglich nicht dafür gedacht, dass man ihn anschaut. Andererseits haben Menschen ein natürliches Interesse an solchen Phänomenen. Früher fand ich es furchtbar, aber mittlerweile sehe ich, dass es eine Faszination gibt, die von gut erhaltenen Toten ausgeht.“

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»Lautes Reden und Fotos mit Blitzlicht sind unangemessen

Wie sollte man Ihrer Meinung nach als Besucher mit solchen Ausstellungen umgehen?

„Es sollte selbstverständlich sein, sich respektvoll zu verhalten, ähnlich wie in einer Kirche. Lautes Reden und Fotografieren, insbesondere mit Blitz, empfinde ich beispielsweise als unangemessen. Man sollte sich bewusst machen, dass es sich um ehemals lebende Menschen handelt, und sich fragen, wie man selbst behandelt werden möchte, wenn man selbst als Leichnam dort läge.“

Gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung zwischen historischen Mumien und modernen Präparaten wie in den „Körperwelten“-Ausstellungen?

„Ja, historische Mumien sind so weit von unserer eigenen Lebensrealität entfernt, dass sie uns emotional weniger berühren. Präparate in den ‚Körperwelten‘-Ausstellungen sind hingegen viel näher an unserer eigenen Lebenswirklichkeit und können daher viel stärkere Affekte auslösen. Die Menschen, von denen die Präparate in den ‚Körperwelten‘ stammen, haben jedoch – im Gegensatz zu denen, die als historische Mumien vor uns liegen – zu Lebzeiten zugestimmt, dass ihre Körper nach dem Tod ausgestellt werden, was in ethischer Hinsicht einen wichtigen Unterschied darstellt.“

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Was wäre Ihr Rat an Museen und Ausstellungsbetreiber, die mit Mumien arbeiten?

„Museen sollten stets überlegen, ob die Ausstellung von menschlichen Überresten wirklich notwendig ist und ob das Vermitteln der entsprechenden Inhalte nicht auch auf andere Weise erfolgen kann. Wenn eine Ausstellung stattfindet, sollte sie würdevoll gestaltet sein und den Besuchern Kontextwissen vermitteln. Das kann helfen, das Verständnis und die Wertschätzung für die Bedeutung der Mumien zu fördern und einen respektvollen Umgang zu gewährleisten.“

Stefanie Menke
Dr. Stefanie Menke

Dr. Stefanie Menke ist seit zwölf Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Museologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätig. Zu ihren Forschungsgebieten gehört neben dem Museums- und Ausstellungswesen auch die Sepulkralkultur, welche sich den Themenfeldern Sterben, Tod, Bestattung, Trauer und Gedenken widmet. Ihr besonderes Interesse gilt der Erforschung von Präsenz und Ausstellung menschlicher Überreste in Museen.

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