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Höhere Gewalt, Anschlusszüge, ...

Neue Rechte für Bahnreisende – das müssen Sie wissen

Die Frist, um bei Verspätung oder Zugausfall beim Bahnunternehmen Geld zurückzufordern, liegt bislang bei einem Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte
Die Frist, um bei Verspätung oder Zugausfall beim Bahnunternehmen Geld zurückzufordern, liegt bislang bei einem Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte Foto: Getty Images
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TRAVELBOOK Redaktion

7. Juni 2023, 11:27 Uhr | Lesezeit: 10 Minuten

Fällt der Zug aus oder ist er stark verspätet, haben betroffene Fahrgäste bestimmte Rechte gegenüber dem Bahnunternehmen. Doch diese Rechte haben sich nun geändert. Denn seit heute, dem 7. Juni, gilt die Neufassung der EU-Verordnung „über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr“. Was kommt da auf Bahnreisende zu? Ein Überblick.

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Kommt der Zug mehr als eine Stunde zu spät am Zielbahnhof an, kann man dank der Fahrgastrechte 25 Prozent des Fahrpreises von dem Zugunternehmen, in Deutschland meist der Deutschen Bahn, zurückverlangen, bei mehr als zwei Stunden sogar 50 Prozent. Bisher hat dabei die Ursache für die Verspätung keine Rolle gespielt. Das ändert sich. Seit 7. Juni 2023 gibt es nun Szenarien, bei denen der Entschädigungsanspruch entfällt.

Die wichtigsten Infos zur neuen Fahrgastrechte-Verordnung bei der Deutschen Bahn

Keine Entschädigung mehr bei „außergewöhnlichen Umständen“

Darunter fallen folgende Umstände: „Außerhalb des Eisenbahnbetriebs liegende, außergewöhnliche Umstände wie extreme Witterungsbedingungen, große Naturkatastrophen oder schwere Krisen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte oder das Verhalten eines Dritten wie Betreten der Gleise, Kabeldiebstahl, Notfälle im Zug, Strafverfolgungsmaßnahmen, Sabotage oder Terrorismus, das das Eisenbahnunternehmen trotz Anwendung der nach Lage des Falles gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen es nicht abwenden konnte.“ Nachzulesen sind diese Details auch im Artikel 19 der neuen Verordnung. Wichtig: Streiks des Bahnpersonals zählen nicht dazu.

Doch es bleibt bei Bahnreisenden die Frage: Reicht künftig also schon ein Wintereinbruch, um die Entschädigung auszuschließen? Gerade die Frage, was extremes Wetter im Sinne dieser Verordnung ist, wird noch Gerichte beschäftigen, schätzt Gregor Kolbe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv).

Wichtig: Auf außergewöhnliche Umstände können sich Bahnunternehmen nur bei Entschädigungsforderungen berufen. Weitere Pflichten bleiben davon unberührt: Etwa, dass bei größeren Verspätungen die Weiterreise auf anderem Weg organisiert werden muss oder sich der Fahrgast den Fahrpreis erstatten lassen kann (Artikel 18 der Verordnung).

Die Frist für Forderungen verkürzt sich

Die Frist, um bei Verspätung oder Zugausfall beim Bahnunternehmen Geld zurückzufordern, liegt bislang bei einem Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte, berichtet das EVZ. So handhabt es auch die Deutsche Bahn.

Künftig müssen Reisende hier womöglich schneller tätig werden. Drei Monate nach dem Vorfall muss die Beschwerde spätestens eingereicht werden, heißt es in Artikel 28 der neuen Verordnung.

Wo die neue Verordnung gültig ist

Die Verordnung zu den Bahngastrechten gilt für den Fern- und Nahverkehr in allen EU-Mitgliedsstaaten sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen. Sie legt die Mindestanforderungen fest. Das heißt: Die einzelnen Staaten können noch verbraucherfreundlichere Regeln festlegen.

Wohin mit der Beschwerde?

Jedes größere Bahnunternehmen und jeder größere Bahnhof mit im Jahresschnitt über 10.000 Fahrgästen pro Tag muss der EU-Verordnung zufolge Verfahren zur Beschwerdebearbeitung einrichten. Bei der Deutschen Bahn lässt sich die Beschwerde für Tickets, die über ein Kundenkonto gekauft wurden, online auf „Bahn.de“ oder in der „DB-Navigator“-App anstoßen oder man füllt ein Fahrgastrechte-Formular aus und schickt es per Post an das Servicecenter Fahrgastrechte in 60647 Frankfurt/Main. Teils gibt es Entschädigungen auch direkt beim DB-Reisezentrum.

Auch interessant: Die 4 Bahnstrecken in Deutschland, auf denen es am meisten Verspätung gibt

Änderungen bei Hotelunterbringung

Davon unberührt ist weitgehend auch das Recht auf Hilfeleistungen bei Verspätungen von mehr als einer Stunde oder Zugausfällen – etwa, dass das Bahnunternehmen sich um Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit und gegebenenfalls um die Unterbringung in einem Hotel kümmern muss.

Eine kleine Änderung gibt es bei der Hotelunterbringung. Sind außergewöhnliche Umstände die Ursache für die Zugausfälle, kann das Bahnunternehmen die Unterbringung im Hotel auf höchstens drei Nächte begrenzen, heißt es im Artikel 20 der Verordnung. So eine Einschränkung gab es vorher nicht.

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Anschlusszug von anderem Anbieter verpasst? Das gilt jetzt

Angenommen, Sie buchen eine Nachtzugfahrt bei einem Anbieter und ein Ticket bei einem zweiten Bahnunternehmen, mit dem Sie zum Abfahrtsort des Nachtzugs fahren wollen. Dann fällt genau dieser Zug aus, weshalb Sie nicht ankommen und der Nachtzug ohne sie abfährt. In solch einem Fall haben Sie zwar Erstattungsansprüche für das erste Ticket, auf den Kosten fürs verfallene Nachtzugticket aber bleiben Sie sitzen.

Es sei denn, sie haben beide Tickets als Durchgangsfahrkarte gebucht – diese ist für die komplette Strecke samt Umstiege gültig. Für solche Tickets schafft die neue EU-Verordnung in Artikel 12 mehr Rechte für Bahnreisende, lässt aber zugleich weiter Schlupflöcher für Unternehmen, wie Verbraucherschützer kritisieren. Zusammengefasst: Kaufen Sie eine Reise mit mehreren Anschlüssen oder mehreren Fahrkarten innerhalb einer geschäftlichen Transaktion bei einem Bahnunternehmen, gilt das als Durchgangsfahrkarte. In dem Fall stehen Bahnreisenden für die gesamte Bahnreise die normalen Bahngastrechte mit Erstattungsansprüchen und Co zu.

Haben Sie dagegen mehrere Fahrkarten innerhalb einer geschäftlichen Transaktion bei einem unabhängigen Fahrkartenverkäufer oder einem Reiseveranstalter gekauft, der diese Tickets selbst zu einer Reise kombiniert, und verpassen einen Anschluss, gilt laut EU-Verordnung ab 7. Juni: Der Anbieter muss den gesamten Ticketpreis erstatten und zusätzlich 75 Prozent des Ticketpreises als Entschädigung hinblättern. Klingt super, hat aber mehrere Haken.

Welche Probleme die neuen Fahrgastregeln für Reisende bringen

Schlupflöcher bei verpassten Anschlusszügen

Wird man auf den Fahrkarten oder auf einem ergänzenden Informationsblatt noch vor dem Kauf darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Fahrkarten getrennte Beförderungsverträge darstellen, gelten diese Rechte nicht. Fachmann Kolbe vom Bundesverband der Verbraucherzentralen stellt klar, was das bedeutet: „Steht also im Kleingedruckten, dass es sich um zwei getrennte Fahrkarten handelt, haben sie keine durchgängigen Fahrgastrechte. So bleiben Schlupflöcher offen.“ Es bleibt Bahn-Reisenden im Zweifel nur, vor dem Kauf genau nachzulesen oder beim Anbieter nachzufragen, ob es sich um eine Durchgangsfahrkarte handelt, wenn sie für mögliche Probleme auf der Reise die Fahrgastrechte durchgängig auf ihrer Seite wissen wollen.

Die neuen Regelungen zu den Durchgangsfahrkarten lösen nach Ansicht von André Schulze-Wethmar vom Europäischen Verbraucherzentrum zudem das wesentliche Problem gerade längerer Bahnreisen noch nicht. Denn bei grenzüberschreitenden Fahrten sind meist verschiedene Bahnunternehmen beteiligt. Aber die in der neuen Verordnung festgeschriebene Verpflichtung an einzelne Bahnunternehmen, zumindest für alle von ihnen betriebenen Verkehrsdienste Durchgangsfahrkarten anzubieten, greife an der Stelle nicht, kritisiert Schulze-Wethmar. „Uns erreichten bereits in der Vergangenheit viele Beschwerden, dass bei langen Strecken keine Durchgangsfahrkarte angeboten wird“, so Schulze-Wethmar. „Stattdessen mussten Teilstrecken im Ausland separat gebucht werden.“ Wenn sich der Zug verspätet und der Anschluss deshalb verpasst wird, müssen Bahnreisende also auch in Zukunft in solchen Fällen die Kosten für Umbuchungen selbst tragen.

Mehr abgelehnte Forderungen wegen schwammiger Formulierungen

Auch hinsichtlich der neuen Regelung bezüglich Erstattungen bei außergewöhnlichen Umständen gibt es bereits Kritik. Denn Verbraucherschützer vermuten, dass hier Probleme für Reisende lauern. So befürchtet etwa Verbraucherschützer Gregor Kolbe: „Die Bahnunternehmen werden das nun häufiger nutzen, um Forderungen abzulehnen.“ Das erinnert an die EU-Fluggastrechte-Verordnung, deren Auslegung Gerichte regelmäßig beschäftigt. Hier geht es bei pauschalen Entschädigungssummen mit einer Spanne von 250 bis 600 Euro aber in aller Regel auch um wesentlich mehr Geld als bei den Bahnerstattungen, wo es oft nur zweistellige Beträge sind. Deshalb fürchtet Kolbe auch: Im Zweifel werden Bahnreisende wohl häufiger keine rechtlichen Schritte einleiten, obwohl die vielleicht gerechtfertigt wären – einfach, weil der Aufwand nicht lohnt.

Deswegen fordert Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale-Bundesverbands, auch: „Damit der öffentliche Nahverkehr attraktiver wird, müssen Fahrgäste schon bei einer Verspätung von 30 Minuten mit einem 10-Euro-Reisegutschein entschädigt werden – und nicht wie bisher erst ab 60 Minuten. Das wäre ein echter Anreiz für die Verkehrsunternehmen, pünktlicher zu sein.“

Kommentar: Das falsche Signal zur falschen Zeit

„Grundsätzlich ist es verständlich, dass die Deutsche Bahn zukünftig nicht mehr für Ereignisse zur Verantwortung gezogen werden will, die sich außerhalb ihrer Macht befinden. Als Arbeitnehmer möchte man sicherlich auch nicht einen Urlaubstag opfern, nur weil man ob eines Schneesturms nicht ins Büro kommt. Doch konsequent weitergedacht zeigt sich schon anhand dieses Beispiels, wo das Problem liegt. Ist es nämlich generell so, dass der Arbeitnehmer jeden zweiten Tag eine halbe Stunde zu spät die Arbeit beginnt, stets 5 Minuten zu spät ins Meeting kommt, weil das doch noch „pünktlich“ sei und regelmäßig gar nicht arbeitet, weil die Technik streikt, dann hat dieser Mitarbeiter auch wenig Entgegenkommen von seinem Chef zu erwarten. Und genau so ist es bei der Deutschen Bahn.

Wäre es so, dass die Bahn im regulären Betrieb auch nur ansatzweise das liefern würde, was sie Kund*innen zu enormen Preisen verkauft, könnte man die aktuellen Änderungen der Fahrgastrechte vermutlich verschmerzen. So legt es lediglich den Finger in eine bereits brennende Wunde. Oder wie Verbraucherschützerin Ramona Pop hinsichtlich der neuen Regelungen sagte: „Mit Blick auf ständige Unpünktlichkeit der Bahn, eine marode Infrastruktur, Personalmangel und viele angekündigte Baumaßnahmen kommen die Verschlechterungen der Rechte bei Verspätungen und Zugausfall zur Unzeit. Um mehr Menschen für Busse und Bahnen zu gewinnen, braucht es genau das Gegenteil: starke Rechte bei Unpünktlichkeit oder Zugausfall. Das würde mehr Verlässlichkeit für Bahnreisende bringen.“ Dem ist Nichts hinzuzufügen.

– Larissa Königs, Redaktionsleiterin von TRAVELBOOK

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Zusätzlich zu Fahrgastrechten neue EVO für Bahn-Reisende in Deutschland

In Deutschland ist parallel zur neuen EU-Verordnung übrigens auch eine neue Eisenbahn-Verkehrsverordnung (EVO) in Kraft getreten. In ihr finden sich nun zwei Beispiele für verbraucherfreundliche Regeln, die über die EU-Bahngastrechteverordnung hinausgehen: So können Inhaber eines Regionalzug-Tickets laut Artikel 8 der EVO unter bestimmten Umständen alternativ auch auf einen höherwertigen (nicht reservierungspflichtigen) Zug – zum Beispiel einen ICE – umsteigen, wenn die Verspätung am Zielbahnhof absehbar mehr als 20 Minuten betragen wird. Dafür muss man zwar erst mal ein ICE-Ticket kaufen, kann die Kosten aber später zurückfordern.

Und: Wenn die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0.00 und 5.00 Uhr liegt und eine Verspätung am Zielbahnhof von mindestens einer Stunde absehbar ist, können Regioticket-Inhaber auch mit einem anderen Verkehrsmittel ans Ziel fahren, etwa mit einem Taxi. Mehr dazu lesen Sie hier: Wann die Deutsche Bahn für die Weiterfahrt im Taxi zahlt. Für diese beiden Fälle sieht die EVO, die ebenfalls überarbeitet wurde, künftig einen erstattbaren Höchstbetrag von 120 Euro vor, bisher sind es 80 Euro.

mit Material der dpa

Themen Deutsche Bahn
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