26. November 2024, 15:32 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Ist der Zug voll, freut man sich über den reservierten Sitzplatz. Doch was ist, wenn dort bereits ein viel älterer, gebrechlich wirkender Mensch sitzt? Wie verhält man sich nun korrekt, ohne in einen Fettnapf zu treten? In diesem Dilemma befand sich kürzlich nach eigenen Angaben ein Reddit-User. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie er mit der Situation umgehen sollte, entbrannte eine Diskussion im Netz. Wie das Urteil lautete und was ein Knigge-Experte und die Bahn dazu sagen.
Es gibt Fragen, die man sich kaum zu stellen traut, weil sie, nun ja, moralisch verwerflich sein könnten. Zu solchen gehört auch folgende: Darf man einen wesentlich älteren, gebrechlich wirkenden Menschen in einem vollen Zug vom Sitzplatz vertreiben, wenn man für diesen Platz eine Reservierung hat? Rechtlich ist die Situation klar: Anspruch auf den Platz hat derjenige mit der Reservierung. Aber da ist natürlich noch die Frage der Höflichkeit. Noch kniffliger wird es, wenn man höflich auf die eigene Reservierung hinweist – und die ältere Person mit Hinweis auf ihr Alter dennoch nicht aufstehen will.
Übersicht
Die Reddit-User sind sich einig
In genau dieser Situation befand sich auch der Reddit-User „Odd_Arm_1345“. Er schreibt in einem Beitrag auf dem Forum: „Ich habe neulich auf einer Fahrt von 6 Stunden einen Platz reserviert. Der Zug war voll. Ein etwa 75 Jahre alter Mann saß auf meinem reservierten Platz. (…) Er wollte ihn mit Verweis auf sein Alter nicht räumen.“ Der User fragt die Community, ob es in Ordnung sei, in dem Fall auf sein Recht zu beharren. Denn: „Ich habe (…) gewusst, dass der Zug voll wird und habe deshalb reserviert, das hätte er ja auch tun können.“
Der Großteil der Reddit-User ist sich dabei einig, dass man in diesem Fall durchaus auf dem eigenen Platz bestehen könne. „Sonst würde das ja bedeuten, dass ab einem gewissen Alter keine Sitzplatzreservierung mehr erforderlich ist, oder alle Sitzplätze automatisch für Ältere reserviert sind“, heißt es etwa in dem Top-Kommentar. Ein anderer formuliert drastisch: „Der Mangel an Voraussicht bei anderer Leute Planung ist nicht mein Problem.“ Viele sind der Meinung, dass man im Nahverkehr, also wenn keine Reservierung möglich ist, seinen Sitzplatz in jedem Fall aufgeben sollte, das jedoch bei der Fernstrecke nicht notwendig sei. Doch was sagen Experten?
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Sollte man den reservierten Sitzplatz in der Bahn für Ältere aufgeben? Das sagt der Knigge-Experte
„Das sollte jeder so handhaben, wie er sich dabei gerade fühlt“, sagt Moritz Freiherr Knigge, Experte für Umgangsformen. Manchmal kann man sich gut für eine kurze Fahrt in den Flur stellen. Eventuell findet sich auch ein anderer Sitz, oder man will ohnehin erst mal in das Restaurant gehen.
Sollte man wirklich den eigenen Platz wünschen, hält es Freiherr Knigge zunächst für wichtig, dass man den Mitreisenden freundlich anspricht. „Wenn jemand nur sagt ‚Stehen Sie auf, das ist mein Platz!‘, dann ist das schon sehr besitzergreifend und aggressiv.“ Stattdessen könne man die Situation auch mit einer höflicheren Anrede angehen – und damit vielleicht sogar eine Überraschung erleben. „So eine Anrede produziert eine positive Stimmung. Mir ist es dann schon passiert, dass mein sitzender Nachbar einem Stehplatzinhaber seinen Platz anbot, da er ohnehin gleich den Zug verlassen musste“, erzählt Knigge.
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Das sagt die Deutsche Bahn
Wenn einen nun das schlechte Gewissen drückt, einen Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit vom reservierten Sitzplatz wegzubitten, gibt es noch Optionen für den betroffenen Mitreisenden. Für bestimmte Zielgruppen gibt es reservierte Plätze im Zug, etwa für Menschen mit schwerer Behinderung. Darauf weist die Bahn hin.
Ein Bahnsprecher rät zudem dazu, mit dem Zugbegleiter Kontakt aufzunehmen. Zum einen kann dieser die Situation leichter auflösen, man muss also selbst keine Diskussion führen. Zum anderen haben die Zugbegleiter oft auch eine bessere Übersicht, ob es in anderen Abteilen noch mehr freie Plätze gibt. Und unter Umständen gibt es noch die Möglichkeit, solche Reisenden in der vielleicht nicht so überfüllten ersten Klasse unterzubringen. Allerdings: „Das ist immer eine Vor-Ort-Entscheidung, es gibt keinen Rechtsanspruch darauf“, betont der Sprecher.
Wichtig zu wissen ist in jedem Fall: Wenn man freiwillig auf die Reservierung verzichtet und sich aus Rücksicht auf den älteren Reisenden einen anderen Platz sucht, ins Restaurant geht oder gar steht, kann man laut Bahnportal das Geld für die Reservierung nicht zurückverlangen. Auch das ist bei der Entscheidung, ob man den reservierten Sitzplatz in der Bahn für Ältere aufgibt, ein wichtiger Faktor.
Fazit: Anspruch auf den eigenen Platz hat man in jedem Fall. Ob und vor allem wie man ihn durchsetzt, ist schlussendlich eigene Ermessenssache.