4. April 2023, 17:09 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nirgendwo gibt es so viele nackte Menschen wie auf dem französischen Campingplatz CHM Montalivet. Das Naturistencamp ist Refugium und Pilgerstätte für Anhänger der Freikörperkultur aus aller Welt. TRAVELBOOK stellt das Camp vor, in dem sogar die deutsche Kanzlerin schon mal Urlaub gemacht haben soll.
Rund eineinhalb Autostunden nordöstlich von Bordeaux, im Herzen der französischen Region Aquitanien, liegt inmitten großartiger Abgeschiedenheit der größte FKK-Campingplatz Europas. Versteckt zwischen Dünen und Wäldern und endlosen Atlantik-Stränden erstreckt es sich über insgesamt 200 Hektar. Die Luft im Camp riecht nach Pinien. In rund 15 Gehminuten erreicht man das Küstendorf Montalivet, das dieser „Gated Community“ den Beinamen einbrachte.
Das CHM (Centre Hélio-Marin) Montalivet ist ein sauberer Vier-Sterne-Campingplatz mit Stellplätzen für Wohnwagen, Wohnmobile und Zelte. Von privat oder über den Betreiber Tohapi kann man außerdem Holzbungalows oder komfortable Mobile Homes mieten. Es gibt Restaurants, Lebensmittelgeschäfte, Camping-Zubehör, einen Waschsalon und sanitäre Anlagen. Alles ist sauber und renoviert. Die Preise variieren je nach Saison und Dauer des Aufenthalts. Es gibt ein großes Freizeitangebot für alle Altersklassen im Camp oder am Meer. Hört sich traumhaft an? Wenn Sie Fan der Freikörperkultur sind, ja. Denn wer hier seinen Campingurlaub verbringt, sollte keine Angst vor Nacktheit haben.
Wer macht hier Urlaub?
Ethnie, Aussehen und Gesinnung spielen keine Rolle. Alle eint das tiefe Bedürfnis, täglich nackt sein zu dürfen. Sogar Angela Merkel soll schon einmal hier gewesen sein. Das geht aus alten Aufzeichnungen der Camp-Betreiber hervor. Viele Besucher kommen regelmäßig ins Camp, die meisten sind Franzosen, Deutsche, Österreicher, Schweizer, Niederländer und Skandinavier.
Vor allem junge Familien mit Kindern fühlen sich hier wohl, was auch an den zwei Poolanlagen (eine mit Wasserrutsche) liegen könnte, aber auch viele Teenager sieht man hier. Für viele ist trotz strenger und engmaschig kontrollierter Nackt-Pflicht an Strand und Pool der Naturismus nicht im Fokus, stattdessen geht es um das Treffen anderer aus der Community.
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Niemand wird schief angeschaut
Die meisten Gäste des CHM genießen aber genau das: die absolute Freiheit nackter Haut. Hier verurteilt niemand Orangenhaut oder einen dicken Bauch. Alle Menschen sind hier gleich. Alle sind nackt, jeden Tag und überall. Trotzdem fällt es nicht auf, dass man nichts anhat. Auch Sexualität spielt hier keine Rolle. Swinger, Sex-Interessierte oder Spanner werden von der Gemeinschaft schnell entlarvt und vom Camp entfernt, inklusive Hausverbot.
Generationsübergreifend geht man respektvoll miteinander um, grüßt sich höflich, lernt den Camping-Nachbarn kennen, hilft sich gegenseitig. Schnell schließt man hier Freundschaften fürs Leben. Wer nicht auf gesellschaftlichen Austausch aus ist oder das Nacktsein unnatürlich findet, hat hier einen sehr schweren Stand. Fast ein wenig spirituell wird die Nacktheit im CHM gelebt. So gehen die Urlauber etwa im Camping-Supermarkt des weitläufigen Geländes auch ganz selbstverständlich „unten ohne“ einkaufen.
Die Geschichte des FKK-Camps
Das Areal, auf dem sich das Camp heute befindet, wurde im Zweiten Weltkrieg von Anhängern der Freien Körperkultur um das französische Naturisten-Pärchen Albert und Christiane LeCoq 1950 entdeckt. Die Küsten waren damals übersät von Bunkeranlagen und Kriegs-Wracks, die teilweise heute noch zwischen den Sanddünen zu sehen sind. Die Nacktjünger schufen sich ihr eigenes Paradies mit Holzbungalows, die vereinzelt immer noch stehen. Rasant wuchs die Anhängerschaft des Paares, das Nacktheit fast wie eine Art Religion betrieb. Die LeCoqs waren bekennende Naturisten. Ihr Motto: Nackt leben im Einklang mit der Natur.
Bereits zwei Jahre später gründeten Albert und Christiane auf dem Gelände die französische sowie die internationale Naturisten-Föderation, die inzwischen weltweit Anhänger der Freikörperkultur zusammenbringt. Das Centro Helio Marin entsteht – das erste Naturistencamp der Welt. Die Ur-Hütte der beiden Nackt-Prediger ist für die Naturisten-Bewegung fast zu einer Art Wallfahrtsort avanciert und wird im Camp liebevoll als kleines Museum erhalten. Albert LeCoq starb 1969, seine Frau Christiane überlebte ihn um fast 50 Jahre und starb erst 2014 mit 103 Jahren.
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Abends sehen alle anders aus
Normalerweise haben in der Hochsaison rund 14.000 Urlauber auf dem größten Campingplatz Europas Platz – so viel, wie eine Kleinstadt Einwohner hat! In der Vergangenheit waren auch viele internationale Gäste, wie beispielsweise der amerikanische Star-Fotograf Jock Sturges, der hier seit vielen Jahrzehnten Langzeit-Portraits mit Nudisten-Familien fotografiert, zu Gast. Selbst zur Coronazeit war der Campingplatz stets gut besucht, das Publikum scheint fast krisensicher zu sein.
Abends ziehen zieht es viele FKKler ins „Gaia“, eine Holz-Bar in der Nähe der Dünen. Nach dem Sundowner gibt es dort täglich wechselnde Aktionen wie Quiz-Abende oder Live-Musik. Witzig: Rund 90 Prozent der Camper, die man tagsüber natürlich nackt kennenlernt, erkennt man abends kaum wieder. Denn die Nächte am Atlantik sind oft sehr frisch und das Thermometer sinkt auch im Hoch-Sommer schnell auf Werte um 15 bis 18 Grad. Dann tragen fast alle wieder Klamotten im größten FKK-Campingplatz Europas.
pvf