29. Mai 2017, 10:47 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
Drei Jahre ist es her, dass die Deutschen den WM-Titel aus Brasilien mit nach Hause brachten – und im Nordosten des Gastgeberlandes ein Luxus-Resort hinterließen: das Campo Bahia im kleinen Ort Santo André. Wohlhabende Touristen, am besten aus Deutschland, sollten hier urlauben und dem Ort Einnahmen bescheren. Doch daraus wurde nichts. Das Campo Bahia steckt wie ganz Brasilien in der Krise, und ausgerechnet Argentinier sollen es retten. Wie das funktionieren soll.
2014 war es, als Fußball-Bundestrainer Jogi Löw hier am Strand entlang schlenderte, seine Gedanken sammelte und neue Kraft tankte, während die späteren Weltmeister wie Kapitän Philipp Lahm, Lukas Podolski, Manuel Neuer oder Mesut Özil wenige Meter weiter auf ihren Zimmern oder am Pool relaxten. Die Rede ist vom – zumindest bei den Deutschen – legendären Campo Bahia, dem Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft während der WM in Brasilien. Das Gelände gehört zum Fischerörtchen Santo André, nördlich von Porto Seguro, liegt direkt an der Küste und ist heute ein Luxus-Resort – das mit Problemen zu kämpfen hat. Nur wenige Gäste kommen hierher. Jetzt sollen ausgerechnet Argentinier unser WM-Camp retten.
Erreichbarkeit das größte Problem
Doch ob Argentinier wirklich im Bett von Mario Götze schlafen wollen, der mit seinem Tor im WM-Finale am 13. Juli 2014 ihrem Land dem WM-Traum nahm? Der Siegtorschütze war im Erdgeschoss des Campo Bahia einquartiert. Eine gerahmte Götze-Karikatur an der Zimmertür erinnert an den berühmten Gast.
Die Anlage: malerisch. Natürlich mit Pool, Palmen und Privatstrand, es gibt Platz für bis zu 120 Gäste. Hier bekommt man naturnahe Erholung, die ursprüngliche, fast paradiesische Umgebung ist von Fischerei geprägt. Anders als in Rio de Janeiro gilt die Gegend als sicher. 70 Mitarbeiter sind da, die Gästeauslastung liegt im Schnitt bei nur 40 Prozent. Um in die Gewinnzone zu kommen, brauche man etwa 70 Prozent, heißt es vor Ort – von offizieller Seite werden solche Zahlen in Abrede gestellt.
Auch interessant: Auf dieser Trauminsel begann Brasiliens Albtraum
In Sachen Auslastung ist die Erreichbarkeit das größte Problem. Zwar hat Porto Seguro, rund 1200 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt, einen Flughafen, aber von dort aus müssen Besucher noch mal rund 35 Kilometer fahren und dann mit der Fähre nach Santo André. Anschließend geht es über eine staubige Schlaglochpiste, bis man dann endlich das Campo Bahia erreicht. Viele Brasilianer ziehen dann lieber nähere und oft genug auch belebtere Ziele vor.
Dabei war die Ruhe und Abgeschiedenheit des Campo Bahia als das Erfolgsgeheimnis gepriesen worden. „Catch your dream“, „Fange deinen Traum“ steht als Slogan am Eingang. Ein Blick durch einen riesigen Traumfänger, gefertigt von den Pataxó-Indianern, gibt den Blick frei auf die Bungalows und die liebevoll gepflegte Anlage.
Auch interessant: So wird ein echter Caipirinha gemacht
Karikaturen an den Türen
An jedem Zimmer, in dem die Deutschen 2014 schliefen, hängt eine etwas eigenwillige Karikatur des Zeichners Cássio Loredano. Götze hat dicke Pausbacken, Thomas Müller grinst breit, Joachim Löw hat ein Glupschauge. „Das eine oder andere Bild haben Gäste schon mitgehen lassen“, berichtet ein Mitarbeiter. Aber man hat die Karikaturen in Kopie, sodass sie schnell wieder hängen.
60 Prozent der Gäste stammen aus Brasilien, 30 Prozent aus Europa, 10 Prozent aus den USA. Letztlich leidet aber auch eine der schönsten Ecken an der Atlantik-Küste unter der tiefen Rezession in Brasilien mit einem Wirtschaftseinbruch um 7,4 Prozent seit 2015. Und dann machte 2016 noch die Angst vor dem Zika-Virus einen Strich durch die Rechnung. Man setzt verstärkt auch auf Firmenevents und Hochzeiten. Und die neueste Hoffnung liegt eben im Tourismus aus dem Nachbarland Argentinien.
Ausgerechnet Argentinien
„Es gibt jetzt zwei Direktflüge pro Woche von Buenos Aires nach Porto Seguro“, sagt Iracema Keseberg, Marketingchefin des Resorts. Zudem noch Flüge von Córdoba in diese malerische Gegend im brasilianischen Bundesstaat Bahia. „Wir hoffen auf mehr Touristen aus Argentinien.“
Die werden hier aber auf Schritt und Tritt an die Niederlage erinnert werden. In der Bar und im Restaurant hängen riesige Lampen mit deutschen WM-Szenen und Helden wie Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Roger Kalab, ein Onkel des Bauherrn und Eigentümers Dr. Christian Hirmer, lebt hier dauerhaft. Er ist der General-Manager des Resorts und betont, dass auch in den Modehäusern verstärkt auf Urlaub im Campo Bahia aufmerksam gemacht werden soll. Und das Campo werde zunehmend zum Anlaufpunkt von Film- und Musikstars. In den südamerikanischen Sommermonaten sei man meist komplett ausgebucht. „Es geht bergauf, aber man braucht Geduld.“
Und wie sieht es sonst in Santo André aus? Es gibt Klagen, dass die Versprechen von sozialem Engagement kaum erfüllt worden seien. Es gibt viele Schilder mit dem Schriftzug „Vende-se“, auf Deutsch: „zu verkaufen“. Der Ort ist im Dornröschenschlaf – ein ursprüngliches Erlebnis, fernab der sonstigen Party-Hochburgen an der Küste. Auf dem einzigen Bolzplatz kicken Schulkinder, der weiße Strand ist oft menschenleer.
Leben im Paradies
Viviana Romero Dinnet hat mal wieder keine Kundschaft in ihrem Laden, in dem sie Kunstartikel verkauft. Sie ist dennoch froh, dass es das Campo Bahia gibt. Sonst gäbe es so gut wie keine Touristen – und es bietet einigen hier Arbeit. Sie bekommt leuchtende Augen, wenn sie in Erinnerungen an die aufregenden Monate aus dem Jahr 2014 schwelgt. Sie war die Chefin der Putztruppe. „Müller – maravilhoso“, sagt sie, „wunderbar“. Und wie hieß noch der mit den blauen Augen, der Lustige? Ach ja, Lukas (Podolski). „Que lindo“, „was ein schöner Kerl“. Und der Joaquim (Löw): „ein echter Gentleman“. „Ich war streng mit meinen Damen.“ Ruckzuck mussten Betten gemacht werden. Nie wieder hat sie so viel verdient. „Dummerweise habe ich alles verjubelt.“ Aber hier habe man etwas, was wichtiger als Geld sei, sagt sie – und schaut aufs Wasser: „Wir leben im Paradies.“
Und das kennen nun nicht nur die Deutschen, sondern auch Brasilianer. Denn bis zur WM galt die Region eher als Geheimtipp – und Santo André war touristisch praktisch unerschlossen.
Auch interessant: Die tödlichste Insel der Welt liegt vor Brasilien
Nur 400 Gäste im ersten Halbjahr
Gerade diese Abgeschiedenheit war auch einer der Gründe, warum der DFB hier sein WM-Camp baute – und wohl letztlich auch einer der Erfolgsfaktoren für den späteren Triumph. Nach der WM sollte das sich der Nachhaltigkeit verschriebene Campo Bahia für gut betuchte Touristen öffnen und dem Ort zu einem kleinen Boom verhelfen. Dass die Deutschen schließlich den Titel holten, war die Krönung für das Projekt.
Doch der Boom blieb aus, und die Bilanz ein Jahr nach dem WM-Sieg war eher ernüchternd. In den ersten sechs Monaten habe man 400 Gäste gehabt, hieß es damals auf Nachfrage von TRAVELBOOK, und es wurde betont, dass man damit für „das erste Halbjahr sowohl wirtschaftlich als auch seitens der Kundenakzeptanz vollkommen im Plan“ lag. „Viele Gäste machen von der Möglichkeit Gebrauch, ganze Villen zu buchen.“ Der „spezielle Reiz“ des Campo Bahia sei es schließlich, „dass man hier mit seiner Familie oder seinen Freunden ein Haus gemeinsam bewohnen“ könne.
Brasilien Was man vor einem Urlaub in Arraial d’Ajuda wissen sollte
Gewalt an der Copacabana Sicher durch Brasilien – 10 Tipps von Einheimischen
Samba, Urwald, Strände, Traumstädte 12 gute Gründe, warum sich die weite Reise nach Brasilien lohnt
Brasilianer wollen den 7:1-Strand sehen
Bei den Brasilianern ist der Strand von Santo André zu einer Sehenswürdigkeit geworden. Inoffiziell heißt er 7:1-Strand, es werden sogar Touren dorthin angeboten. Doch ein Blick auf den Strand und von außen auf das einstige WM-Camp reicht den meisten. Viele Brasilianer bleiben lieber in Porto Seguro oder reisen in die hippen Orte Arraial d’Ajuda oder Trancoso im Süden.