4. Februar 2015, 10:59 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Wenn sich einer wie Richard Branson – Visionär, Milliardär, Weltraumfahrer – anschickt, die Hotellerie zu revolutionieren, darf man einiges erwarten, zumindest, dass die neuen Hotels eine passable Kulisse für kommende Science-Fiction-Filme abgeben. Doch das erste Haus von Bransons neuer Cityhotel-Kette, das dieser Tage in Chicago eröffnet wurde, überrascht auf ganz andere Art.
The sky is the limit? Das mag für andere gelten. Nicht für einen Sir Richard Branson, der den amerikanischen Traum mehr als vorbildhaft realisierte. Züchtete er als junger Mann noch Wellensittiche und Tannenbäume, zählt er heute zu den reichsten Menschen der Welt, verfügt neben seinem Plattenlabel Virgin Records über eine Fluglinie, eine Luxusinsel und das erste Tourismusunternehmen, das Urlauber ins All schickt. Als verrücktester Multi-Milliardär der Welt wird Branson gehandelt – und jedes neue Projekt mit Neugier erwartet.
Keine Frage: Wenn sich so einer anschickt, die Hotellerie zu revolutionieren, darf man natürlich einiges erwarten. Teleporter statt schnöder Aufzüge? 5D-Fernseher statt nur 3D? Tatsächlich waren Gerüchte dieser Art im Vorfeld der Eröffnung des ersten Cityhotels Bransonscher Prägung in Umlauf – zwar professionell lanciert vom eigenen PR-Team, dennoch dürften die Erwartungen an Bransons neuen Coup tatsächlich in etwa in diese Richtung gegangen sein.
Über die PR-Aktionen zur Eröffnung des Hotels im Werbevideo:
Umso überraschender das Ergebnis. Denn das Hotel, das dieser Tage in einem ehemaligen Bankgebäude im Loop District in Chicago eröffnet wurde, kommt ohne Sci-Fi-Schnickschnack und stattdessen recht geerdet, fast bodenständig daher. Als hätte jemand Tausenden genervter Hotelgäste ein Ohr geschenkt und für alles eine Lösung gesucht. Oder – wahrscheinlicher noch – als hätte jemand einfach genug Zeit in Hotels verbracht, um selbst ständig genervt zu sein: über Extrakosten für Wifi, überteuerte Snacks in der Minibar und überhaupt das einfallslose wie überschaubare Angebot an Getränkedosen und Schokoriegeln auf dem Zimmer.
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All das ist in den Virgin Hotels kein Aufreger: Wifi ist für alle umsonst und zwar in einer Bandbreite, die sogar den Download von Lieblingsfilmen erlaubt. Die Snacks auf dem Zimmer gibt es nicht für ein kleines Vermögen, sondern für den Preis im Supermarkt – und, besser noch: können sogar zuvor individuell geordert werden. Also: Lust auf eine ganz bestimmte Sorte Chips? Einfach vorher per „The Know“-App bestellen.
Doch damit nicht genug.
Haben Sie sich auch immer gefragt, wer an dem winzigen Schreibtisch im Hotelzimmer eigentlich sitzen soll oder warum das Sofa wenig einladend aber ziemlich Platz raubend mitten im Raum steht – und sich dann ohnehin lieber ins Bett verkrümelt? Nun, in den Virgin-Hotels hat das Methode. Hier wird der Gast direkt ins Bett gelockt.
Das so genannte „Signature Lounge Bed“ – eine Kombination aus komfortablem King-Size-Bett mit Lounge-Lehne ist sozusagen das Smartphone unter den Hotelbetten. Denn es dient nicht nur zum Schlafen, sondern auch zum Arbeiten, Ausruhen, Chillen, Frühstücken, Fernsehen und vielem mehr. Die obligatorischen Sideboards und Tischchen kann man getrost als Ablage benutzen. Dahinter klemmen muss sich eigentlich niemand mehr.
Und wen an einem Hotel immer störte, dass es wie eine geschlossene Kapsel mitten in der Stadt liegt, und all die hippen Einheimischen einen großen Bogen darum machen, dürfte auch hier eines Besseren belehrt werden. Denn im „Common Club“ sollen sich Locals und Hotelgäste mischen. Angelockt werden sie durch ein Ambiente, das auch einem schicken Exklusiv-Club wie dem Soho-House in London oder Berlin gut zu Gesicht gestanden hätte. Und: durch kostenlose Cocktails! Die gibt es hier angeblich immer zwischen 18 und 19 Uhr, zur sogenannten „Social Hour“. Und auch sonst setzt das Konzept auf Begegnung. Es gibt eine Bibliothek und ein Fernsehzimmer, beides offen für Gäste und Einwohner.
Chicago war erst der Anfang, weitere Virgin Hotels sollen folgen: in New York, San Francisco oder Los Angeles. Und dann kursieren ja noch die Pläne von den ersten Virgin-Kreuzfahrtschiffen, die vor Ende des Jahrzehnts vom Stapel laufen sollen. Auf die darf man natürlich auch gespannt sein. Wir erwarten nichts geringeres als eine: Revolution. Zumindest eine sanfte, wie die, welche Branson mit den Virgin Hotels hingelegt hat.