1. Mai 2016, 9:07 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Nur mit Schaufel, Spitzhacke, Spachtel und Schubkarre hat der Künstler Ra Paulette in New Mexico einzigartige Höhlensysteme in die Erde gebaut. Etwa ein Dutzend hat er so schon in den Fels gehauen und teilweise sogar zu aufwendig gestalteten Wohnflächen gestaltet. Und er macht weiter. Sogar ein oscar-nominierter Film wurde schon über ihn gedreht.
Mitten im Nirgendwo der Wüste von New Mexico, nördlich von Santa Fe, liegt das Tor zu einer anderen Welt. Einer magischen, einfach unglaublichen Welt, deren Anblick jeden Betrachter in Erfurcht erstarren lässt und in ihren Bann zieht. Denn was hier in den letzten drei Dekaden unter der Erde entstanden ist, ist so verblüffend, das man kaum begreifen kann, dass es von Menschenhand geschaffen ist – von den Händen eines einzelnen Menschen, um genau zu sein. Es ist das Zeugnis dafür, dass der Glaube an sich selbst und der Wille, etwas zu schaffen, Berge versetzen kann – und in diesem Fall ist das sogar wortwörtlich gemeint.
Der Künstler Ra Paulette hat bereits über 25 Jahre damit verbracht, in den Sandstein von New Mexicos Wüste ein einzigartiges Höhlensystem zu graben, wie es wohl auf der Welt kein zweites gibt. Nur mit Schaufel, Spitzhacke, Spachtel und Schubkarre bewaffnet macht er sich Tag für Tag wieder ans Werk, um der Erde ein fantastisches Stück seiner ganz eigenen Kunst abzugewinnen. Paulettes selbst gegrabene Höhlen sind surreale Werke, die einem schlicht den Atem rauben, so kunstvoll hat er die unzähligen Verzierungen und Ornamente in den Fels geritzt.
Wir sehen riesige Säulen, die anmuten wie Baumstämme, verziert mit herzförmigen Blättern. Wir sehen korallenartige Gebilde, die sich an den Höhlenwänden empor ranken, als wären sie von selbst dort gewachsen. Wir sehen enge Gänge, lichtdurchflutete Tunnel und sogar Treppen, die Paulette dank seines unbändigen Willens in den Stein verewigt hat. Das Graben hat seinem Leben einen Sinn gegeben, so beschreibt er es selbst: „Körperliche Arbeit ist die Grundlage meines Selbstverständnisses. Ich fühle dann meinen Körper und seine Bewegungen ganz bewusst, so wie ein Tänzer.“ Seine Arbeit nennt er folgerichtig auch scherzhaft den „Tanz des Grabens“.
Paulette hat sich hier, nur begleitet von seinem Hund, eine ganz eigene, bizarr-schöne Welt geschaffen, in die er sich auf der Flucht vor der Vergangenheit zurückgezogen hat. Schon mit 19 meldete er sich damals zur Navy, nachdem er das College abgebrochen hatte. Nach einem Einsatz in Vietnam zog er scheinbar ziellos durchs Land, arbeitete als Erntehelfer, Farmarbeiter und Betreuer für behinderte Menschen. Irgendwann fing er dann an zu graben, zunächst Brunnen, dann seine erste Höhle – und hatte damit seine Berufung gefunden.
Alles, was er hier in der Wüste New Mexicos geschaffen hat, hat er sich selbst beigebracht, denn er ist weder gelernter Bildhauer noch Architekt. Auf die Frage eines CBS-Reporters, ob er vom Graben besessen sei, antwortete er: „Würden Sie ein Kind besessen nennen, weil es in seinem Spiel versunken ist? Wenn man etwas tut, das man liebt, und das einen einnimmt, dann möchte man es die ganze Zeit tun.“ Und das tut Paulette nun auch seit mehr als 25 Jahren, und hat damit der Welt einzigartige und poetische Kunstwerke hinterlassen – ein Vermächtnis schon zu Lebzeiten quasi.
Seit einigen Jahren erfährt er dafür auch immer mehr Aufmerksamkeit, viele große Medien berichteten schon über seine Ambitionen. Der bewegende Dokumentarfilm „Cavedigger“ von Filmemacher und Produzent Jeffrey Karoff, für den er drei Jahre lang bei seiner Arbeit gefilmt wurde, war 2014 sogar für den Oscar nominiert. Und ein bisschen Besessenheit spielt wohl doch mit, wenn Paulette sinngemäß in Interviews sagt: „Das wunderbarste Gefühl ist es, die Höhlen zu gestalten. Wenn sie einmal fertig sind, mache ich mit der nächsten weiter.“ Den offiziellen Trailer zum Film sehen Sie hier:
Etwa ein Dutzend Höhlen hat er so schon in den Fels gehauen und teilweise sogar zu aufwendig gestalteten Wohnflächen gestaltet, für Menschen mit einem entsprechenden Portemonnaie versteht sich. So wurde kürzlich eine seiner Wohnhöhlen für 795.000 US-Dollar (737.921 Euro) verkauft. Dafür haben die neuen Eigentümer eine absolut einzigartige Wohnung mit Blick auf die Wüste und Paulettes Sand-Schnitzereien bekommen, mit wunderbar verzierten Badezimmern, Elektrizität und fließendem Wasser. Auf Anfrage kann man in der Höhlenwohnung sogar übernachten.
Allein an diesem bewohnbaren Kunstwerk arbeitete Ra Paulette zwei Jahre lang – für nur 12 US-Dollar (11 Euro) die Stunde. Gefragt, warum er all das denn tue, wenn schon offensichtlich nicht für Geld, antwortete Paulette: „Es geht um den Schaffensprozess. Ich erlebe gerade die beste Zeit meines Lebens.“ Sein aktuelles Projekt ist deshalb auch sein bisher ambitioniertestes. Die „Luminous Caves“, wie er sie auf seiner Webseite nennt, etwa die „Leuchtenden Höhlen“, sollen sein Meisterwerk werden: „Das ist die Krönung von all dem, was ich gelernt und wovon ich geträumt habe.“ Es wird wohl noch Jahre dauern, bis der heute fast 70-jährige Paulette sein Lebenswerk vollendet, aber Zeit scheint bei ihm ja ohnehin keine Rolle zu spielen.
Die „Luminous Caves“ sollen dann eine Art Schrein sein, aber auch ein Versammlungsort, an dem Leute zusammenkommen und die Stille und den Frieden genießen. Auf die Frage, was denn Gäste von einem Besuch in seinen Höhlen mit nach Hause nehmen sollten, sagt er: „Wenigstens einen kurzen Moment oder eine Zeitspanne, in dem sie ein tieferes Verständnis für sich selbst und das Leben erfahren.“
Wem Paulettes Projekte gefallen, der kann über seine Webseite eine kleine Spende leisten – damit Paulette wiederum damit weitermachen kann, was er nun mal tut: Die Welt in ehrfürchtiges Erstaunen versetzen.