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Wo Sarah Connor herkommt

Delmenhorst – keine Stadt in Deutschland hat weniger Touris

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TRAVELBOOK Redaktion

30. Oktober 2015, 10:22 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten

Über mangelnde Bekanntheit kann sich Delmenhorst nicht beklagen. Sarah Connor stammt von hier, und die Band Element of Crime benannte einen Song nach der Stadt. Trotzdem ist Delmenhorst Schlusslicht bei den Übernachtungen in Deutschland. Doch der Schein trügt: Zwischen beeindruckender Industriearchitektur und ausschweifenden Traditions-Partys gibt es einiges zu entdecken. Fünf gute Gründe für einen Besuch in Delmenhorst.

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Kurz vor dem Ortsschild fängt es an zu regnen. 80.000 Einwohner und kein Mensch unterwegs. Donnerstagabend, kurz nach 22.00 Uhr in Delmenhorst. An der Dönerbude beim Bahnhof packt der Betreiber gerade den Grillspieß ein. Im Hotel gegenüber breitet der Nachtportier mit großer Geste die Arme aus: „Willkommen in Delmenhorst“.

Delmenhorst ist laut einer neuen Statistik, die Kreis und kreisfreie Städte berücksichtigt, die Stadt mit den wenigsten Übernachtungen in Deutschland. Kaum jemanden zieht es in die Stadt zwischen Oldenburg und Bremen, gerade mal knapp 50.000 Gästeübernachtungen gab es in 2013, und nur 26.000 Gästeankünfte – so wenig wie nirgendwo sonst in Deutschland. Immerhin sieben Hotels listet die Reisewebsite Tripadvisor in Delmenhorst.

Eine graue Maus, direkt an der A1 gelegen. Ein Ort arm wie Berlin, aber nicht so sexy. Von den Erwerbsfähigen ist jeder zehnte arbeitslos. Die Stadt hat hohe Schulden. Sexy könnte sein, dass das bekannteste Kind der Stadt Sängerin Sarah Connor ist. Doch die ist weggezogen. Warum also einen Urlaubstag in Delmenhorst vergeuden? Wir nennen fünf gute Gründe, warum sich ein Besuch lohnt.

Delmenhorst hat eine Stadt in der Stadt
Jeder dritte Delmenhorster hat einen Migrationshintergrund. Das liegt nicht zuletzt an der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei, kurz: Nordwolle. Wer vom Rathaus aus zehn Minuten zu Fuß aus der Stadt herausläuft, steht plötzlich auf einem der größten Industriedenkmäler Europas. Zu sehen sind eine Reihe von roten Backsteinhäusern und -hallen in verschiedenen Größen.

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Das Nordwolle-Gelände in Delmenhorst war eine Stadt in der Stadt. Die ehemaligen Arbeiterhäuser zeugen noch heute davon. Foto: dpa / Markus Hibbeler

Von 1884 bis zum Konkurs 1981 war auf diesem Gelände Nordwolle beheimatet, ein Unternehmen, das Wolle und Garn verarbeitete. Nordwolle hatte zeitweise weit über 3000 Mitarbeiter, betrieb mehrere Fabriken in Deutschland und war in seiner Hochphase für bis zu 25 Prozent der globalen Wollverarbeitung verantwortlich. Um die Jahrhundertwende entwickelte sich das Nordwolle-Gelände zur Stadt in der Stadt. Heute lässt sich im sehr informativen und interessant aufbereiteten Nordwestdeutschen Museum für Industriekulturnachvollziehen, wo damals was stand.

Gerda Hartmann führt durch das Museum und weiß gar nicht so genau, wo sie anfangen soll. Es gibt einfach zu viel zu erzählen. Da ist die Geschichte von der Familie Lahusen, der Nordwolle lange gehörte. Dann ist da die Geschichte der Gastarbeiter, die in zwei großen Wellen kamen und in Delmenhorst integriert werden mussten. Und schließlich ist da die Geschichte vom langsamen Niedergang der Fabrik. Wie langweilig kann eine Stadt mit solch einer Geschichte und so einem Museum sein?

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Zeugnis großer Industriegeschichte: In einigen Hallen der ehemaligen Nordwolle ist heute das Nordwestdeutsche Museum für Industriekultur untergebracht. Foto: dpa / Markus Hibbeler

Delmenhorst macht mobil gegen Rechts
Direkt im Stadtzentrum liegt an einer viel befahrenen Straße eine Brachfläche. 2006 gab es hier noch keine Brachfläche, sondern ein Hotel. Als bekannt wurde, dass der Inhaber das Gebäude verkaufen will und die Käufer Rechtsextreme sein sollen, kam den Delmenhorstern eine Idee: Warum nicht das Hotel selbst kaufen?

Gerd Renker muss jetzt noch lachen, wenn er daran denkt, wie das damals war: „Auf dem Markt haben die Gemüsefrauen Tomaten gegen Rechts verkauft, und der Fleischer briet Bratwürste gegen Rechts“, erzählt er. Zusammen mit einem Freund hat Renker die Sammelaktion angezettelt.

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Klare Position gegen Nazis: Gerd Renker organisierte vor einigen Jahren den Protest gegen den Verkauf eines Hotels an Rechtsextreme. Foto: dpa / Markus Hibbeler

Die Medien werden aufmerksam. Erste Artikel erscheinen mit dem Tenor: Eine Kleinstadt steht auf gegen Rechts. Am Ende wird es 3500 Zeitungsartikel geben. Und mit dem Medienecho kommt das Geld. Die Stadt kauft schließlich das Hotel. Doch sie hat keine Verwendung für das Hotel, stattdessen kostete es Unterhalt, und so reißt sie es schließlich ab. Doch die Erinnerung bleibt. Wie langweilig kann eine Stadt sein, in der die Bürger so etwas zuwege bringen?

Delmenhorst bietet die besten Kohlfahrten des Nordens
Delmenhorster sagen, der einzige Grund, nach Delmenhorst zu kommen, ist eine Kohlfahrt bei Schierenbeck. Bernd Schierenbeck ist der König der Kohlfahrer, ein Mann Mitte 50, mit einem Händedruck wie ein Schraubstock und dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis optisch nicht unähnlich. Schierenbeck bietet Kohlfahrten im großen Stil an, eine Tradition, die es so nur in Delmenhorst und Umgebung gibt.

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König der Kohlfahrer: Bernd Schierenbeck (Mitte) steht mit seinen Köchen Grigory Wagner (l.) und Reiner Schellstede (re.) vor seiner Gaststätte. Foto: dpa / Markus Hibbeler

Zur Kohlfahrt gehört, dass man zunächst ein bis zwei Stunden durch den Wald spaziert, häufig mit einer Gruppe von etwa 10 bis 30 Mann. Dabei zieht man einen Bollerwagen, in dem Schnaps und eine Brotzeit sind. Die Zeit vertreibt man sich mit Boßelkugeln oder allerlei albernen Spielen wie Papierhandtuch-Weitwurf. Dabei gilt die Regel: Wer verliert, trinkt einen Schnaps. Dann kommt das Essen: Eine Kohlfahrt heißt so, weil es Grünkohl mit Grütze gibt, dazu meist Kassler, Schweinebauch und Kochwürste. Doch eigentlich geht es nur um die Party. „Um halb acht stehen die ersten auf den Tischen“, sagt Schierenbeck. Von 400 Desserts kann er manchmal nur noch 200 verteilen, der Rest steht schon auf der Tanzfläche oder an der Theke. „Das muss harte, gute Party sein“, sagt er. Wie langweilig kann eine Stadt sein, die so feiern kann?

Delmenhorst hat einen eigenen Song
„Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist, und das ist immer Delmenhorst“ –mit diesen Zeilen besang Sven Regener mit seiner Band Element of Crime im Jahr 2005 die niedersächsische Kleinstadt – und landete einen Hit. „Delmenhorst“ brachte der Band die erste Platzierung in den deutschen Single-Charts ein: Vier Wochen lang rangierte die Single unter den Top 100. Es war wohl das erste und einzige Mal, das jemand der 80.000-Einwohner-Stadt bei Bremen einen eigenen Song widmete. Und so unattraktiv kann der Ort gar nicht sein, denn nicht umsonst singt Regener am Ende des Liedes: „Ich bin jetzt da, wo ich mich haben will, und das ist immer Delmenhorst.“

Delmenhorst ist offen für Neues
Zum Abschluss ein Besuch beim Oberbürgermeister. Axel Jahnz ist erst seit Kurzem im Amt. Er hat seine eigene Theorie dazu, warum niemand nach Delmenhorst kommen will. Die Studie gehe von falschen Annahmen aus. Sie benachteilige Orte, die wie Delmenhorst vor allem für Touristen aus der nahen Gegend interessant sind, die nicht übernachten.

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Axel Jahnz, Oberbürgermeister von Delmenhorst, zeigt ein Ortsschild von Delmenhorst, das er von Soldaten der Bundeswehr geschenkt bekommen hat. Foto: dpa / Markus Hibbeler

Jahnz sitzt in dem schönen, alten Rathaus und blickt auf den Marktplatz. Von oben sieht man die Sonnenschirme der Cafés. Er erzählt vom Kartoffelfest, vom Weinfest und vom Stadtfest. Er erzählt, dass die Menschen gerne hier leben und die Stadt Zuzug hat. „Letztendlich ist Delmenhorst aber keine Stadt, in der man einen langen Urlaub plant“, sagt er. Aber wer weiß: Manchmal müsse man im Leben auch Glück haben. Vielleicht kommt auf einmal ein Investor mit einer verrückten Idee, die Touristen nach Delmenhorst bringt. Platz gäbe es – „und willkommen wäre der auch“. Wie langweilig kann eine Stadt sein, die offen für verrückte Ideen ist?

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