
20. März 2025, 6:47 Uhr | Lesezeit: 9 Minuten
Ein saftiger „Sunday Roast“ macht in Großbritannien die Woche perfekt: Der festliche Sonntagsbraten mit Gemüse, Kartoffeln, Soße und „Yorkies“ ist Tradition. Aber was macht den perfekten Sunday Roast aus? TRAVELBOOK-Autorin Doris Tromballa hat zwei Londoner Köchen ihre Geheimtipps entlockt. So viel sei verraten: Das Fleisch ist nicht das Wichtigste!
Es gibt keinen schöneren Sonntag in London für mich, als mich mit Freunden zum „Sunday Roast“ zu treffen und danach eine Runde am Regent’s Canal zu flanieren. Ich liebe es, Gäste zu haben und zu kochen – nur leider habe ich den Dreh beim englischen Sonntagsbraten noch immer nicht ganz raus. Deswegen habe ich vor meinem nächsten Versuch zwei Köche befragt, wie sie ihren Roast zubereiten. Was ist das Geheimnis? Die Antworten haben mich erstaunt! Und gleich danach habe ich versucht, die Tipps umzusetzen. Gelingt mir jetzt der perfekte englische Sonntagsbraten?
Übersicht
Die Geschichte des Sunday Roast
Der Sunday Roast ist ein gelebtes Kulturgut: Fast jeder Pub und jedes Restaurant bietet am Sonntag diesen Schmaus an. Im 18. Jahrhundert soll sich die Tradition etabliert haben, vor allem in der Grafschaft Yorkshire, die zu dieser Zeit durch die industrielle Revolution einen Aufschwung erlebte und ihre landwirtschaftliche Produktion erheblich steigern konnte. Angeblich kam der Braten zu seiner Beliebtheit, weil man ihn vor dem Kirchgang in den Ofen schieben konnte und er dann – pünktlich nach der Messe – fertig zum Verspeisen war. In einer Umfrage aus dem Jahr 2025 kam der Sunday Roast auf Platz zwei der Dinge, die Britinnen und Briten am meisten lieben (Platz 1: das Bacon-Sandwich, Platz 3: die Tasse Tee). Der Sonntagsbraten hat also einen festen Platz im Herzen der Menschen in Großbritannien!
Die klassischen Zutaten des Sunday Roast
Ein typischer Sunday Roast besteht aus:
- Fleisch: Traditionell wird Roastbeef serviert, aber auch Lamm, Huhn oder Schwein sind oft auf der Karte zu finden. Aber es gibt auch fleischlosen Roast, da sich in Großbritannien vegetarische und vegane Ersatzprodukte einer Erhebung zufolge immer größerer Beliebtheit erfreuen. Drei-Sterne-Koch Heston Blumenthal hat für sein Londonder Restaurant „Dinner“ eine Kreation aus Blumenkohl geschaffen.
- Yorkshire Pudding: Dieser Pudding ist kein Pudding wie wir ihn verstehen, sondern ein hohlkörperartiges, luftiges Gebäck aus Mehl, Eiern und Milch. Es wird entweder zerrissen und in die Soße getunkt oder ganz mit Soße gefüllt.
- Bratkartoffeln: Außen knusprig, innen weich – perfekt gegarte Kartoffeln sind essenziell.
- Gemüse: Geröstete Karotten, Pastinaken, grüne Bohnen oder Erbsen sorgen für Frische und Farbe.
- Soße (Gravy): Eine reichhaltige, oft aus dem Bratensaft gewonnene Soße verbindet alle Komponenten.
- Stuffing: Die Bratenfüllung ist besonders bei Geflügel ein beliebter Zusatz, meist aus Brotkrumen, Kräutern und Zwiebeln.
Das Herzstück des perfekten „Sunday Roast“
Ob Rind oder Sellerie, ob Pastinaken oder Erbsen – ich habe schon sehr viele Roast-Versionen verspeist. Was mir aufgefallen ist: Die Restaurants variieren gerne ihre Gemüsebeilagen. Blumenkohl mit Trüffel-Käse oder frittierter Grünkohl mit Pinienkernen, alles schon dagewesen. Auch das Fleisch kommt in verschiedenen Darreichungen: mal Keule, mal Roastbeef, mal in Kräuter- oder Knuspermantel verpackt. Aber wo man definitiv keine Experimente macht, sind die Kartoffeln. Vielleicht weil die Restaurants wissen: Kartoffeln gehören zu den britischen Heiligtümern, die Erwartungen sind hoch.
Die Kartoffeln müssen beim Sunday Roast genau so sein: Außen goldbraun und knusprig, innen zerfallend-weich und kochend heiß. Drei-Sterne-Koch Heston Blumenthal, der das Roast-Menü des Mandarin Oriental Hyde Park in London designte, betrachtet Kartoffeln als „das unbestrittene Herzstück“ des Sunday Roast. Und auch Peter Weeden, Chefkoch des ersten Bio-Pubs in London, des „Duke of Cambridge,“ sagt: „Man muss sich vollends dem Prozess der Kartoffel-Zubereitung verschreiben“.
Die richtige Kartoffelsorte
Schon beim Einkauf entscheidet sich, ob die Kartoffeln später den hohen Ansprüchen eines „Sunday Roast“ genügen können: Weeden empfiehlt „die mehligsten Kartoffeln, die man bekommen kann. Und nicht zu süß“. Blumenthal nimmt die mehligen „Marie Piper“, die aber in Deutschland schwer zu bekommen sind. Hier kann man auf die Sorten „Lilly“, „Ackersegen“, „Afra“ oder „Gala“ zurückgreifen. Auch bei der Größe sollte man gut hinschauen. „Etwa so groß wie meine Faust“, sagt Weeden – Babykartoffeln oder Drillinge sind also nicht gemeint. Eher die größeren Brocken aussuchen. Kugelig, also lang wie breit, ist die ideale Form. Blumenthal mag seine Kartoffeln lieber geschält (eher großzügig, dass Ecken und Kanten entstehen), Weeden verarbeitet sie komplett, also mit Schale.
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„Da sind die meisten Nährstoffe drin und es verleiht den Kartoffeln eine natürliche, rustikale Note.“ Vor dem ersten Kochen sollte man sie gut waschen und grüne Stellen sowie eventuelle Keimansätze rausschneiden. Als Faustregel gilt: Triebe bis zu einem Zentimeter können entfernt werden; die Kartoffel ist dann noch essbar. Ob mit oder ohne Schale ist aber für den anschließenden Koch-Prozess nicht entscheidend – beides funktioniert. Hier zählt, was man selbst lieber mag. Dann werden die Kartoffeln in zwei Hälften geschnitten.
Die perfekte Roast-Kartoffel: So geht’s!
Das hat mich überrascht: Blumenthal und Weeden schmeißen beide ihre Kartoffeln ins kalte Salzwasser! Während ich immer darauf gewartet habe, bis das Wasser im Topf kocht, empfehlen die beiden Küchenprofis, mit kaltem Wasser zu beginnen, dass man dann erst zum Kochen bringt. Aber wie man zum besten Ergebnis kommt, da haben beide Chefköche unterschiedliche Methoden:
Methode von Peter Weeden
Weeden bringt das Wasser schnellstmöglich zum Kochen und lässt die Kartoffeln nur drei bis höchstens fünf Minuten drin. Dann werden sie abgeseiht. Kurz auskühlen lassen – dann werden die Kartoffeln im Topf kräftig geschüttelt. „Das sorgt für eine raue Oberfläche“, erklärt Weeden. Seine Mutter habe sogar alle Kartoffeln einzeln mit der Gabel eingeritzt, um diesen Effekt zu erreichen, erzählt er. Dann werden die Kartoffeln mit Rinderfett oder Sonnenblumenöl bestrichen. Eine ofenfeste Form wird mit ein paar Millimetern Rinderfett oder Sonnenblumenöl bedeckt, darauf werden die Kartoffeln gelegt – Schnittseite nach unten.
Das Öl in der Form muss dabei noch nicht heiß sein, meint Weeden. Bei 180 Grad (Umluft) werden die Goldstücke dann im Ofen gegart. Nach 30 Minuten heißt es: wenden und noch mal 30 Minuten weiterbacken. „Wenn man Zeit hat, kann man auch bei niedrigerer Temperatur und länger garen“, ergänzt Weeden. Ist die Zeit um, wird die Temperatur noch mal auf 190 bis 195 Grad hochgefahren, damit die knusprige Textur entsteht. Das Finish besteht aus Olivenöl, Rosmarin, Thymian und Knoblauch.
Methode von Heston Blumenthal
Blumenthal erhitzt das Kochwasser nur leicht und lässt die Kartoffeln etwa 15-20 Minuten darin simmern. Dann wird die Hitze hochgefahren und bei mittlerer Hitze weitergekocht, bis die Kartoffeln fast auseinanderfallen. Blumenthal empfiehlt, mit dem Daumen leicht auf die Kartoffel zu drücken. Wenn sie leicht nachgibt, ist es genau richtig. Dann werden sie abgeseiht und für etwa 20 Minuten in den Kühlschrank gestellt.
Wenn die Kartoffelstücke erkaltet sind, kommen sie ins Fett – idealerweise in eine Fritteuse. Bei niedriger Hitze (etwa 140 Grad) brutzeln sie darin „13 bis 14 Minuten“ (Blumenthal nimmt’s genau). Dann werden sie nochmals im Kühlschrank abgekühlt, bevor sie ein zweites Mal im heißen Fett ein paar Minuten goldgelb ausgebacken werden. Das Finish: ein paar Spritzer warmes Rinderfett mit Knoblauch, Thymian und Rosmarin, dazu Meersalz nach Belieben.
Die Kartoffel als Taktgeber
Weeden und Blumenthal betonen beide: Die Kartoffel bestimmt das Timing, wenn man einen Sunday Roast plant. „Das Fleisch kann unter einer Alufolie ruhen und den Fleischsaft wieder aufsagen, wenn es vor den Kartoffeln fertig ist. Aber die Kartoffeln müssen so heiß auf den Tisch, wie es nur irgendwie geht“, erklärt Weeden. Auch Blumenthal lässt sich nicht zuletzt deswegen bis zur letzten Minute mit dem finalen Frittiervorgang Zeit. Auch wichtig: „Du musst Deinen Ofen kennen“, meint Weeden. Manchmal brauche es ein paar Versuche, bis man weiß, welche Hitze genau passt. Nicht frustrieren lassen!
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Der Selbstversuch nach der Weeden-Methode
Beflügelt von meinem neuen Wissen habe ich mich gleich selbst an den perfekten Ofenkartoffeln für meinen nächsten Sunday Roast versucht. Erst mal ohne Gäste – man weiß ja nie. Da ich keine Fritteuse besitze und mir große Mengen heißes Fett auf dem Ofen etwas unheimlich sind, habe ich mich dazu entschieden, Peter Weedens Methode auszuprobieren. Tatsächlich fand ich Blumenthals Lieblingssorte „Marie Piper“ in meinem Londoner Supermarkt und suchte nach etwa faustgroßen Exemplaren. Nachdem es acht in die Auswahl geschafft haben, ging es nach dem Waschgang und dem Teilen ab ins kalte Salzwasser. Etwas nervös wartete ich, bis das Wasser endlich kochte – dann stoppte ich die Zeit. Fünf Minuten! Abseihen, warten, jetzt kam der ungewöhnliche Part: Kartoffeln schütteln! Ich war etwas unsicher, ob die Kartoffeln das aushalten würden oder ob ich ungewollt Kartoffelbrei herstellen würde – aber nein!

Genau wie Peter gesagt hatte: Die Kartoffeln wurden wunderbar rau, behielten aber ihre Form. Wie die Jahresringe eines Baumes hatten jetzt auch meine Kartoffeln einen hellgelben Ring außen, innen waren sie noch hart und dunkelgelb. Die nächste Stunde verbrachten die Knollen dann planmäßig im Ofen, während ich immer etwas besorgt war, ob die Garzeit nicht doch etwas lang sei. Werden die nicht schwarz irgendwann? Aber auch nachdem ich ihnen in den letzten 20 Minuten bei 195 Grad so richtig einheizte, passierte nichts Schlimmes – im Gegenteil. Was da aus meinem Ofen kam, war fast so, wie ich es von Peter aus dem „Duke“ kenne: Goldbraun, außen knusprig, innen butterweich, mit einem grandiosen Aroma. Dazu noch ein paar Spritzer Olivenöl und eine Handvoll Kräuter: ein Gedicht.

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Das Wichtigste am Sunday Roast ist nicht das Essen
Ich bin sehr dankbar dafür, dass Heston Blumenthal und Peter Weeden ihre Kartoffel-Geheimnisse mit mir geteilt haben. Jetzt fühle ich fit: Die Gäste können kommen! Doch eines möchte mir Peter Weeden noch sagen: „Das Wichtigste am Sunday Roast ist nicht das Essen“, meint er. „Es ist, dass Ihr Euch alle wohlfühlt, dass es ein schöner Tag für alle ist.“ Kochen und Gäste bewirten sei in den letzten Jahren für viele zu einer anstrengenden Herausforderung geworden. „Man will perfekt sein, alles soll makellos sein, aber darum geht es nicht. Sondern, dass man entspannt und fröhlich gemeinsam genießt.“ Und es scheint mir: Eigentlich ist das das Geheimnis eines perfekten Sunday Roast.