16. August 2018, 15:45 Uhr | Lesezeit: 6 Minuten
Es gibt wenige Restaurants auf der Welt, die Kritiker richtig gut finden. Eines davon gehört dem Deutschen Tim Raue. In Berlin bietet er seine Sterneküche an, mitten in der Stadt, mittags für nur knapp 70 Euro. Doch lohnt sich ein Besuch auch für Menschen, die gar keine Ahnung davon haben? TRAVELBOOK-Redakteurin Larissa Königs hat es getestet.
Heute werde ich bei einem der besten Restaurants der Welt essen. Das Stammlokal des Berliners Tim Raue liegt in Kreuzberg, nur fünf Minuten Fußweg von meiner Arbeitsstelle entfernt. Gesehen habe ich es noch nie, obwohl ich jeden Tag an der vielbefahrenen Straße Richtung Checkpoint Charlie entlanglaufe. Tatsächlich liegt es ziemlich versteckt im Hinterhof, nur ein kleines Schild weist den Weg zum Eingang. Auch im Innenhof sieht es noch nicht nach Sterne-Restaurant aus: Alles ist hier sehr urban und bodenständig. Lediglich eine Tafel, die auf den 37. Platz in der „World’s 50 Best“-Liste hinweist, lässt erahnen, welche Luxusküche mich erwartet.
Charmanter Service und feiner Wein
Meine Begleitung und ich werden sehr freundlich begrüßt, ich bin darüber überrascht. Zum einen sieht man mir an, dass ich, im Gegensatz zu den elitären Polohemd-oder-Prada-Trägern, eigentlich nicht das nötige Kleingeld für einen Besuch bei Tim Raue habe.
Zum anderen habe ich direkt die Geschichten über den Starkoch im Kopf: Er ist Perfektionist und Workaholic und verlangt das auch von seinen Mitarbeitern, in seiner Küche soll es auch laut vorgehen. Er soll kein einfacher Chef sein. Dennoch merke ich von schlechter Stimmung in seinem Restaurant nichts, der Service ist außerordentlich zuvorkommend.
Obwohl ich ganz offensichtlich keine Ahnung von den hochpreisigen Weinen habe, nimmt sich die Kellnerin viel Zeit für die Beratung und bringt mir schlussendlich einen feinperligen Weißwein von der Mosel, der selbst für meinen ungeübten Gaumen lecker ist.
Noch bevor ich mich für mein Menü entschieden habe, werden mir schon mehrere Amuse-Gueules vorgesetzt. Ich verliebe mich spontan in die kleinen gewürzten Nüsse, finde allerdings die Sauce zum Salat zu sauer – ein Eindruck, der sich leider durch das gesamte Menü ziehen wird, da ich mich in meiner Unkenntnis bei allen vier Gängen für das jeweilige „Signature Dish“ des Hauses entscheide und alle Gerichte vergleichsweise viel Säure enthalten.
Das Menü ist … sauer
Mein Menü: Als Vorspeise gibt es Pomelo (eine Zitrusfrucht), Kokosnuss und Roscott (eine französische Zwiebel), als Zwischengang Ikarimi Lachs, Tomate und Sternanis, zum Hauptgang Saté Huhn, Mango und Erdnuss und zum Nachtisch einen Yuzu Cheesecake mit Caramel Beurre Salé. Alle Gerichte sind asiatisch inspiriert, wie auch Tim Raues Küche im Allgemeinen.
Als der Vorspeisen-Pomelo kommt, werden gleich alle meine Klischees zur Sterneküche bestätigt. Das Essen ist fein getürmt, sehr hübsch anzusehen – und in drei Bissen weg. Das ist keine Übertreibung, sondern wirklich so. Die in der Beschreibung erwähnte Roscott-Zwiebel besteht beim Gericht aus zwei schmalen Ringen. That’s it. Irgendetwas Saures und etwas Scharfes, ich kann nicht identifizieren was, verhageln mir dann auch leider etwas den Genuss. Die Soße hingegen ist sehr lecker. Na gut, mal abwarten, wie es weitergeht.
Der Zwischengang hingegen begeistert mich restlos: Der Lachs ist mit deutlichem Abstand der leckerste, den ich jemals gegessen habe. Das Fleisch ist so zart, dass es im Mund fast zerfällt, der Geschmack ist hervorragend, es ist ein Genuss. Auch die – zugegebenermaßen spärlichen – drei Mini-Tomaten sind köstlich. Der Gang meiner Begleitung, eine Brühe mit Jakobsmuscheln, ist ebenfalls ein Volltreffer. Ich freue mich auf die Hauptspeise.
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Hähnchen auf Holz
Beim Hauptgang werden abermals alle Klischees bestätigt: Die drei Hähnchenstücke werden auf einem kleinen Ast aneinandergereiht, die „Beilagen“ sind drei kleine Haufen mit je 5 noch winzigeren Häufchen. Eines dieser Mini-Häufchen ist, wie ich im Nachhinein vom Kellner erfahre, Koriander-Mus. Ich hasse Koriander und bin dementsprechend unbeeindruckt. Fairerweise schmeckt zumindest das Hühnchen tatsächlich grandios.
Allerdings kommt hier wieder ein wichtiger Punkt ins Spiel: Fast alle Gerichte beinhalten Fisch oder Fleisch. Als Flexitarierin macht mir das zwar nichts aus, dennoch habe ich nach dem Essen ein schlechtes Gewissen. Wie viele tierische Produkte sonst noch verwendet werden, kann ich nur ahnen, glaube aber, dass ein Besuch für Veganer zu einer ziemlich kargen Veranstaltung werden würde. Das liegt auch daran, dass Tim Raue in seinem Stammlokal fast komplett auf Kohlenhydrate verzichtet.
Apropos Veganer: Die wären beim Anblick des Desserts wohl verstört, ich hingegen finde den Käsekuchen in Form eines Fisches witzig. Außerdem schmecken die knackige Schokolade, die wahnsinnig fluffige Kuchen-Mousse und das zartschmelzende salzige Karamell auch noch traumhaft. Nur die um den (Mini-)Kuchen drapierten sauren Kleckse hätte man sich für meinen Geschmack sparen können.
Zum Ausklang gibt es noch einen Espresso, mit dem ich kurz den Schock über die Rechnung herunterspülen muss. Mit 70 Euro für das Essen und noch etwa 20 Euro für Getränke pro Person hatte ich gerechnet. Stattdessen schlagen die Getränke jedoch mit 38 Euro zu Buche, mit Trinkgeld ende ich bei satten 120 Euro für mein Mittagessen. Ein ordentlicher Preis, zumal ich zwei Stunden später schon wieder Hunger bekomme.
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Das Fazit: Lohnt es sich?
Meine Begleitung drückte es ganz treffend so aus: „Manche gehen zu Beyoncé, und manche essen eben Sterneküche.“ Tatsächlich kann man einen Besuch bei Tim Raue nicht auf das Essen reduzieren. Es geht vielmehr um die Stimmung, um das Umsorgtwerden von den Kellnern, die unglaubliche Aufmerksamkeit des gesamten Personals und den Hauch von Luxus, wenn man zum Beispiel auf der Toilette ein eigenes kleines Handtuch benutzt.
Ein Essen bei Tim Raue macht allen Spaß, die schon immer von der High-Society träumten, und natürlich den heimlichen Gourmets. Eines sollte man aber vorher wissen: Lange satt wird man hier eher nicht.