19. Februar 2024, 13:11 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mehr als 200 verschiedene Nudelformen gibt es in Italien, jede Region hat ihre ganz eigenen Kreationen, ob kurz, lang, flach gedreht oder mit Loch drin. Keine andere Pasta aber ist so kompliziert herzustellen wie die in Sardinien erfundenen „Su Filindeu“, zu Deutsch: „Die Fäden Gottes“. Leider sind die Su Filindeu jedoch vom Aussterben bedroht, denn kaum jemand auf Sardinien beherrscht noch die Kunst ihrer Zubereitung.
Nur eine Handvoll Frauen in der sardischen Provinz Nuoro wissen, wie man die Götterfäden herstellt. Wobei „wissen“ hier eigentlich das falsche Wort ist, denn bei der Zubereitung der perfekten Su Filindeu geht es nicht etwa um geheime oder schwer erhältliche Zutaten. Nein, es ist die Art und Weise, wie diese Pasta hergestellt wird, die selbst den britischen Star-Koch Jamie Oliver im Jahr 2016 bei einem Selbstversuch verzweifeln ließ.
Eine der wenigen Frauen – gerade mal drei sollen es insgesamt sein –, die die 300 Jahre alte Technik der Su-Filindeu-Herstellung noch beherrschen, ist dem italienischen Kulinarik-Portal Dissapore.com zufolge die Sardin Paola Abraini. Paola hat von ihrer Schwiegermutter gelernt, wie man die Nudeln genauso hinbekommt, wie sie sein sollen, nämlich extrem filigran.
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So werden die Su Filindeu hergestellt
Die Basis für die Su Filindeu bildet laut Dissapore.com ein einfacher Teig aus Grießmehl, Wasser und Salz, der mit Sorgfalt und Geduld geknetet wird. Darüber, wie lange genau man den Teig kneten muss, gibt es keine Angaben. „Nur die Erfahrung ermöglicht es uns, den genauen Moment zu verstehen, in dem die Masse aus Mehl und Wasser bereit ist, in dünne Fäden umgewandelt zu werden“, zitiert das Kulinarik-Portal Paola Abraini. Die Hände müssten den exakten Moment, in dem der Teig fertig ist, einfach „erspüren“.
An diesem Punkt beginnt die aufwendigste und schwierigste Phase der Nudel-Herstellung: Ausgehend von der Form eines langgezogenen Zylinders wird der Teig zwischen den Finger beider Hände immer wieder langgezogen und dann in sich gefaltet, wieder langgezogen und erneut gefaltet, wobei er immer weiter in einzelne Stränge zerteilt wird. Mit jedem Falten und Ziehen verdoppeln sich die Teigstränge in ihrer Anzahl und werden immer dünner. Nachdem der Teig achtmal gefaltet und gezogen wurde, bleiben Hunderte hauchdünne Fäden übrig.
Dieses Video auf Youtube zeigt, wie schnell und geschickt Paola Abaraini aus einem Stück Teig die hauchdünnen Fäden zaubert:
Die langen filigranen Nudeln werden anschließend in drei Schichten über Kreuz auf einem runden Korb gespannt, sodass sie eine Art Wabe bilden. Danach kommen sie zum Trocknen in die Sonne und härten aus. Die Nudelnetze werden am Ende von Hand zerbrochen und in viele Stücke zerkleinert. Serviert werden sie traditionellerweise zusammen mit einer warmen Schafsbrühe, die mit Pecorino-Käse gewürzt ist.
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Su Filindeu gibt es nur zweimal im Jahr
Tatsächlich werden die Götterfäden auf Sardinien nur zweimal im Jahr serviert, einmal im Oktober und einmal im Mai, wenn auf Sardinien ein großes Pilgerfest stattfindet. Jeder Gläubige bekommt dann zur Stärkung einen Teller mit der Su-Filindeu-Suppe. Im Vorfeld der Feste arbeitet Paola jeweils einen Monat lang durch, bereitet Dutzende Kilo der Fadennudeln zu.
Su Filindeu sind vom Aussterben bedroht
So beliebt die sardinischen Nudeln auch sind – es besteht eine reelle Gefahr, dass es sie irgendwann nicht mehr geben wird. Paolas Töchter etwa wollen nicht lernen, wie man sie macht, zu kompliziert und aufwendig ist die Technik. Und die restlichen Frauen, die das Handwerk noch beherrschen, sind alle schon recht betagt.
Deshalb hat die internationale Organisation Slow Food, die das Erbe der landestypischen Küche bewahren will, Su Filindeu im Rahmen ihres Programmes „Arche des Geschmacks“ als besonders gefährdet deklariert. Von den dort gelisteten mehr als 5000 Produkten und Herstellungslisten aus allen Teilen der Welt, die vom Aussterben bedroht sind, gibt es keine andere Nudelart, die nur so wenige Menschen herzustellen wissen, wie Su Filindeu. Das macht sie zur seltensten Pasta der Welt.
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Paola will ihre Pastakunst weitergeben
Eigentlich gibt es ein ungeschriebenes Gesetz in Nuoro, das Geheimnis der Herstellung der Su Filindeu genauestens zu hüten und nur innerhalb der Familie weiterzugeben. Als sich jedoch niemand mehr fand, der die hohe Kunst lernen wollte, beschloss Paola laut Dissapore.com, mit diesem Gesetz zu brechen und anderen Landsleuten die Pastatechnik beizubringen. „Aber es lief nicht gut“, sagt Paola. Nachdem ihr das Geld für die Eröffnung einer kleinen Pasta-Schule verweigert worden war, begann sie, die Schüler direkt bei sich zu Hause zu unterrichten.
Doch noch hat sich niemand gefunden, der die alte Tradition ernsthaft fortsetzen kann oder möchte, vielen ist der Herstellungsprozess einfach zu beschwerlich. Und bislang sind alle Versuche gescheitert, Su Filindeu maschinell herzustellen. Jamie Oliver, der vor vier Jahren nach Sardinien reiste und unter Paolas Anleitung die seltene Pasta erfolglos nachzumachen versuchte, fasste es so zusammen: „Ich mache seit mehr als 20 Jahren Pasta, aber so was wie das habe ich noch nie gesehen!“