24. Juli 2022, 9:43 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Salzig, stark und typisch Down Under: Vegemite wird 100. Heute ist der eigentümliche Aufstrich Teil der australischen Identität – dabei ist es fast ein Wunder, dass es die Paste überhaupt noch gibt.
Ein Brotaufstrich schafft es nicht alle Tage in den Songtext eines Welthits. Vegemite ist dies gelungen. „He just smiled and gave me a Vegemite sandwich“, heißt es in der Australien-Hymne „Down Under“ der Band Men At Work.
Das Lied ist eine Liebeserklärung an den fünften Kontinent und eines seiner kultigsten Lebensmittel. Denn die meisten „Aussies“ sind ganz vernarrt in die schwarzbraune Paste, die in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag feiert. Andernorts sorgt die Begeisterung dabei eher für Ratlosigkeit.
Menschen in Australien lieben Vegemite
Malzig, salzig und auch ein bisschen bitter liegt Vegemite mit seiner dicken Textur im Mund. Die Spezialität gehört zum roten Kontinent wie Kängurus, das Outback oder Kylie Minogue. „Die Menschen verbindet eine Liebesaffäre mit Vegemite – und selbst wenn man es nicht mag, liebt man es trotzdem!“, sagt Jamie Callister der Deutschen Presse-Agentur.
Sein Großvater, Cyril Percy Callister, hatte Vegemite 1922 entwickelt. Der 62-Jährige hat schon vor zehn Jahren ein Buch über seinen Opa und dessen Erfindung herausgebracht: „The Man Who Invented Vegemite: The True Story Behind an Australian Icon“.
Dabei war der Anfang nicht leicht: „Als es das erste Mal vom Band lief, war es ein absoluter Flop. Selbst der Chefverkäufer konnte den Geruch nicht ertragen, geschweige denn den Geschmack“, sagt Jamie Callister. Vielen Nicht-Australiern, die Vegemite zum ersten Mal probieren, geht es ähnlich. Mit einer Ausnahme: Die Briten sind ebenso stolz auf ihren Vegemite-Vorgänger „Marmite“. Beide Aufstriche sind Bierhefeextrakte und schmecken ähnlich.
Hier probiert TRAVELBOOK-Autorin Sonja zum ersten Mal Marmite
Die Australier haben ihre Liebe zu dem Brotaufstrich, der heute mit dem Slogan „Tastes like Australia“ beworben wird, erst langsam entdeckt. Als Cyril Callister 1922 Vegemite für die Fred Walker Company entwickelte, war er anschließend auch an einem anderen, damals revolutionärem Produkt beteiligt: Schmelzkäse. „Während Vegemite vor sich hin dümpelte, wurde der Käse immer beliebter – und so bekam Vegemite einen Fuß in die Tür. Andernfalls wäre es wahrscheinlich untergegangen“, sagt der Enkel.
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Muss nicht gekühlt werden
Ein Marketing-Trick rettete schließlich den Brotaufstrich: Die Fred Walker Company gab zu jedem verkauften Schmelzkäse ein kleines Glas Vegemite gratis dazu. Und da die 1930er Jahre auch in Australien von der Weltwirtschaftskrise geprägt waren, lebte man sparsam und verschwendete keine Lebensmittel. Ein weiterer Vorteil: Weder Schmelzkäse noch Vegemite müssen gekühlt werden – und Kühlschränke setzten sich „down under“ erst in den 1950er Jahren durch.
Das genaue Rezept von Vegemite ist ein gut gehütetes Geheimnis. Sicher ist: Es wird aus Hefe hergestellt, die nach dem Bierbrauen übrig bleibt. Daneben sind Malz, Salz, Gemüseextrakt und besonders viele B-Vitamine enthalten, die nicht nur für das Gehirn gut sind, sondern auch Müdigkeit, Stress und das Risiko von Herzerkrankungen verringern. Auch wer schwanger ist oder werden will, sollte beherzt zu dem Aufstrich greifen: Das Vitamin B3 trägt zu einer gesunden Entwicklung des Embryos bei und reduziert nachweislich Fehlgeburten und Geburtsfehler.
Ebendiese gesundheitlichen Aspekte sorgten dafür, dass Vegemite 1939 offiziell von der British Medical Association und anderen Medizinern empfohlen wurde. Auch die australische Armee setzte im Zweiten Weltkrieg auf den Aufstrich und kaufte ihn in so großen Mengen, dass in den Supermärkten zeitweise nur noch ein Glas pro Kopf verkauft werden konnte.
Vegemites Weg vom streng riechenden Flop zum geliebten Produkt war geschafft: 1942, also 20 Jahre nach der Entwicklung, war das Produkt in den meisten australischen Speisekammern zu finden. Eine erfolgreiche Werbekampagne brachte in den 1950ern den Jingle „Happy little Vegemites“ hervor, der das Produkt noch populärer macht. Manche nennen das Lied Australiens zweite inoffizielle Nationalhymne.
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Brotaufstrich kommt mit in den Urlaub
Heute nehmen Australier ihren geliebten Brotaufstrich sogar mit in den Urlaub. Auch Politiker haben ihn gern im Gepäck, so etwa der damalige australische Außenminister Kevin Rudd 2011 bei einer Reise in die USA. Am Flughafen musste er die amerikanischen Sicherheitsbeamten dann überzeugen, dass die dunkle Paste kein Gefahrengut darstellt.
Jeder habe eine eigene „Vegemite-Geschichte“, sagt Callister. Und wie wird die Paste gegessen? Er selbst setze auf eine Scheibe frisches Sauerteigbrot ganz schlicht mit Butter und dem Aufstrich. Aber im Internet gibt es auch Rezepte für Vegemite-Käsekuchen oder Schweinebraten mit Vegemite-Kruste. In einigen Restaurants werden sogar VFried Chicken, Eis und Martinis mit Vegemite angeboten.
Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum hat in Cyril Callisters Geburtsort Beaufort ein kleines Pop-Up-Museum geöffnet. Hier können Besucher in die Geschichte von Vegemite und das Leben des Erfinders eintauchen. „Das Interesse ist groß“, sagte Liza Robinson der Deutschen Presse-Agentur. Sie ist die leitende Sekretärin der Cyril Callister Stiftung, die 2019 von dessen Enkel gegründet wurde.
„Wenn die Besucher ins Museum kommen, erzählen sie ihre eigenen Vegemite-Geschichten“, sagt Liza Robinson. „Es geht dann entweder um die Oma, die ihnen Vegemite als Kind gegeben hat, oder um die Eltern und die Pausenbrote. Und sie sind so leidenschaftlich dabei! Menschen sprechen über kein anderes Lebensmittel so wie über Vegemite.“
Um dem Aufstrich in Australien ein festes Zuhause zu geben, will die Stiftung ein permanentes Museum mit einem Café, das Vegemite-Kreationen anbietet, einrichten – einen Versammlungsort für alle Fans des Hefextrakts. Jamie Callister bringt es auf den Punkt: „Vegemite ist nicht nur meine Geschichte, es ist unsere Geschichte.“