6. Februar 2022, 6:48 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
„Cancel Culture“ in den Alpen? Historische Bergnamen belegen, dass das Abändern missliebiger Bezeichnungen keine neue Erfindung ist. Und die Zugspitze war einst männlich – ein Fall von Gendering im 19. Jahrhundert.
Schmucke Dörfer, blühende Bergwiesen, hohe Gipfel – das Allgäu ist unbestritten eine der lieblichsten Regionen Deutschlands. Weniger idyllisch sind die Namen, mit denen die Bauern im Allgäu einst einige ihrer schönen Berge bezeichneten: Bscheißer, Hundsarsch, Metzenarsch.
Doch auf heutigen Landkarten finden sich diese Bezeichnungen nicht mehr. Es handelt sich um frühe Fälle der Bereinigung von als anstößig empfundenen Namen. Der Bscheißer liegt wenige Kilometer von Bad Hindelang entfernt, über den Gipfel verläuft die Grenze zu Österreich. In offiziellen Veröffentlichungen ist der Berg jedoch nur als „Bschießer“ zu finden. Die korrekte Bezeichnung findet sich lediglich auf den örtlichen Wanderwegweisern. Was ist der Grund?
Die Namen der Berge im Allgäu und ihre Zensur
„Diese Form ist natürlich ganz derb, und Bschießer ist eher eine euphemistische Lautveränderung“, sagt Wolf Armin von Reitzenstein, Spezialist für Bergnamen und zweiter Vorsitzender des Verbands für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern. „Diese amtliche Form taucht erst relativ spät auf, noch 1844 heißt der Berg Scheißer oder Bscheißer.“
Ein Indiz, wie schwer einst das Leben der Bergbauern war: „Das ist durchaus wörtlich zu nehmen für Berge, die gefährlich sind, da sie Steine herunterlassen“, sagt Reitzenstein. „Es gibt da auch die Namen Schüsser, Hochscheißer und Fürschießer. Damit ist besagt, dass Lawinen oder Geröll herabfallen können, was natürlich für die Almwirtschaft gefährlich sein kann.“
Behördlich zensiert wurden demnach auch Hundsarsch und Metzenarsch. Ersterer heißt seit über hundert Jahren „Vilser Kegel“, letzterer wurde zur „Kellespitze“. Beide Gipfel sind unweit des Bscheißer/Bschießer auf Tiroler Territorium gelegen, aber noch zu den Allgäuer Alpen gehörig.
Die neuen Namen der Berge im Allgäu
„Metze“ ist eine alte Bezeichnung für Prostituierte. „Das Wort Metze geht letztlich auf Maid zurück“, sagt Reitzenstein. „Es muss also nicht eine Hure sein, der Name des Berges ist aber sicher besonders negativ gemeint.“ Bayerns bergbegeisterte Königin Marie – die Mutter Ludwigs II. – soll einst ihren Führer nach dem Namen des auffälligen Felsgipfels gefragt haben. Dieser erfand laut Überlieferung spontan den neuen Namen „Kellespitze“, weil er „Metzenarsch“ für unzumutbar hielt.
Derartige Indizien, dass die Namen der Berge im Zuge der Verkehrsanbindung einst abgeschiedener Täler und des allmählich einsetzenden Fremdenverkehrs geändert beziehungsweise geschönt wurden, gibt es nicht nur im Allgäu.
So war Österreichs höchster Gipfel, der Großglockner, ursprünglich bloß ein bescheidener Glockner. Und der Großvenediger trug bis Ende des 18. Jahrhunderts den weniger beeindruckenden Namen Stützerkopf. Allerdings haben viele Berge ihre skurrilen Namen bis heute behalten, vom „Hundstod“ in den Berchtesgadener Alpen bis zum „Saurüssel“, einer unbedeutenden Erhebung im Mangfallgebirge.
Gendern im 19. Jahrhundert
„Diese Namen sind nicht sehr schön, rühren aber aus den Vorstellungen der örtlichen Bevölkerung her“, sagt Reitzenstein. „Derbe Flurnamen kommen aber auch im Flachland durchaus vor.“ Beispiele wären Galgenbühel oder Galgenmühle.
Ein Beispiel für so etwas wie frühes Gendering – also die Einbeziehung des Geschlechteraspekts – liefert Deutschlands höchster Gipfel: Die Zugspitze war ursprünglich der Zugspitz. Grund war – anders als heute – die Sprach- und nicht die Geschlechterpolitik, da die Namen der Berge dem hochdeutschen Sprachgebrauch angepasst wurden. „Der Spitz, in Bayerisch mit langem i gesprochen, ist männlich“, sagt Reitzenstein. „Die Bergnamen mit „Spitze“ sind erst später im 19. Jahrhundert verweiblicht worden.“
Am Beispiel der Zugspitze lässt sich aber auch heute noch die ursprünglich männliche Form erkennen. „Es gibt den Zugspitzgipfel und die Zugspitzbahn, also nicht den Zugspitzengipfel und die Zugspitzenbahn“, sagt Reitzenstein.
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Marketing-Kniff am Wank auf der Zugspitze
Heutzutage liefert die Zugspitzbahn allerdings auch das Gegenbeispiel für die bewusste Verdrehung eines harmlosen Bergnamens ins Anzügliche. „Wank mal wieder“, wirbt das Unternehmen für seine Seilbahn auf den Gipfel des gleichnamigen Berges in Garmisch-Partenkirchen: „Höhepunkt auf 1780 Metern“. Der Wank ist wegen seines Panoramablicks auf die Zugspitze ein beliebtes Ausflugsziel.
Eigentlich bedeutet Wank „Hang“, daher gibt es auch mehrere Orte dieses Namens in den Alpen. Anzüglich wird es auf Englisch, denn „to wank“ bedeutet „wichsen“. Kein Grund zum Schämen, dachten sich die Marketingleute in Garmisch-Partenkirchen. „In Garmisch sind ja viele Amerikaner, die sind auf dem Wank immer schier zusammengebrochen vor Lachen“, sagt Klaus Schanda, Marketingchef der Zugspitzbahnen. „Wir wollten den Berg verjüngen und das Wortspiel und die Doppeldeutigkeit nicht ungenutzt lassen.“
Der zuständige Werber Nic Nagel und Marketingmann Schanda sind von der Wirksamkeit der Kampagne überzeugt: „Die Amis finden das witzig, wir bekommen positive Reaktionen auf die Aktion. Nur wenige fragen: „Leute wisst ihr eigentlich, was das bedeutet, das könnt ihr doch nicht machen.“