20. November 2023, 13:27 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Der Gongga Shan in der chinesischen Provinz Sichuan, auch bekannt als Minya Konka, ist ein Berg von außergewöhnlicher Schönheit. Tibetischen Buddhisten gilt er sogar als heiliger Ort. Vor fast 100 Jahren sorgte der Felsriese für skurrile Schlagzeilen, nachdem ein Botaniker ihn irrtümlicherweise zum höchsten Gipfel der Welt erklärt hatte. Bis heute hält er aber einen anderen Superlativ – als einer der tödlichsten Berge überhaupt.
In der chinesischen Provinz Sichuan erhebt sich als Teil der Daxue Shan-Kette ein Bergriese aus Stein und Eis, der die Welt der Alpinisten seit fast 100 Jahren in Atem hält. Der Gongga Shan, der den einheimischen Buddhisten als heilig gilt, war für eine kurze Zeit sogar der höchste Berg der Welt. Eine zweifelhafte Ehre, die auf dem Messfehler eines übereifrigen Entdeckers beruhte. Jedoch hält das auch als Minya Konka bekannte Massiv dennoch bis heute einen anderen Superlativ. Als einer der tödlichsten Gipfel überhaupt.
Es ist das Jahr 1929, als der österreichisch-amerikanische Botaniker Joseph Francis Rock laut Neuer Zürcher Zeitung im Zuge einer Reise in die chinesische Provinz Sichuan schier Unglaubliches nach Washington telegrafiert. Er will dort mit dem Gongga Shan nicht weniger als den höchsten Berg der Welt entdeckt haben. 9200 Meter hätten seine Messungen ergeben, womit er den Mount Everest bei Weitem in den Schatten stellen würde. Die Geschichte von der Entdeckung macht auch unter anderen Europäern in China die Runde, bald ist sogar von einem Fabelwert von möglichen 10.000 Metern Höhe die Rede.
Die Entzauberung des Riesen
Rocks Angaben erregen aber bei der National Geographic Society von Anfang an Misstrauen, und auch seine Forscherkollegen sind skeptisch. Und nur ein Jahr später ist dann der Mythos tatsächlich bereits wieder entzaubert. Denn bereits im Juni 1930 bricht eine Schweizer Expedition unter der Leitung des Geologen Arnold Heim und des Vermessungsingenieurs und Kartografen Eduard Imhof auf, um die tatsächliche Höhe des Gongga Shan zu bestimmen. Soviel sei vorab bereits verraten: Sie werden sie in diesem Zuge erheblich nach unten korrigieren.
Nach langen beschwerlichen Monaten der Reise durch damals noch völlig unwegsames Gelände erreichen sie am 15. September 1930 das Bergkloster Konka Gomba zu Füßen des Gongga Shan. Wochenlang müssen sie nun wiederum hier ausharren, bis sich endlich die Wolken um den Giganten lichten, und er endlich neu vermessen werden kann. Mittels eines damals neuen Foto-Theodoliten bestimmen sie nun seine tatsächliche Größe, wie Imholz in seinen Tagebüchern notiert: „Meine Messungen ergaben für den Minya Konka die erstaunliche Höhe von 7590 m. Damit steht fest, dass er außerhalb des Himalaja und des Karakorum alle Berge der Erde überragt.“
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Annäherung an die Wahrheit
Die Legende um den neuen höchsten Berg der Welt war damit Geschichte. Wie die ETH Zürich berichtet, gab Rock selbst in der Oktoberausgabe von National Geographic des Jahres 1930 nun die neue Höhe „seines“ Gongga Shan mit 7800 Metern an. Das Problem: Das politisch damals höchst instabile China weigerte sich als Geldgeber der Schweizer Expedition, eine offizielle Karte zu den Ergebnissen zu veröffentlichen. So hielten sich auch nach der Neuvermessung hartnäckig die Gerüchte um die wirkliche Höhe des heiligen Berges.
Seiner wahren Größe, nämlich 7556 Meter, näherte sich erst eine amerikanische Expedition, wie der American Alpine Club berichtet. Ihr gelang die Erstbesteigung im Jahre 1932, woraufhin die Abenteurer dem Gongga Shan 24.891 Fuß zumaßen, umgerechnet also 7586 Meter. Die Abweichung von gerade einmal 30 Metern ist für damalige Verhältnisse eine beachtliche Genauigkeit. Die Gruppe um Jack Young, Terris Moore, Arthur Emmons und Richard Burdsall war es dann auch, die als erste Menschen überhaupt auf dem Gipfel des Riesen standen.
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Tödlicher als der Mount Everest
Eine Leistung, die bis heute laut der Gesellschaft der Sichuan Mountain Guide seitdem insgesamt nur 24 Menschen gelungen ist. Denn der Gongga Shan gilt als einer der am schwersten zu besteigenden Berge überhaupt. Demnach ist der Gipfelsturm sogar schwieriger als beim Mount Everest, dem mit 8849 Metern tatsächlich höchsten Berg der Welt. Das zeigt sich auch und vor allem in der schockierenden Todesrate, die der Riese aufweist. Sie beträgt alarmierende 64,8 Prozent. Heißt im Klartext: Beinahe jeder Zweite, der den Aufstieg wagte, bezahlte das Abenteuer mit seinem Leben. Damit liegt seine Sterblichkeitsrate höher als die des Everest und aller anderen Achttausender.
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Den Buddhisten gilt der Gongga Shan dennoch als heilig, wie der Sender Buddhist Channel erklärt. Den Mönchen in dem heute noch existierenden Konka Gomba-Kloster gilt er als Inkarnation eines mächtigen Berggeistes bzw. der Gottheit Shenrezig, die der Schutzpatron von Tibet ist. Der Dalai Lama gilt als ein menschliches Abbild von ihm. Laut dem Glauben sei eine Nacht auf dem Berg gleichzusetzen mit zehn Jahren Meditation und Gebet. Das rituelle Verbrennen von Wacholder zu seinen Ehren sei wie tausende Gebete.
Laut Sichuan Mountain Guide liegt der letzte Versuch, den Gongga Shan zu besteigen, mittlerweile 10 Jahre zurück. 2013 versuchte eine spanische Expedition, ihn zu erklimmen. Über den Ausgang dieses Wagnisses konnte TRAVELBOOK leider auch auf spanischsprachigen Medien keine gesicherten Informationen erhalten. Und so bleibt der östlichste aller Siebentausender-Gipfel weiterhin, was er ist. Ein Mythos, ein Traum von besonders ambitionierten Alpinisten, ein heiliger Ort für die Buddhisten. Und jener Berg, der einmal für ein Jahr lang der höchste der Welt war.