2. August 2018, 11:38 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Mitten im Pazifik, etwa 1000 Kilometer vom mexikanischen Festland entfernt, liegt das kleine Atoll Clipperton Island. Vier Nationen lieferten sich in den vergangenen Jahrhunderten erbitterte Schlachten um die Insel, die heute als französisches Überseegebiet gilt. Ein besonders düsteres Kapitel in der Geschichte von Clipperton Island ist die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Alles begann damit, dass man in den Wirren der mexikanischen Revolution die Einwohner auf der abgeschiedenen Insel schlicht vergaß …
Palmen, weißer Sandstrand, türkisblaues Meer und ein vorgelagertes Korallenriff: Clipperton Island bringt, jedenfalls auf den ersten Blick, eigentlich alles mit, was eine Trauminsel so ausmacht. Dennoch ist das kreisrunde Atoll im Pazifik seit mehr als 100 Jahren unbewohnt.
Der Hauptgrund dafür ist mit Sicherheit die abgeschiedene Lage: Mehr als 1000 Kilometer liegen zwischen Clipperton Island und der südwestlichen Küste Mexikos. Zudem ist das Atoll mit 8,9 Quadratkilometern nicht gerade sehr groß, die begehbare Landfläche beträgt sogar nur 1,7 Quadratkilometer. Der größte Teil besteht aus Wasser, im Inneren des Atolls liegt eine Lagune. Seevögel, Krabben und andere Tiere bevölkern Clipperton Island. Tropische Regengüsse und Hurrikans sind keine Seltenheit. Tagsüber steigen die Temperaturen zum Teil auf mehr als 40 Grad. Menschen verirren sich deshalb nur äußerst selten hierher.
Doch das war nicht immer so. Der erste Mensch, der zumindest einige Zeit auf der Insel lebte, war ein Pirat: Der Engländer John Clipperton nutzte das Riff – laut dem World Factbook der CIA – zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Unterschlupf. Nach ihm ist die Insel auch benannt. Auf den ersten gezeichneten Landkarten ist sie allerdings als „Île de la Passion“ erwähnt, weil zwei französische Fregatten die Entdeckung des Atolls im Jahr 1711 für sich beanspruchten.
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Wem gehört Clipperton Island?
1855 annektierte Frankreich die Insel dann auch offiziell für sich, was die Amerikaner jedoch nicht daran hinderte, Ende des 19. Jahrhunderts Guano – ein Gemisch mit Vogelexkrementen, welches als Dünger genutzt wird – auf Clipperton Island abzubauen. Man berief sich dabei auf den noch heute gültigen Guano Islands Act, ein 1856 vom US-amerikanischen Kongress verabschiedetes Gesetz, welches besagt, dass jeder US-Bürger, der eine Insel findet, auf der es eine bestimmte Sorte von Vogelexkrementen gibt, diese für die USA annektieren und dort Guano abbauen darf.
Und noch ein weiterer Staat meldete damals Besitzansprüche an Clipperton Island an: Mexiko. Um ihren Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, errichteten die Mexikaner auf der Insel im Jahr 1905 eine Garnison, bestehend aus zehn Soldaten mit ihren Familien sowie dem Hauptmann Ramón Arnaud. Ab 1906 begannen dann auch die Briten, mit Einverständnis der Mexikaner, Guano abzubauen und errichten eine Bergbausiedlung auf der Insel. Auch ein Leuchtturm wurde gebaut – und bis 1914 lebten etwa 100 Menschen auf dem kleinen Eiland. Zweimal im Monat kam ein Schiff aus Acapulco und brachte Lebensmittel und Wasser.
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Die vergessene Insel
Doch dann eskalierte die mexikanische Revolution – und Clipperton Island geriet in den Wirren der Kämpfe auf dem Festland in totale Vergessenheit. Von einem Tag auf den anderen stoppte die Versorgung mit Vorräten und die Inselbewohner waren ihrem Schicksal überlassen. Einer nach dem anderen starb, meistens an Skorbut. Ein letzter verzweifelter Rettungsversuch durch Hauptmann Arnaud im Jahr 1917 scheiterte: Gemeinsam mit den verbliebenen Männern setzte er ein Boot aus, um einem vorbeifahrenden Schiff hinterherzusegeln. Doch die Wellen waren zu hoch, das Boot kenterte und zerschellte am Riff. Alle Männer ertranken.
Auf der Insel zurück blieben 15 Frauen und Kinder. Und ein einziger Mann: der Leuchtturmwärter Victoriano Álvarez. Zwei Jahre lang soll Álvarez die Frauen misshandelt und vergewaltigt haben, bis – so ist es in verschiedenen Quellen überliefert – eine von ihnen allen Mut zusammennahm und ihren Peiniger mit einem Hammer erschlug. Kurz darauf wurden die letzten Überlebenden von Clipperton Island, vier Frauen und sieben Kinder, vom US-Patrouillenboot USS Yorktown gerettet.
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Heute herrschen Krabben über Clipperton Island
Und auch das Tauziehen um die Besitzansprüche an der Insel nahm schließlich ein Ende: 1931 sprach der italienische König Viktor Emanuel III., den man als Schiedsrichter beauftragt hatte, Clipperton Island Frankreich als Hoheitsgebiet zu. Die Franzosen errichteten dort einen Militärposten, gaben diesen aber nach sieben Jahren wieder auf. Für kurze Zeit besetzten die Amerikaner Clipperton Island nochmal während des Zweiten Weltkriegs und errichteten eine Wetterstation. Zwischenzeitlich gab es Pläne, auf der Insel einen Flughafen und einen Binnenhafen in der Lagune zu bauen. Doch aufgrund der isolierten Lage und dem unsteten Wetter legte man diese Pläne wieder auf Eis.
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Inzwischen haben die Krabben die Herrschaft über Clipperton Island übernommen. Millionen roter Krustentiere tummeln sich auf dem Landstreifen rund um die Lagune und fressen alles, was ihnen an Pflanzen unterkommt. Deshalb ist die Vegetation auf Clipperton Island inzwischen extrem karg, nur noch wenige Palmen stehen hier. Die Inselchen im Inneren der Lagune gehören dagegen ganz den Vögeln, denn dort kommen die Krabben nicht hin.
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Menschen kommen nur noch selten nach Clipperton Island
Einige menschliche Hinterlassenschaften sind wie stumme Zeitzeugen der bewegten Geschichte auf Clipperton Island zurückgeblieben. Ein Schiffswrack zum Beispiel, eine kleine Schotterpiste für Flugzeuge, und der Leuchtturm. Und Ratten, jede Menge sogar. „Da waren so viele von ihnen“, sagt der Filmemacher Lance Milbrand, der 2003 für 41 Tage ganz allein auf der abgeschiedenen Insel lebte, in einem Interview mit „National Geographic“. Vermutlich stammen die Ratten von den Schiffen, die hier auf Grund liefen. „Sie haben mein Camp jede Nacht besucht, ich musste meinen Abfall immer runter zum Strand bringen. Man konnte nichts dagegen tun.“
Dass Menschen nach Clipperton Island kommen, passiert aber heute nur noch äußerst selten. Ein paar Ornithologen waren da, um die Vogelwelt zu erforschen, und der französische Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau drehte 1978 einen Film über Clipperton Island. Ohnehin ist das Betreten offiziell nur noch für wissenschaftliche Zwecke erlaubt. Ab und an strandeten im 20. Jahrhundert noch Schiffbrüchige auf Clipperton Island. Sie alle konnten gerettet werden.
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