4. August 2014, 9:56 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
Noch bis vor zweieinhalb Jahren kannte kaum jemand außerhalb Italiens die kleine Insel Giglio vor der toskanischen Küste. Dann havarierte das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia genau vor Giglio – und die Insel war plötzlich weltbekannt. Wie das Unglück das Leben auf der Insel verändert hat und wie die Einwohner jetzt, wo das Wrack der Costa Concordia endlich abtransportiert wurde, in die Zukunft blicken – darüber sprach TRAVELBOOK mit dem Bürgermeister von Giglio.
Der 13. Januar 2012 hat alles verändert. Mit rund 4.200 Menschen an Bord rammte an diesem Tag das riesige Kreuzfahrtschiff Costa Concordia einen Felsen vor Giglio, schlug leck und blieb mit 65 Grad Schlagseite im Hafen der kleinen Insel liegen. Die Bilder des umgekippten, kolossalen Schiffs vor Giglio gingen um die Welt. 32 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, eine Tragödie.
Es folgte die Suche nach Vermissten, die Suche nach den Verantwortlichen und schließlich der Prozess gegen den Kapitän, Francesco Schettino. Und während das restliche Italien nach und nach zur Normalität zurückkehrte, wurde für Giglio nichts, wie es vorher mal war. „Vor dem Unglück hatte Giglio einen exzellenten touristischen Ruf, die Leute kannten es als Paradies, als die Insel der Naturschätze“, sagt Sergio Ortelli, der Bürgermeister von Giglio zu TRAVELBOOK. „Und heute?“, fährt er fort, „heute kennen alle Giglio nur noch als die Insel der Costa Concordia.“
Man habe die ganze Zeit darauf gedrängt, dass es schneller gehe mit der Bergung, sagt Ortelli. Doch ein so riesiges Schiff, das schon halb am Meeresgrund liegt, am Stück abzutransportieren, braucht eben Zeit. 18 lange Monate blieb das havarierte Schiffswrack letztendlich vor der Insel liegen, rostete vor sich hin und verseuchte mit Schweröl und Metallen mehr und mehr den Meeresboden.
Viele Katastrophentouristen sind gekommen, um das Wrack zu fotografieren. Geld brachten die keines nach Giglio. Wer nicht mehr kam, waren die Tauchtouristen, die sonst die sehenswerten und ökologisch wertvollen Tauchreviere rund um die Insel erkundet hatten. „Die Einnahmen durch den Tourismus sind in den zweieinhalb Jahren seit dem Unglück stark zurückgegangen“, sagt Bürgermeister Ortelli. Denn zur ohnehin schon angespannten wirtschaftlichen Lage in Italien kam für Giglio jetzt noch die „Concordia-Krise“ hinzu, wie Ortelli es nennt.
Menschen waren trotzdem immer viele um und auf Giglio: zuerst die Rettungsteams, dann die Ermittler. Und dann die vielen hundert Helfer, die über Monate damit beschäftigt waren, das Schiff aufzurichten und für den Abtransport bereit zu machen. Etwa 250 Engländer, Deutsche, Amerikaner und Menschen anderer Nationen haben laut Sergio Ortelli in den vergangenen Monaten dauerhaft auf Giglio gelebt. „Es sind viele Freundschaften entstanden. Diese Leute haben bei uns gewohnt, mit uns gegessen. Es war, als ob sie hier zu Hause wären.“
Inzwischen sind alle Helfer in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Denn vor knapp zwei Wochen, am Abend des 23. Juli 2014, war der Moment da, auf den alle gewartet und hingearbeitet haben: Die Costa Concordia, inzwischen aufgerichtet, hat Giglio verlassen. „Das war eine riesige Erleichterung für uns alle“, sagt Ortelli. „Wir waren alle am Ende unserer Kräfte.“
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„Die Helfer werden uns fehlen“
Seitdem ist es ruhig geworden auf Giglio. Man versucht, irgendwie zur Normalität zurückzukehren. Ob das gelingen wird? Der Bürgermeister ist optimistisch: „Wir haben Vertrauen in die Zukunft und glauben, dass die Touristen zurückkehren werden.“ Auch der Meeresboden werde sich allmählich wieder erholen. Außerdem habe Giglio ja noch seine wunderschöne Landschaft und die wunderbaren Einwohner. „Jetzt gilt es, das ursprüngliche Bild von Giglio zurückzuerobern“, sagt Ortelli.
Eine Weile wird es wohl noch dauern, bis die Menschen bei Giglio nicht mehr automatisch an das Unglück denken. Selbst bei Google Maps ist das riesige, umgekippte Concordia-Wrack noch zu sehen, so, als gehöre es einfach zur Insel dazu. Irgendwann, wenn Google seine Karten aktualisiert, wird es auch dort verschwunden sein.
„Das Schiff wird uns kein bisschen fehlen“, sagt Ortelli. „Aber die Menschen, die es fortgeschafft haben, die werden uns fehlen. Vielleicht kommen sie eines Tages wieder, um ihren Urlaub auf Giglio zu verbringen.“