9. Dezember 2023, 6:03 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Die zu den Südlichen Shetland-Inseln gehörende Deception Island am nördlichen Rand der Antarktischen Halbinsel ist durch den Ausbruch eines heute noch aktiven Vulkans entstanden. Einst sorgte menschliche Gier hier für ein Blutbad an der Tierpopulation auf der und um die Insel. Doch heute ist sie wieder ein Paradies für eine weltweit einzigartige Flora und Fauna.
Nördlich der Antarktischen Halbinsel befindet sich, gehörend zu den Südlichen Shetland-Inseln, einer der ungewöhnlichsten Orte unseres Planeten. Ein Eiland, das aus der Luft betrachtet entfernt an ein Hufeisen erinnert. Deception Island, so der Name der Insel, entstand durch den Ausbruch eines größtenteils unterseeischen Vulkans, der auch heute noch aktiv ist. Doch das wirklich bemerkenswerte ist die Geschichte der Insel. Denn wo menschliche Gier einst ganze Tierpopulationen an den Rand der Ausrottung brachte, ist die Insel heute wieder ein einzigartiges Paradies für Fauna und Flora.
Laut der offiziellen Webseite entstand Deception Island vor etwa 10.000 Jahren durch einen gewaltigen Vulkanausbruch. Bei diesem bildete sich die gesamte Insel, die heute auf einer Fläche von fast 100 Quadratkilometern zu mehr als der Hälfte von permanenten Gletschern bedeckt ist. Die Eruption brachte die Spitze des Vulkans zum Einsturz, wobei sich eine mit Meerwasser gefüllte Caldera formte, die heute als Port Foster bekannt ist. Der englische Name für „Hafen“ deutet auf eine weltweit wohl einzigartige Eigenschaft hin. Denn durch eine Öffnung in der Landmasse, die Neptuns Blasebalg (Neptune’s Bellows) genannt wird, kann man mit einem Boot in die Caldera hinein fahren. Und befindet sich damit direkt im Krater des schlafenden Feuerberges.
Antarktisches Blutbad
Die menschliche Geschichte rund um Deception Island begann im Januar 1820. Damals sichteten die britischen Robbenfänger William Smith und Edward Bransfield als erste Seefahrer überhaupt die Insel. Ihren Namen erhielt sie dann noch im selben Jahr von dem amerikanischen Jäger Nathaniel Palmer. Ebenfalls bereits 1820 errichteten die Amerikaner bei dem Ort Pendulum Cove den ersten Stützpunkt für kommerziellen Robbenfang. Erst neun Jahre später brach 1829 eine britische Forschungsexpedition auf, um Deception Island erstmals zu vermessen und eine Karte der Insel zu erstellen. Aus dem Jahr 1842 datiert die erste Beschreibung eines Vulkanausbruchs.
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Bereits um das Jahr 1906 wurde Deception Island dann zum Schauplatz eines beispiellosen Blutbades. Damals kamen erstmals norwegische Walfänger auf Schiffen an, auf denen sie ihren „Fang“ auch gleich verarbeiten konnten. 1912 errichteten sie dann an Land in der bezeichnend benannten Walfänger-Bucht eine Station, um die „Produktivität“ noch zu steigern. Bis zu 150 Mann stellten während des kurzen antarktischen Sommers hier mehr als 140.000 Fässer Wal-Öl her. Der „BBC“ zufolge brachten sie mit ihrer Gier ganze Populationen an den Rand der Ausrottung.
Spannungen um die Insel
Erst als die Preise für den einst begehrten „Rohstoff“ 1931 einbrachen, gab man das Gemetzel in den Wassern um Deception Island auf. Bereits 1928 hatte der erste motorisierte Flug in der Antarktis stattgefunden, als die Piloten Hubert Wilkins aus Australien und der Kanadier Carl Ben Eilson von einer improvisierten Startbahn auf der Insel in einer Lockheed Vega 1 abhoben. Finanziert wurde das irrwitzige Projekt von dem exzentrischen Medien-Magnaten William Randolph Hearst. Nur einige Jahrzehnte später zeigte der Vulkan den Menschen auf der Insel dann erstmals seine zerstörerische Kraft.
Doch zuvor kam es in den 1940er- und 1950er-Jahren zu Spannungen zwischen Chile, Argentinien und Großbritannien. Alle drei Nationen machten Gebietsansprüche geltend, die die Briten 1944 mit dem Bau der ersten offiziellen Forschungsstation, der Base B, zu untermauern versuchten. 1948 bzw. 1955 folgten dann Argentinien und Chile mit ihren eigenen „Vertretungen“. Heute ist Deception Island wieder nahezu verlassen, und dieser Umstand ist einer ganzen Reihe von Vulkanausbrüchen geschuldet. Der erste ereignete sich 1967 und begrub die chilenische Basis unter Asche und Gestein, und beschädigte auch die britische Station.
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Heute wieder Naturparadies
Die Chilenen gaben daraufhin ihre Forschungsbestrebungen auf Deception Island auf und verließen die Insel. Nur zwei Jahre später folgten ihnen die Briten, nachdem eine weitere Eruption ihre Basis stark beschädigt und sogar Gebäude verschoben hatte. Noch heute stehen die Überreste dieser und anderer Bauten auf der Insel, ein verfallendes Zeugnis der kurzen Eroberungsversuche eines der entlegensten Orte der Welt durch den Menschen. Die Insel ist damit zu einer Art ungewöhnlichem Freilichtmuseum geworden. Heute betreiben sowohl Spanien als auch Argentinien weiter bemannte Forschungsstationen hier. Ansonsten hat die Natur wieder die Herrschaft übernommen.
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Das zeigt sich besonders beeindruckend an der weltweit größten Kolonie von Zügelpinguinen, die im antarktischen Sommer ideale Bedingungen für ihre Brut vorfinden. Auch eine Vielzahl anderer Seevögel fühlt sich hier wohl, genau wie Weddell-Robben und See-Elefanten. Von den insgesamt 18 Arten an Moosen und Flechten, die man bislang hier entdeckte, sind zwei endemisch, kommen also weltweit nur hier vor. Auf Deception Island gibt es zudem eine weitere Besonderheit: Geothermale Quellen bzw. Wasserkörper wie den Kroner Lake, deren bis zu 70 Grad heißes Wasser das Leben sprichwörtlich zum Erblühen bringt.
Seit 1961 ist die Insel im damals abgeschlossenen Antarktis-Vertrag als besonders schutzwürdig eingestuft. Das Papier war auch deshalb bedeutsam, weil es der erste internationale Vertrag war, der nach dem Zweiten Weltkrieg abgeschlossen wurde, wie das Umweltbundesamt berichtet. Heute spielt neben der Forschung auch der Tourismus auf Deception Island immer mehr eine Rolle. Denn dank der guten Zugänglichkeit ist die Insel mittlerweile ein Highlight auf Antarktis-Kreuzfahrten. Bleibt zu hoffen, dass der Mensch etwas aus seiner eher kurzen Geschichte auf der Insel gelernt hat.