2. Juni 2015, 15:04 Uhr | Lesezeit: 5 Minuten
Welche Urlaubsregion kann schon von sich behaupten, dass eine Salatsoße nach ihr benannt wurde? Thousand Islands kann. Und obwohl die Region östlich von Toronto eine atemberaubende Natur zu bieten hat, ist sie ein Geheimtipp.
Es sieht ein bisschen aus wie Skandinavien. Kleine Holzhäuser stehen auf winzigen Inselchen, hinter dem Wasser beginnt am Ufer endloser Wald, und nur hin und wieder sind Menschen zu sehen. Vor fast jedem Häuschen steht ein Fahnenmast, doch statt blau und gelb ist die Flagge rot und weiß – Kanada. „Thousand Islands“ ist nicht nur eine Salatsoße, es gibt die Region wirklich. Und obwohl sie nur ein paar Autostunden von Toronto entfernt liegt und die Schönheit ihrer Landschaft Bildbände füllt, ist sie unter europäischen Touristen noch ein Geheimtipp.
Wer die Schönheit der Inseln genießen will, sollte es vom Boot aus machen. Die Ausflugsdampfer der Gananoque Boat Line schlängeln sich an den Inseln vorbei und überschreiten dabei ständig die Staatsgrenze. „Kanada hat mehr Inseln, die USA aber die größeren. Nach der Fläche haben beide gleich viel“, sagt der Kapitän über die Lautsprecher. Er erklärt auch, wann eine Insel eine Insel ist: „Sie muss das ganze Jahr über Wasser sein. Sie muss mindestens einen Quadratfuß groß sein. Und auf ihr müssen mindestens zwei Bäume stehen.“ Entsprechend schwankt die Zahl der Inseln, sie liegt aber bei mehr als 1860.
Die Inseln sind entweder unbewohnt oder es steht nur ein Häuschen drauf. Einige Inselchen sind mit einer Brücke verbunden, und die geht in einem Fall, obwohl nur ein paar Meter breit, über die Staatsgrenze. Links und rechts ist eine Fahne an der Brücke, aber Reisepässe kontrolliert hier niemand.
Das ist auf Heart Island anders. Es ist die meistfotografierte der Inseln, denn hier steht Boldt Castle. George Boldt, ein auf Rügen geborener Hotelier, der in New York die Häuser Waldorf und Astoria vereinte, hat hier Anfang des vorigen Jahrhunderts ein gewaltiges Schloss bauen lassen, inklusive Grotten und eines Wasserschlösschens, in dem ein Kraftwerk untergebracht ist. Denn Boldt Castle hat Strom und ist innen ganz modern. Neuschwanstein im St. Lawrence.
Gananoque hat zwar gerade einmal 5.000 Einwohner, ist aber so etwas wie die inoffizielle Hauptstadt der Region. Mitten im Städtchen steht im Park ein altes buntes Piano mit der Aufschrift „Play Me!“. Sheila Burtch sitzt oft daran und erfreut die Besucher des Farmers Market mit alten Volksliedern. „Wenn man bedenkt, wie klein unsere Stadt ist, haben wir jede Menge Kultur“, sagt die Musikerin und Radiomoderatorin. „Zwei Theater, mehrere Chöre, im Sommer ständig Konzerte – das kann sich doch sehen lassen.» Außerdem sei die Umgebung wunderschön. „Also mir wurde hier noch nie langweilig.“
Die größte Stadt der Region ist Kingston, doch auch sie hat nur 120.000 Einwohner. Den schönsten Blick auf die Stadt hat man von Fort Henry. Die Festung ist im besten Zustand und man erwartet jede Sekunde, dass Soldaten vorbeiparadieren. Und das passiert auch: Fort Henry hat ein einzigartiges Regiment, das nur aus freiwilligen Laien besteht. „Wir sind eine Art Cirque du Soleil, aber mit Gewehren», sagt Leftenant Colonel Mark Bennett. Bennett ist der Chef der 73-köpfigen Truppe, die zu den besten Exerzierteams der Welt zählt – aber nichts mit dem Militär zu tun hat. „Wir gehören zum Tourismus-, nicht zum Verteidigungsministerium. Einen militärischen Hintergrund hat hier praktisch keiner.“
Die Salatsoße „Thousand Islands“ ist zwar nach der Region benannt, aber wo sie nun herkommt, weiß keiner so genau. Die Fischersfrau Sophia LaLonde soll sie erfunden haben, Hotelier Boldt machte sie in New York berühmt. Vielleicht entstand das Dressing aber auch in New York. Es soll May Irwin, die 1896 als Schauspielerin mit dem ersten Kuss in einem Film Kinogeschichte schrieb, gewesen sein, die der Soße ihren Namen gab. Denn die Schnittlauch- und Petersilienstückchen sollen sie an die vielen Inseln in ihrer Heimat erinnert haben.
„Unsere Küche hier ist sehr bodenständig“, sagt Shannon Treanor. Die Küche der Indianer habe sich mit denen der Einwanderer vermischt, Shannons Vorfahren kamen aus Mecklenburg. „Hier gibt es vor allem Landwirte und die essen kräftig. Die Bio-Welle ist hier noch nicht ganz angekommen.“
Treanor betreibt mit ihrem Bruder und einem Freund ein Café und ein Restaurant direkt am Stadtpark namens „The Socialist Pig“. „Schweine waren immer meine Lieblingstiere», erzählt sie. „Und ich wollte immer ein Café mit einem großen Tisch, an dem alle ins Gespräch kommen. Als wir den bauten, sagte mein Bruder: „Gott, alle an einem Tisch. Wir sind Sozialisten!“ So hatte das Café den Namen weg.“ Anfangs habe kein Mensch an dem großen Tisch in der Mitte sitzen wollen. „Jetzt ist er immer als erstes belegt.“