12. Februar 2021, 12:09 Uhr | Lesezeit: 7 Minuten
In der Bucht von Neapel liegt die winzige Felseninsel La Gaiola. Vom Festland aus sind es nur wenige Schwimmzüge bis zu dem idyllischen Eiland, auf dem eine alte Villa thront – doch viele Italiener machen einen großen Bogen um La Gaiola. Auf der Insel lastet ein Fluch, glauben sie. Denn jedem, der sie einst erwarb, widerfuhr Schlimmes.
Drei berühmte Inseln liegen im Golf von Neapel: im Süden Capri, im Norden Ischia und Procida. Alle drei sind beliebte Touristenziele und weit über Italien hinaus bekannt. Doch keine blickt wohl auf eine so bewegte Geschichte zurück wie ein winziges Inselchen direkt vor Neapels Küste: La Gaiola.
Genau genommen ist La Gaiola eine Doppelinsel, bestehend aus zwei wenige Quadratmeter großen Felsplattformen, die durch einen schmalen steinernen Steg miteinander verbunden sind. Es heißt, dass die Insel einst Teil des nahen Festlands war. Zu Zeiten des römischen Reiches soll sie auf Geheiß des Feldherrn Lucullus von der Küste abgetrennt und auf den Namen „Euplea“ getauft worden sein. Zu Ehren der römischen Göttin Venus Euplea errichtete man auf dem Felsbrocken einen Tempel, von dem heute allerdings nichts mehr übrig ist.
Die Geschichte von La Gaiola
Im 19. Jahrhundert nutzte man die Doppelinsel als Stützpunkt, um den Golf von Neapel vor Angriffen vom Meer aus zu schützen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde La Gaiola erstmals für einige Zeit bewohnt, von einem Einsiedler, den man den „Hexenmeister“ nannte und der von den Almosen der Fischer lebte. Ende des 19. Jahrhunderts schließlich ließ ein italienischer Politiker die prächtige Villa erbauen, die noch heute auf La Gaiola steht. Unter anderem soll der Schriftsteller Norman Douglas vorübergehend Eigentümer der Insel mit der Villa darauf gewesen sein.
Das Jahrhundert des Schreckens
Bis hierhin scheint noch alles weitgehend harmlos, bis auf den seltsamen „Hexenmeister“, über den allerdings nichts Näheres bekannt ist. Das Grauen begann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und traf auch einige Deutsche. Das erste Todesopfer aber war den Erzählungen nach ein Schweizer: Hans Braun, der die Insel um 1920 herum besaß, wurde tot in seiner Villa aufgefunden, eingewickelt in einen Teppich. Kurz darauf soll seine Witwe sich in tiefer Trauer im Meer ertränkt haben. Der nächste Besitzer, ein deutscher Parfum-Händler namens Otto Grunback, starb kurz nach dem Erwerb der Insel an einem Herzinfarkt.
Wie das bei Legenden so ist, gibt es meist unterschiedliche Versionen der Vorkommnisse. Andere Quellen besagen, das erste Opfer sei die Deutsche Elena von Parish gewesen. Als sie im Jahr 1926 in einer stürmischen Nacht mit der inzwischen errichteten Seilbahn zur Insel zurückkehrte, habe das Seil sich losgerissen und die Frau sei für immer im Meer verschollen. Hans Praun und Otto Grumbach – ja, auch die Namen unterscheiden sich in dieser Version –, die Elena von Parish bei sich auf der Insel beherbergt hatten, kamen über den tragischen Vorfall nicht hinweg. Sie wählten den Freitod, der eine gleich vor Ort in der Villa, der andere ein paar Jahre später in Deutschland.
Unfälle, Pleiten, Entführungen
Auch die nachfolgenden Eigentümer von La Gaiola waren nicht vom Glück gesegnet: Maurice Sandoz, Schweizer Schriftsteller und Sohn des Unternehmers Edouard Sandoz, lebte in den 1950er-Jahren auf der Insel. Überzeugt davon, er werde bankrottgehen, landete er schließlich in einer psychiatrischen Klinik in der Schweiz, wo er sich 1958 das Leben nahm. Der nächste Eigentümer war ein deutscher Stahl-Industrieller namens Paul Karl Langheim, der angeblich auf La Gaiola ein so ausschweifendes Leben führte, dass er daran finanziell zugrunde ging.
Im Anschluss kaufte Gianni Agnelli, schwerreicher italienischer Industrieller und führender Fiat-Unternehmer, die Unglücksinsel. Er ließ Langheim dort großzügigerweise noch eine Weile wohnen. Agnelli nahm einige bedeutende Umbauten an Villa und Insel vor, ließ unter anderem einen Hubschrauberlandeplatz errichten. Schwarzmaler schreiben Agnellis schweren Autounfall (er prallte mit 160 km/h gegen einen Lkw und überlebte nur knapp) ebenfalls der verfluchten Insel zu, was zeitlich jedoch nicht ganz hinkommt. Denn die Insel erwarb er erst nach dem Unfall. Weil er sich nur selten auf seinem Mini-Eiland aufhielt, verkaufte er es 1968 an einen anderen Milliardär: US-Öl-Tycoon und Kunstmäzen Jean-Paul Getty.
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Fünf Jahre, nachdem La Gaiola in Gettys Besitz übergegangen war, wurde dessen 17-jähriger Enkel von Mafia-Mitgliedern entführt. Erst, als die Entführer dem Jungen ein Ohr abschnitten, zahlte der Ölmogul ein Lösegeld in Höhe von knapp 3 Millionen Dollar, die er jedoch von seinem Sohn mit Zinsen zurückforderte.
1978 schließlich ging La Gaiola an ihren vorerst letzten Privatbesitzer über. Der neapolitanische Unternehmer Gianpasquale Grappone kaufte die Insel, ging jedoch mit seiner Firma bankrott und landete völlig überschuldet im Gefängnis. Seine Ehefrau starb bei einem Autounfall – ausgerechnet am Tag, als die Unglücksinsel versteigert wurde.
Und dann auch noch ein Mord
Spätestens jetzt hatte La Gaiola ihren Ruf als „isola maledetta“ („verfluchte Insel“) weg. Nach all den merkwürdigen Vorkommnissen fand sich kein privater Käufer mehr für die Insel und sie ging in den Besitz der Region Kampanien über. Die Villa wurde ihrem Schicksal überlassen und verfiel nach und nach, was der Felseninsel heute tatsächlich ein recht gruseliges Aussehen
2009 sahen diverse italienische Medien erneut Anlass dazu, einen besonders grausamen Vorfall mit der „Fluchinsel“ in Verbindung zu bringen. In einer Villa im neapolitanischen Stadtviertel Posillipo, genau gegenüber von La Gaiola, wurden der italienische Multi-Millionär Franco Ambrosio und dessen Ehefrau überfallen und ermordet. Am Ende wurden drei Rumänen, von denen einer als Gärtner bei Ambrosio gearbeitet hatte, wegen Raubmordes angeklagt. Doch die Tötung des Ehepaars reiht sich für viele nahtlos ein in die unheilvolle Geschichte von La Gaiola.
Beliebtes Tauchrevier um La Gaiola
Wer der Insel und ihrer Umgebung ohne Furcht begegnen kann, findet hier ein einmaliges Tauchrevier. La Gaiola ist Namensgeberin für den geschützten Unterwasserpark Parco Sommerso di Gaiola. Am Meeresgrund lassen sich zahlreiche antike Überreste aus der Römerzeit bewundern, darunter Brunnenanlagen und Teile eines Hafens. Sie gehörten einst zur römischen Villenanlage Pausilypon, die an der Spitze des nach ihr benannten Hügelzuges Posillipo gegenüber von La Gaiola liegt und deren beeindruckenden Überreste besichtigt werden können.
Touristen kommen gerne in diese Gegend von Neapel, besichtigen den Lost Place mit den antiken Ruinen, schnorcheln und tauchen um La Gaiola.
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Was wird aus dem Lost Place La Gaiola?
Und die Einwohner von Neapel? Haben sie heute noch Angst vor der Insel? „Nein“, sagt Maurizio Simeone, Direktor des AMP (Centro Ricerca e Divulgazione scientifica dell’Area Marina Protetta Parco Sommerso di Gaiola) im Gespräch mit TRAVELBOOK. „Auch die Neapolitaner entdecken heute endlich den Ort wieder, der vor ein paar Jahrzehnten in einen Zustand der totalen Vernachlässigung geriet.“ Das AMP kümmert sich um den Erhalt des Meeresparks um La Gaiola, organisiert unter anderem Schnorcheltouren und Ausflüge mit Glasboden-Booten, bei denen die Besucher die Unterwasserwelt um die Insel erkunden können.
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Und was soll mit der Villa passieren? „Es gibt ein Projekt der Denkmalschutzbehörde von Neapel. Vorgesehen sei die Einrichtung eines Informationszentrums, in dem man sich über das Natur- und Kulturerbe der Region informieren kann.
Simeone hofft, dass die unrühmliche Vergangenheit von La Gaiola bald ganz in Vergessenheit geraten sein wird. „So gut wie kein Besucher stellt Fragen oder macht Kommentare über die imaginäre ‚Verfluchung‘ der Insel“, sagt er. Die häufigste Bemerkung der neapolitanischen Besucher sei inzwischen: „Wir hatten diesen Schatz vor der Haustüre, ohne etwas davon zu wissen.“