30. Juli 2020, 10:54 Uhr | Lesezeit: 8 Minuten
Prinz Philip steht in Großbritannien oft im Schatten seiner berühmten Gemahlin, Königin Elizabeth II. Nicht so auf der Pazifikinsel Tanna – dort wird der Royal als Gottheit verehrt. Doch auch der bizarre John Frum-Kult hat hier sehr viele Anhänger. Was steckt hinter dem Glauben der Ureinwohner?
Prinz Philip, der Mann der englischen Königin Elizabeth II., hat unzählige Titel: Zum Beispiel ist er Duke of Edinburgh, Earl of Merioneth, und Achtung, festhalten, Grand Master and First and Principal Knight of the Most Excellent Order of the British Empire. Doch damit nicht genug, denn der inzwischen 99-jährige Royal, der in Großbritannien oft genug im Schatten seiner berühmten Frau steht und bekannt dafür ist, in so manches Fettnäpfchen zu treten, wird auch noch als Gott verehrt, und zwar vom Stamm der Yaohnanen auf der Pazifikinsel Tanna, im Inselstaat Vanuatu.
Obwohl Tanna und das Vereinigte Königreich mehr als 16.000 Kilometer voneinander entfernt liegen, glauben die Yaohnanen, die zu den Ni-Vanuatu, den Ureinwohnern der Region, gehören, vereinfacht gesagt, Prinz Philip sei der Sohn eines Berggeistes, der die Insel verlassen habe, um eine mächtige Frau zu heiraten und eines Tages mit all seinem Reichtum nach Tanna zurückzukehren.
„Wir warten darauf, dass er zu uns zurückkehrt“, sagte bereits 2006 der damalige Stammesführer Jack Naiva der „Daily Mail“. „Wir werden ihm ein nettes kleines Haus bauen, er kann alle Diener haben, die er sich wünscht, und jeden Tag werden wir kommen und vor ihm niederknien, denn er ist unser wahrer Anführer.“ Naiva selbst hat das nicht mehr erlebt, er starb drei Jahre später.
Was auf den ersten Blick bizarr erscheint, ist Teil einer ganzen Reihe sogenannter Cargo-Kulte, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts besonders im Südsee-Raum entstanden, als Bewohner dieser Regionen zum ersten Mal auf Besucher aus der westlichen Welt trafen. Deren Technik, wie zum Beispiel Flugzeuge, muss ihnen derart übermenschlich erschienen sein, dass die Inselbewohner sie fortan als Gottheiten betrachteten. Auf Tanna beispielsweise waren während des Zweiten Weltkrieges US-amerikanische Soldaten stationiert, sodass hier schon vor dem Kult um Prinz Philip die sogenannte John-Frum-Bewegung entstand, zentriert vermutlich um einen Soldaten. Hinzu kommt, dass Vanuatu erst 1980 von England bzw. Frankreich unabhängig wurde.
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Sowohl dieser ominöse John Frum als auch Prinz Philip seien also Berggeister und darüber hinaus noch Brüder, so glauben die Yaohnanen offenbar bis heute. Der Kult verstärkte sich in den 70er-Jahren noch erheblich, nachdem Prinz Philip gemeinsam mit der Queen den Vanuatu-Archipel, zu dem auch Tanna gehört, besucht hatte. Eine große Begrüßungszeremonie wurde abgehalten, bei der unzählige Kanus der königlichen Jacht Britannia entgegenpaddelten und ihr damit einen wahrhaft royalen Empfang bereiteten. In der „Daily Mail“ erinnerte sich Jack Vaina an dieses Ereignis: „Ich sah ihn dort an Deck stehen, in seiner weißen Uniform, und wusste, er ist der wahre Messias.“
In den darauffolgenden Jahren entstand eine Art Briefwechsel zwischen der einen Insel mit der anderen: Die Yaohnanen schickten Prinz Philip eine Nal-Nal, eine traditionelle Jagdkeule als Geschenk, er bedankte sich dafür mit mehreren Fotos seiner selbst – unter anderem einem, auf dem er eben diese Keule in der Hand hält. Auch schickte der britische Royal mehrere Tabakpfeifen. Die Bilder werden bis heute in der Hütte des Clanchefs aufbewahrt und von den Yaohnanen verehrt, die wohl tatsächlich hoffen, dass Prinz Philip eines Tages nach Tanna zurückkehrt – zum Beispiel, um seinen Lebensabend hier zu verbringen.
Einige mutige Yaohnanen-Männer wollten aber nicht so lange warten, und brachen so 2007 zu einer Reise in Vereinigte Königreich auf, auf der sie quasi als Höhepunkt hinter verschlossenen Türen tatsächlich auch ihren Gott trafen. Zu dieser Gruppe gehörte auch der hier abgebildete Albia Nagia.
Über dieses rührende Zusammentreffen entstand der fünfteilige Dokumentarfilm „Besuch aus der Südsee“. Ob sich Prinz Philip in seinem Alter noch einmal zu einem Gegenbesuch bequemt, ist unklar, aber auf Tanna wird er mit offenen Armen erwartet.
Der Messias aus dem Vulkan
Die eingangs bereits erwähnte John Frum-Bewegung ist ein weiteres spirituelles Phänomen, dass sich laut „Smithsonian“ vermutlich bereits in den 1930er Jahren auf der Insel Tanna entwickelte: Demnach erschien den Einheimischen nach dem traditionellen Genuss von Kava-Wurzelsaft, einem starken Rauschmittel, der geheimnisvolle John Frum, der ihnen allerlei wundersame Reichtümer versprach. Ethnologen glauben, der Kult habe seinen Ursprung vermutlich in der Besatzung zahlreicher Südsee-Insel durch die US-Amerikaner während des Zweiten Weltkrieges.
Demnach seien die Inselbewohner derart beeindruckt gewesen von den Amerikanern, ihrer Technik und ihrem „Reichtum“, dass sie sie kurzerhand zu Göttern erklärten – John Frum beispielsweise, so glauben sie bis heute, wohne im Insel-Vulkan Yasur und reise unter Wasser durch das Meer zwischen Tanna und den USA hin und her. Der 15. Februar jeden Jahres wird auf Tanna bis heute als der John Frum-Tag gefeiert. Eine plausible Erklärung, warum der Kult besonders in den 1940er Jahren massiv anwuchs, lässt sich in der Inselgeschichte finden.
Überirdischer Reichtum
Diese war bis dahin verwaltet worden von christlichen Missionaren, die den Ureinwohnern viele ihrer jahrtausendealten Gebräuche abgewöhnen oder gar verbieten wollten – darüber machte sich derartiger Unmut breit, dass die Yaohnanen eines Tages, angeblich einer spirituellen Eingebung durch John Frum folgend, all ihr Geld und ihre Kleidung, die sie von den Besetzern erhalten hatten, ins Meer warfen. Die lokalen Autoritäten reagierten darauf mit aller Härte und sperrten einige Anführer der Bewegung ins Gefängnis, wodurch diese für die Übrigen zu Märtyrern wurden.
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Demnach habe die Ankunft der Amerikaner wie eine Befreiung gewirkt, zudem brachten sie all ihren „Reichtum“ mit und bauten Krankenhäuser, Brücken und Landepisten für ihre Flugzeuge – laut dem Glauben der Menschen sei John Frum während des Krieges (im Geiste) immer bei ihnen gewesen, so dass die Überzeugung wuchs, er müsse Amerikaner sein. Selbst ein eigens gesandter US-Major, der die Ureinwohner überzeugen sollte, das Militär habe nichts mit John Frum zu tun, hatte keinen Erfolg in der Schwächung des Glaubens.
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Alles für die Rückkehr Gottes
Die Legenden des endlosen Reichtums der Amerikaner wurden unter den Ureinwohnern dadurch bestärkt, dass die Soldaten am Ende des Krieges all ihr mitgebrachtes Material wie Jeeps und Lastwagen, aber auch Versorgungsgüter, einfach mit Bulldozern ins Meer warfen – die Stelle, an der das passierte, heißt unter den Eingeborenen bis heute Million Dollar Point. Um die verlorenen „Götter“ zur Wiederkehr zu bewegen, bauten die Einheimischen in den Folgejahren immer wieder kleine Häfen, hackten sogar Landepisten für Flugzeuge in den dichten Dschungel – erfolglos.
Dennoch wurde der Kult um John Frum so stark, dass sich aus dem ursprünglichen Glauben sogar mindestens eine Splittergruppe abspaltete, was leider auch zu blutigen Konflikten um die Auslegung des „wahren Glaubens“ führte. Es gab noch zahlreiche weitere Cargo-Kulte auf anderen Inseln, doch diese lösten sich im Zuge der Jahre auf. Doch woher kommt eigentlich der Name John Frum? Es wird vermutet, dass ein Amerikaner bei seiner Ankunft damals etwas sagte wie: „I am John from America“ –daraus wurde dann wohl John Frum.
Und warum glauben auch heute, nach über 70 Jahren, noch etwa 1000 Menschen auf Tanna an die Wiederkehr ihres Messias? Die ehrlichste und entwaffnendste Antwort darauf lieferte ein Ureinwohner dem Reporter des „Smithsonian“: „Ihr Christen habt 2000 Jahre auf die Rückkehr von Jesus gewartet, und ihr habt die Hoffnung auch nicht aufgegeben.“